behalten, allein das war vergebens, das Handwerk stank ihn an, Zeit und Welt ward ihm lang, bis er an seinen bestimm- ten Ort kam; doch fühlte er jetzt Etwas in seinem Innern, das diesem Beruf beständig widersprach; dieß unbekannte Et- was überzeugte ihn in seinem Gemüth, daß diese Neigung wie- derum aus dem alten verderbten Grund herrühre; dieses neue Gewissen, wenn ich so reden darf, war erst seit dem gemelde- ten Sonntag in ihm aufgewacht, da er eine so gewaltige Ver- änderung bei sich verspürt hatte. Diese Ueberzeugung kränkte ihn, er fühlte wohl, daß sie wahr war, allein seine Neigung war allzu stark, er konnte ihr nicht widerstehen; dazu fand sich eine Art von Schlange bei ihm ein, welche sich durch die Vernunft zu helfen suchte, indem sie ihm vorstellte: Ja, sollte Gott das wohl haben wollen, daß du da ewig an der Nähnadel sitzen bleiben sollst, und deine Talente vergräbst? Keineswegs! du mußt bei der ersten Gelegenheit damit wu- chern, laß dich das nicht weiß machen, es ist blos eine hypo- chondrische Grille; alsdann warf das Gewissen wieder ein: Wie oft hast du aber mit deinen Talenten in der Unterwei- sung der Jugend wuchern wollen, und wie ists dir dabei ge- gangen? -- Die Schlange wußte dagegen einzuwenden: das seyen lauter Läuterungen gewesen, die ihn zu einem wichtigen Geschäft hätten tüchtig machen sollen. Nun glaubte Stil- ling der Schlange, und das Gewissen schwieg.
Schon den folgenden Sonntag kam ein Bote von Herrn Hochberg, der Stilling abholte. Alle weinten bei seinem Abschied, er aber ging mit Freuden. Als sie nach Holzheim kamen, so gingen sie zu dem alten Brauer, der Stillin- gen bei seiner Durchreise seine Geschichte erzählt hatte; er er- zählte dem ehrlichen Alten sein neues Glück, dieser freute sich, wie es schien, nicht so sonderlich darüber, doch sagte er: das ist schon für Sie ein hübscher Anfang. Stilling dachte da- bei: der Mann kann seine Ursache haben, daß er so spricht.
Nun gingen sie noch eine halbe Stunde weiter, und kamen an Hochbergs Haus an. Dieses lag in einem kleinen an- genehmen Thal an einem schönen Bach, nicht weit von der Landstraße, die Stilling gekommen war. Als sie ins Haus
behalten, allein das war vergebens, das Handwerk ſtank ihn an, Zeit und Welt ward ihm lang, bis er an ſeinen beſtimm- ten Ort kam; doch fuͤhlte er jetzt Etwas in ſeinem Innern, das dieſem Beruf beſtaͤndig widerſprach; dieß unbekannte Et- was uͤberzeugte ihn in ſeinem Gemuͤth, daß dieſe Neigung wie- derum aus dem alten verderbten Grund herruͤhre; dieſes neue Gewiſſen, wenn ich ſo reden darf, war erſt ſeit dem gemelde- ten Sonntag in ihm aufgewacht, da er eine ſo gewaltige Ver- aͤnderung bei ſich verſpuͤrt hatte. Dieſe Ueberzeugung kraͤnkte ihn, er fuͤhlte wohl, daß ſie wahr war, allein ſeine Neigung war allzu ſtark, er konnte ihr nicht widerſtehen; dazu fand ſich eine Art von Schlange bei ihm ein, welche ſich durch die Vernunft zu helfen ſuchte, indem ſie ihm vorſtellte: Ja, ſollte Gott das wohl haben wollen, daß du da ewig an der Naͤhnadel ſitzen bleiben ſollſt, und deine Talente vergraͤbſt? Keineswegs! du mußt bei der erſten Gelegenheit damit wu- chern, laß dich das nicht weiß machen, es iſt blos eine hypo- chondriſche Grille; alsdann warf das Gewiſſen wieder ein: Wie oft haſt du aber mit deinen Talenten in der Unterwei- ſung der Jugend wuchern wollen, und wie iſts dir dabei ge- gangen? — Die Schlange wußte dagegen einzuwenden: das ſeyen lauter Laͤuterungen geweſen, die ihn zu einem wichtigen Geſchaͤft haͤtten tuͤchtig machen ſollen. Nun glaubte Stil- ling der Schlange, und das Gewiſſen ſchwieg.
