Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Haare zu Berge standen; allmählig schwung er sich zum me-
lancholisch-zärtlichen, von da ins cholerisch-feurige, darauf ins
gelassene ruhige, phantasirte eine phlegmatische Murqui, darauf
ein sanguinisch-zärtliches Adagio, dann ein Allegro, und nun
schloß er mit einer lustigen Menuette aus D dur. Stilling
hätte zerschmelzen mögen über seine empfindsame Art zu Spie-
len, und bewunderte diesen Mann aus der Massen.

Heesfeld war in seiner Jugend in Kriegsdienste gegangen;
wegen seiner Geschicklichkeit wurde er von einem hohen Officier
in seine eigenen Dienste genommen, der ihn in Allem hatte un-
terrichten lassen, wozu er nur Lust gehabt hatte; mit diesem
Herrn war er durch die Welt gereist, der nach zwanzig Jahren
starb, und ihm ein schönes Stück Geld vermachte. Heesfeld
war nun vierzig Jahre alt, reiste nach Haus, aber nicht zu sei-
nen Eltern und Freunden, sondern er nahm einen fremden Ge-
schlechtsnamen an, ging nach Dornfeld als französischer Sprach-
meister, und obgleich seine Eltern und zween Brüder nur zwei
Stunden von ihm ab wohnten, so wußten sie doch gar nichts
von ihm, sondern sie glaubten, er sey in der Fremde gestorben;
auf seinem Todtbette aber hat er sich seinen Brüdern zu erken-
nen gegeben, ihnen seine Umstände erzählt, und eine reichliche
Erbschaft hinterlassen: und nach seinem System war es auch
da noch früh genug.

Man nenne dieses nun Fehler oder Tugend, er hatte bei dem
allem eine edle Seele; seine Menschenliebe war auf einen hohen
Grad gestiegen, aber er handelte in Geheim; auch denen er Gu-
tes that, die durftens nicht wissen. Nichts konnte ihn mehr er-
götzen, als wenn er hörte, daß die Leute nicht wüßten, was sie
aus ihm machen sollten.

Wenn er mit Stilling spazieren ging, so sprachen sie von
Künsten und Wissenschaften. Ihr Weg ging immer in die wil-
desten Einöden, dann stieg Heesfeld auf einen schwankenden
Baum, der sich gut biegen ließ, setzte sich oben in den Gipfel,
hielt sich fest, und wiegte sich mit ihm auf die Erde, legte sich
eine Weile in die Aeste und ruhete. Stilling machte ihm das
dann nach, und so lagen sie und plauderten; wenn sie dessen
müde waren, so standen sie auf und dann richteten sich die

Haare zu Berge ſtanden; allmaͤhlig ſchwung er ſich zum me-
lancholiſch-zaͤrtlichen, von da ins choleriſch-feurige, darauf ins
gelaſſene ruhige, phantaſirte eine phlegmatiſche Murqui, darauf
ein ſanguiniſch-zaͤrtliches Adagio, dann ein Allegro, und nun
ſchloß er mit einer luſtigen Menuette aus D dur. Stilling
haͤtte zerſchmelzen moͤgen uͤber ſeine empfindſame Art zu Spie-
len, und bewunderte dieſen Mann aus der Maſſen.

