traten, so kam die Frau Hochberg aus der Stube heraus. Sie war prächtig gekleidet, und eine Dame von ungemeiner Schönheit; sie grüßte Stillingen freundlich, und hieß ihn in die Stube gehen; er ging hinein, und fand ein herrlich meublirtes und schön tapezirtes Zimmer; zwei wackere junge Knaben kamen herein, nebst einem artigen Mädchen; die Kna- ben waren in rothe scharlachene Kleider auf Husaren-Manier gekleidet, das Mädchen aber völlig im Ton einer jungen Prin- zessin. Die guten Kinder kamen, um dem neuen Lehrmeister ihre Aufwartung zu machen, sie bückten sich nach der Kunst, und traten herzu, um ihm die Hand zu küssen. Das war Stilingen nun in seinem Leben nicht wiederfahren, er wußte sich gar nicht darein zu schicken, noch was er sagen sollte; sie ergriffen seine Hand; da er ihnen nun die hohle Hand hinhielt, so mußten sie sich plagen, dieselbe herum zu drehen, um mit dem kleinen Mäulchen oben auf die Hand zu kom- men. Nun merkte Stilling, wie man sich bei der Gelegen- heit anstellen müsse. Die Kinder aber hüpften wieder fort, und waren froh, daß sie ihre Sache vollendet hatten.
Herr Hochberg und sein alter Schwiegervater waren in die Kirche gegangen. Die Frau aber war in der Küche, um ein und anderes zu veranstalten, also befand sich Stilling allein in der Stube; er merkte sehr wohl, was hier zu thun war, und daß ihm zwei wesentliche Stücke fehlten, um Hoch- bergs Hauslehrer zu seyn. Er verstand die Complimentir- Kunst gar nicht; ob er gleich nicht in dummer Grobheit er- zogen war, so hatte er sich doch noch in seinem Leben nicht gebückt, alles war bis dahin Gruß und Händedruck gewesen. Die Sprache war sein vaterländischer Dialect, worinnen er, aufs höchste genommen, Jemand mit dem Wörtchen Sie be- ehren konnte. Und vors zweite: seine Kleider waren nicht modisch, und dazu nicht einmal gut, sondern schlecht und ab- getragen; er hatte zwar bei Meister Nagel acht Gulden ver- dient; allein, was war das in so großem Mangel? -- Er hatte für zwei Gulden neue Schuh, für zwei einen Hut, für zwei ein Hemd angeschafft, und zwei Gulden hatte er also noch in der Tasche. Alle diese Anlagen aber waren noch kaum
traten, ſo kam die Frau Hochberg aus der Stube heraus. Sie war praͤchtig gekleidet, und eine Dame von ungemeiner Schoͤnheit; ſie gruͤßte Stillingen freundlich, und hieß ihn in die Stube gehen; er ging hinein, und fand ein herrlich meublirtes und ſchoͤn tapezirtes Zimmer; zwei wackere junge Knaben kamen herein, nebſt einem artigen Maͤdchen; die Kna- ben waren in rothe ſcharlachene Kleider auf Huſaren-Manier gekleidet, das Maͤdchen aber voͤllig im Ton einer jungen Prin- zeſſin. Die guten Kinder kamen, um dem neuen Lehrmeiſter ihre Aufwartung zu machen, ſie buͤckten ſich nach der Kunſt, und traten herzu, um ihm die Hand zu kuͤſſen. Das war Stilingen nun in ſeinem Leben nicht wiederfahren, er wußte ſich gar nicht darein zu ſchicken, noch was er ſagen ſollte; ſie ergriffen ſeine Hand; da er ihnen nun die hohle Hand hinhielt, ſo mußten ſie ſich plagen, dieſelbe herum zu drehen, um mit dem kleinen Maͤulchen oben auf die Hand zu kom- men. Nun merkte Stilling, wie man ſich bei der Gelegen- heit anſtellen muͤſſe. Die Kinder aber huͤpften wieder fort, und waren froh, daß ſie ihre Sache vollendet hatten.
