platt und scharf vorwärts, das er auch immer sehr weit vor- wärts trug, sein rabenschwarzes Haar war rund um gekräu- selt; sonst war er schmal, lang und schön gewachsen.
Stilling erschrack einigermaßen vor diesem seltsamen Ge- sichte, ließ aber doch nichts merken, sondern grüßte ihn, und trug ihm sein Vorhaben vor. Herr Heesfeld nahm ihn freundlich auf, und sagte: ich werde an Ihnen thun was ich vermag. Stilling suchte sich nun ein Quartier, und fing sein Studium der französischen Sprache an, und zwar folgenderge- stalt. Des Vormittags von acht bis eilf Uhr wohnte er der ordentlichen Schule bei, des Nachmittags von zwei bis fünf auch, er saß aber mit Heesfeld an einem Tisch, sie sprachen immer, und hatten Zeitvertreib zusammen, wenn aber die Schule aus war, so gingen sie spazieren.
So sonderlich als Heesfeld gebildet war, so sonderlich war er auch in seinem Leben und Wandel. Er gehörte zur Classe der Launer wie ehemals Glaser auch, denn er sagte Niemand was er dachte, kein Mensch wußte wo er her war, und eben so wenig wußte Jemand, ob er arm oder reich war. Vielleicht hat er Niemand in seinem Leben zärtlicher geliebt als Stillin- gen, und doch hat dieser erst nach seinem Tode inne geworden, wo er her war, und daß er ein reicher Mann gewesen.
Seine sonderliche Denkungsart leuchtete auch daraus hervor, daß er immer seine Geschicklichkeit verbarg, und nur so viel davon blicken ließ, als just nöthig war. Daß er vollkommen französisch verstand, äußerte sich alle Tage, daß er aber auch ein vortrefflicher Lateiner war, das zeigte sich erst, als Stilling zu ihm kam, mit welchem er die Information auf den Fuß der lateinischen Grammatik einrichtete, und täglich mit ihm latei- nische Verse machte, die unvergleichlich schön waren. Zeichnen, Tanzen, Physik und Chymie verstand er in einem hohem Grad; und noch zwei Tage vor Stillings Abreise traf es sich, daß letzterer in seiner Gesellschaft auf einem Clavier spielte. Hees- feld hörte zu. Als Stilling aufhörte, setzte er sich hin, und that anfänglich, als wenn er in seinem Leben kein Clavier be- rührt hätte, aber in weniger als fünf Minuten fing er so tref- flich melancholisch-fürchterlich an zu phantasiren, daß einem die
platt und ſcharf vorwaͤrts, das er auch immer ſehr weit vor- waͤrts trug, ſein rabenſchwarzes Haar war rund um gekraͤu- ſelt; ſonſt war er ſchmal, lang und ſchoͤn gewachſen.
Stilling erſchrack einigermaßen vor dieſem ſeltſamen Ge- ſichte, ließ aber doch nichts merken, ſondern gruͤßte ihn, und trug ihm ſein Vorhaben vor. Herr Heesfeld nahm ihn freundlich auf, und ſagte: ich werde an Ihnen thun was ich vermag. Stilling ſuchte ſich nun ein Quartier, und fing ſein Studium der franzoͤſiſchen Sprache an, und zwar folgenderge- ſtalt. Des Vormittags von acht bis eilf Uhr wohnte er der ordentlichen Schule bei, des Nachmittags von zwei bis fuͤnf auch, er ſaß aber mit Heesfeld an einem Tiſch, ſie ſprachen immer, und hatten Zeitvertreib zuſammen, wenn aber die Schule aus war, ſo gingen ſie ſpazieren.
So ſonderlich als Heesfeld gebildet war, ſo ſonderlich war er auch in ſeinem Leben und Wandel. Er gehoͤrte zur Claſſe der Launer wie ehemals Glaſer auch, denn er ſagte Niemand was er dachte, kein Menſch wußte wo er her war, und eben ſo wenig wußte Jemand, ob er arm oder reich war. Vielleicht hat er Niemand in ſeinem Leben zaͤrtlicher geliebt als Stillin- gen, und doch hat dieſer erſt nach ſeinem Tode inne geworden, wo er her war, und daß er ein reicher Mann geweſen.