Schon den folgenden Sonntag kam ein Bote von Herrn Hochberg, der Stilling abholte. Alle weinten bei ſeinem Abſchied, er aber ging mit Freuden. Als ſie nach Holzheim kamen, ſo gingen ſie zu dem alten Brauer, der Stillin- gen bei ſeiner Durchreiſe ſeine Geſchichte erzaͤhlt hatte; er er- zaͤhlte dem ehrlichen Alten ſein neues Gluͤck, dieſer freute ſich, wie es ſchien, nicht ſo ſonderlich daruͤber, doch ſagte er: das iſt ſchon fuͤr Sie ein huͤbſcher Anfang. Stilling dachte da- bei: der Mann kann ſeine Urſache haben, daß er ſo ſpricht.
Nun gingen ſie noch eine halbe Stunde weiter, und kamen an Hochbergs Haus an. Dieſes lag in einem kleinen an- genehmen Thal an einem ſchoͤnen Bach, nicht weit von der Landſtraße, die Stilling gekommen war. Als ſie ins Haus
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0221"n="213"/>
behalten, allein das war vergebens, das Handwerk ſtank ihn<lb/>
an, Zeit und Welt ward ihm lang, bis er an ſeinen beſtimm-<lb/>
ten Ort kam; doch fuͤhlte er jetzt Etwas in ſeinem Innern,<lb/>
das dieſem Beruf beſtaͤndig widerſprach; dieß unbekannte Et-<lb/>
was uͤberzeugte ihn in ſeinem Gemuͤth, daß dieſe Neigung wie-<lb/>
derum aus dem alten verderbten Grund herruͤhre; dieſes neue<lb/>
Gewiſſen, wenn ich ſo reden darf, war erſt ſeit dem gemelde-<lb/>
ten Sonntag in ihm aufgewacht, da er eine ſo gewaltige Ver-<lb/>
aͤnderung bei ſich verſpuͤrt hatte. Dieſe Ueberzeugung kraͤnkte<lb/>
ihn, er fuͤhlte wohl, daß ſie wahr war, allein ſeine Neigung<lb/>
war allzu ſtark, er konnte ihr nicht widerſtehen; dazu fand<lb/>ſich eine Art von Schlange bei ihm ein, welche ſich durch<lb/>
die Vernunft zu helfen ſuchte, indem ſie ihm vorſtellte: Ja,<lb/>ſollte Gott das wohl haben wollen, daß du da ewig an der<lb/>
Naͤhnadel ſitzen bleiben ſollſt, und deine Talente vergraͤbſt?<lb/>
Keineswegs! du mußt bei der erſten Gelegenheit damit wu-<lb/>
chern, laß dich das nicht weiß machen, es iſt blos eine hypo-<lb/>
chondriſche Grille; alsdann warf das Gewiſſen wieder ein:<lb/>
Wie oft haſt du aber mit deinen Talenten in der Unterwei-<lb/>ſung der Jugend wuchern wollen, und wie iſts dir dabei ge-<lb/>
gangen? — Die Schlange wußte dagegen einzuwenden: das<lb/>ſeyen lauter Laͤuterungen geweſen, die ihn zu einem wichtigen<lb/>
Geſchaͤft haͤtten tuͤchtig machen ſollen. Nun glaubte <hirendition="#g">Stil-<lb/>
ling</hi> der Schlange, und das Gewiſſen ſchwieg.</p><lb/><p>Schon den folgenden Sonntag kam ein Bote von Herrn<lb/>
Hochberg, der <hirendition="#g">Stilling</hi> abholte. Alle weinten bei ſeinem<lb/>
Abſchied, er aber ging mit Freuden. Als ſie nach <hirendition="#g">Holzheim</hi><lb/>
kamen, ſo gingen ſie zu dem alten <hirendition="#g">Brauer</hi>, der <hirendition="#g">Stillin-<lb/>
gen</hi> bei ſeiner Durchreiſe ſeine Geſchichte erzaͤhlt hatte; er er-<lb/>
zaͤhlte dem ehrlichen Alten ſein neues Gluͤck, dieſer freute ſich,<lb/>