Herr Hochberg und ſein alter Schwiegervater waren in die Kirche gegangen. Die Frau aber war in der Kuͤche, um ein und anderes zu veranſtalten, alſo befand ſich Stilling allein in der Stube; er merkte ſehr wohl, was hier zu thun war, und daß ihm zwei weſentliche Stuͤcke fehlten, um Hoch- bergs Hauslehrer zu ſeyn. Er verſtand die Complimentir- Kunſt gar nicht; ob er gleich nicht in dummer Grobheit er- zogen war, ſo hatte er ſich doch noch in ſeinem Leben nicht gebuͤckt, alles war bis dahin Gruß und Haͤndedruck geweſen. Die Sprache war ſein vaterlaͤndiſcher Dialect, worinnen er, aufs hoͤchſte genommen, Jemand mit dem Woͤrtchen Sie be- ehren konnte. Und vors zweite: ſeine Kleider waren nicht modiſch, und dazu nicht einmal gut, ſondern ſchlecht und ab- getragen; er hatte zwar bei Meiſter Nagel acht Gulden ver- dient; allein, was war das in ſo großem Mangel? — Er hatte fuͤr zwei Gulden neue Schuh, fuͤr zwei einen Hut, fuͤr zwei ein Hemd angeſchafft, und zwei Gulden hatte er alſo noch in der Taſche. Alle dieſe Anlagen aber waren noch kaum
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traten, ſo kam die Frau Hochberg aus der Stube heraus.
Sie war praͤchtig gekleidet, und eine Dame von ungemeiner
Schoͤnheit; ſie gruͤßte Stillingen freundlich, und hieß ihn
in die Stube gehen; er ging hinein, und fand ein herrlich
meublirtes und ſchoͤn tapezirtes Zimmer; zwei wackere junge
Knaben kamen herein, nebſt einem artigen Maͤdchen; die Kna-
ben waren in rothe ſcharlachene Kleider auf Huſaren-Manier
gekleidet, das Maͤdchen aber voͤllig im Ton einer jungen Prin-
zeſſin. Die guten Kinder kamen, um dem neuen Lehrmeiſter
ihre Aufwartung zu machen, ſie buͤckten ſich nach der Kunſt,
und traten herzu, um ihm die Hand zu kuͤſſen. Das war
Stilingen nun in ſeinem Leben nicht wiederfahren, er wußte
ſich gar nicht darein zu ſchicken, noch was er ſagen ſollte;
ſie ergriffen ſeine Hand; da er ihnen nun die hohle Hand
hinhielt, ſo mußten ſie ſich plagen, dieſelbe herum zu drehen,
um mit dem kleinen Maͤulchen oben auf die Hand zu kom-
men. Nun merkte Stilling, wie man ſich bei der Gelegen-
heit anſtellen muͤſſe. Die Kinder aber huͤpften wieder fort,
und waren froh, daß ſie ihre Sache vollendet hatten.
Herr Hochberg und ſein alter Schwiegervater waren in
die Kirche gegangen. Die Frau aber war in der Kuͤche, um
ein und anderes zu veranſtalten, alſo befand ſich Stilling
allein in der Stube; er merkte ſehr wohl, was hier zu thun
war, und daß ihm zwei weſentliche Stuͤcke fehlten, um Hoch-
bergs Hauslehrer zu ſeyn. Er verſtand die Complimentir-
Kunſt gar nicht; ob er gleich nicht in dummer Grobheit er-
zogen war, ſo hatte er ſich doch noch in ſeinem Leben nicht
gebuͤckt, alles war bis dahin Gruß und Haͤndedruck geweſen.
Die Sprache war ſein vaterlaͤndiſcher Dialect, worinnen er,
aufs hoͤchſte genommen, Jemand mit dem Woͤrtchen Sie be-
ehren konnte. Und vors zweite: ſeine Kleider waren nicht
modiſch, und dazu nicht einmal gut, ſondern ſchlecht und ab-
getragen; er hatte zwar bei Meiſter Nagel acht Gulden ver-
dient; allein, was war das in ſo großem Mangel? — Er
hatte fuͤr zwei Gulden neue Schuh, fuͤr zwei einen Hut, fuͤr
zwei ein Hemd angeſchafft, und zwei Gulden hatte er alſo
noch in der Taſche. Alle dieſe Anlagen aber waren noch kaum
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/222>, abgerufen am 04.12.2024.
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