Seine ſonderliche Denkungsart leuchtete auch daraus hervor, daß er immer ſeine Geſchicklichkeit verbarg, und nur ſo viel davon blicken ließ, als juſt noͤthig war. Daß er vollkommen franzoͤſiſch verſtand, aͤußerte ſich alle Tage, daß er aber auch ein vortrefflicher Lateiner war, das zeigte ſich erſt, als Stilling zu ihm kam, mit welchem er die Information auf den Fuß der lateiniſchen Grammatik einrichtete, und taͤglich mit ihm latei- niſche Verſe machte, die unvergleichlich ſchoͤn waren. Zeichnen, Tanzen, Phyſik und Chymie verſtand er in einem hohem Grad; und noch zwei Tage vor Stillings Abreiſe traf es ſich, daß letzterer in ſeiner Geſellſchaft auf einem Clavier ſpielte. Hees- feld hoͤrte zu. Als Stilling aufhoͤrte, ſetzte er ſich hin, und that anfaͤnglich, als wenn er in ſeinem Leben kein Clavier be- ruͤhrt haͤtte, aber in weniger als fuͤnf Minuten fing er ſo tref- flich melancholiſch-fuͤrchterlich an zu phantaſiren, daß einem die
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platt und ſcharf vorwaͤrts, das er auch immer ſehr weit vor-
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ſelt; ſonſt war er ſchmal, lang und ſchoͤn gewachſen.
Stilling erſchrack einigermaßen vor dieſem ſeltſamen Ge-
ſichte, ließ aber doch nichts merken, ſondern gruͤßte ihn, und
trug ihm ſein Vorhaben vor. Herr Heesfeld nahm ihn
freundlich auf, und ſagte: ich werde an Ihnen thun was ich
vermag. Stilling ſuchte ſich nun ein Quartier, und fing ſein
Studium der franzoͤſiſchen Sprache an, und zwar folgenderge-
ſtalt. Des Vormittags von acht bis eilf Uhr wohnte er der
ordentlichen Schule bei, des Nachmittags von zwei bis fuͤnf
auch, er ſaß aber mit Heesfeld an einem Tiſch, ſie ſprachen
immer, und hatten Zeitvertreib zuſammen, wenn aber die Schule
aus war, ſo gingen ſie ſpazieren.
So ſonderlich als Heesfeld gebildet war, ſo ſonderlich war
er auch in ſeinem Leben und Wandel. Er gehoͤrte zur Claſſe
der Launer wie ehemals Glaſer auch, denn er ſagte Niemand
was er dachte, kein Menſch wußte wo er her war, und eben ſo
wenig wußte Jemand, ob er arm oder reich war. Vielleicht
hat er Niemand in ſeinem Leben zaͤrtlicher geliebt als Stillin-
gen, und doch hat dieſer erſt nach ſeinem Tode inne geworden,
wo er her war, und daß er ein reicher Mann geweſen.
Seine ſonderliche Denkungsart leuchtete auch daraus hervor,
daß er immer ſeine Geſchicklichkeit verbarg, und nur ſo viel
davon blicken ließ, als juſt noͤthig war. Daß er vollkommen
franzoͤſiſch verſtand, aͤußerte ſich alle Tage, daß er aber auch
ein vortrefflicher Lateiner war, das zeigte ſich erſt, als Stilling
zu ihm kam, mit welchem er die Information auf den Fuß der
lateiniſchen Grammatik einrichtete, und taͤglich mit ihm latei-
niſche Verſe machte, die unvergleichlich ſchoͤn waren. Zeichnen,
Tanzen, Phyſik und Chymie verſtand er in einem hohem Grad;
und noch zwei Tage vor Stillings Abreiſe traf es ſich, daß
letzterer in ſeiner Geſellſchaft auf einem Clavier ſpielte. Hees-
feld hoͤrte zu. Als Stilling aufhoͤrte, ſetzte er ſich hin, und
that anfaͤnglich, als wenn er in ſeinem Leben kein Clavier be-
ruͤhrt haͤtte, aber in weniger als fuͤnf Minuten fing er ſo tref-
flich melancholiſch-fuͤrchterlich an zu phantaſiren, daß einem die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/245>, abgerufen am 25.11.2024.
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