wie es ſchien, nicht ſo ſonderlich daruͤber, doch ſagte er: das<lb/>
iſt ſchon fuͤr Sie ein huͤbſcher Anfang. <hirendition="#g">Stilling</hi> dachte da-<lb/>
bei: der Mann kann ſeine Urſache haben, daß er ſo ſpricht.</p><lb/><p>Nun gingen ſie noch eine halbe Stunde weiter, und kamen<lb/>
an <hirendition="#g">Hochbergs</hi> Haus an. Dieſes lag in einem kleinen an-<lb/>
genehmen Thal an einem ſchoͤnen Bach, nicht weit von der<lb/>
Landſtraße, die Stilling gekommen war. Als ſie ins Haus<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[213/0221]
behalten, allein das war vergebens, das Handwerk ſtank ihn
an, Zeit und Welt ward ihm lang, bis er an ſeinen beſtimm-
ten Ort kam; doch fuͤhlte er jetzt Etwas in ſeinem Innern,
das dieſem Beruf beſtaͤndig widerſprach; dieß unbekannte Et-
was uͤberzeugte ihn in ſeinem Gemuͤth, daß dieſe Neigung wie-
derum aus dem alten verderbten Grund herruͤhre; dieſes neue
Gewiſſen, wenn ich ſo reden darf, war erſt ſeit dem gemelde-
ten Sonntag in ihm aufgewacht, da er eine ſo gewaltige Ver-
aͤnderung bei ſich verſpuͤrt hatte. Dieſe Ueberzeugung kraͤnkte
ihn, er fuͤhlte wohl, daß ſie wahr war, allein ſeine Neigung
war allzu ſtark, er konnte ihr nicht widerſtehen; dazu fand
ſich eine Art von Schlange bei ihm ein, welche ſich durch
die Vernunft zu helfen ſuchte, indem ſie ihm vorſtellte: Ja,
ſollte Gott das wohl haben wollen, daß du da ewig an der
Naͤhnadel ſitzen bleiben ſollſt, und deine Talente vergraͤbſt?
Keineswegs! du mußt bei der erſten Gelegenheit damit wu-
chern, laß dich das nicht weiß machen, es iſt blos eine hypo-
chondriſche Grille; alsdann warf das Gewiſſen wieder ein:
Wie oft haſt du aber mit deinen Talenten in der Unterwei-
ſung der Jugend wuchern wollen, und wie iſts dir dabei ge-
gangen? — Die Schlange wußte dagegen einzuwenden: das
ſeyen lauter Laͤuterungen geweſen, die ihn zu einem wichtigen
Geſchaͤft haͤtten tuͤchtig machen ſollen. Nun glaubte Stil-
ling der Schlange, und das Gewiſſen ſchwieg.
Schon den folgenden Sonntag kam ein Bote von Herrn
Hochberg, der Stilling abholte. Alle weinten bei ſeinem
Abſchied, er aber ging mit Freuden. Als ſie nach Holzheim
kamen, ſo gingen ſie zu dem alten Brauer, der Stillin-
gen bei ſeiner Durchreiſe ſeine Geſchichte erzaͤhlt hatte; er er-
zaͤhlte dem ehrlichen Alten ſein neues Gluͤck, dieſer freute ſich,
wie es ſchien, nicht ſo ſonderlich daruͤber, doch ſagte er: das
iſt ſchon fuͤr Sie ein huͤbſcher Anfang. Stilling dachte da-
bei: der Mann kann ſeine Urſache haben, daß er ſo ſpricht.
Nun gingen ſie noch eine halbe Stunde weiter, und kamen
an Hochbergs Haus an. Dieſes lag in einem kleinen an-
genehmen Thal an einem ſchoͤnen Bach, nicht weit von der
Landſtraße, die Stilling gekommen war. Als ſie ins Haus
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/221>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.