Heesfeld war in ſeiner Jugend in Kriegsdienſte gegangen;
wegen ſeiner Geſchicklichkeit wurde er von einem hohen Officier
in ſeine eigenen Dienſte genommen, der ihn in Allem hatte un-
terrichten laſſen, wozu er nur Luſt gehabt hatte; mit dieſem
Herrn war er durch die Welt gereist, der nach zwanzig Jahren
ſtarb, und ihm ein ſchoͤnes Stuͤck Geld vermachte. Heesfeld
war nun vierzig Jahre alt, reiste nach Haus, aber nicht zu ſei-
nen Eltern und Freunden, ſondern er nahm einen fremden Ge-
ſchlechtsnamen an, ging nach Dornfeld als franzoͤſiſcher Sprach-
meiſter, und obgleich ſeine Eltern und zween Bruͤder nur zwei
Stunden von ihm ab wohnten, ſo wußten ſie doch gar nichts
von ihm, ſondern ſie glaubten, er ſey in der Fremde geſtorben;
auf ſeinem Todtbette aber hat er ſich ſeinen Bruͤdern zu erken-
nen gegeben, ihnen ſeine Umſtaͤnde erzaͤhlt, und eine reichliche
Erbſchaft hinterlaſſen: und nach ſeinem Syſtem war es auch
da noch fruͤh genug.

Man nenne dieſes nun Fehler oder Tugend, er hatte bei dem
allem eine edle Seele; ſeine Menſchenliebe war auf einen hohen
Grad geſtiegen, aber er handelte in Geheim; auch denen er Gu-
tes that, die durftens nicht wiſſen. Nichts konnte ihn mehr er-
goͤtzen, als wenn er hoͤrte, daß die Leute nicht wuͤßten, was ſie
aus ihm machen ſollten.

Wenn er mit Stilling ſpazieren ging, ſo ſprachen ſie von
Kuͤnſten und Wiſſenſchaften. Ihr Weg ging immer in die wil-
deſten Einoͤden, dann ſtieg Heesfeld auf einen ſchwankenden
Baum, der ſich gut biegen ließ, ſetzte ſich oben in den Gipfel,
hielt ſich feſt, und wiegte ſich mit ihm auf die Erde, legte ſich
eine Weile in die Aeſte und ruhete. Stilling machte ihm das
dann nach, und ſo lagen ſie und plauderten; wenn ſie deſſen
muͤde waren, ſo ſtanden ſie auf und dann richteten ſich die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0246" n="238"/>
Haare zu Berge &#x017F;tanden; allma&#x0364;hlig &#x017F;chwung er &#x017F;ich zum me-<lb/>
lancholi&#x017F;ch-za&#x0364;rtlichen, von da ins choleri&#x017F;ch-feurige, darauf ins<lb/>
gela&#x017F;&#x017F;ene ruhige, phanta&#x017F;irte eine phlegmati&#x017F;che Murqui, darauf<lb/>
ein &#x017F;anguini&#x017F;ch-za&#x0364;rtliches Adagio, dann ein Allegro, und nun<lb/>
&#x017F;chloß er mit einer lu&#x017F;tigen Menuette aus <hi rendition="#aq">D</hi> dur. <hi rendition="#g">Stilling</hi><lb/>
ha&#x0364;tte zer&#x017F;chmelzen mo&#x0364;gen u&#x0364;ber &#x017F;eine empfind&#x017F;ame Art zu Spie-<lb/>
len, und bewunderte die&#x017F;en Mann aus der Ma&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Heesfeld</hi> war in &#x017F;einer Jugend in Kriegsdien&#x017F;te gegangen;<lb/>
wegen &#x017F;einer Ge&#x017F;chicklichkeit wurde er von einem hohen Officier<lb/>
in &#x017F;eine eigenen Dien&#x017F;te genommen, der ihn in Allem hatte un-<lb/>
terrichten la&#x017F;&#x017F;en, wozu er nur Lu&#x017F;t gehabt hatte; mit die&#x017F;em<lb/>
Herrn war er durch die Welt gereist, der nach zwanzig Jahren<lb/>
&#x017F;tarb, und ihm ein &#x017F;cho&#x0364;nes Stu&#x0364;ck Geld vermachte. <hi rendition="#g">Heesfeld</hi><lb/>
war nun vierzig Jahre alt, reiste nach Haus, aber nicht zu &#x017F;ei-<lb/>
nen Eltern und Freunden, &#x017F;ondern er nahm einen fremden Ge-<lb/>
&#x017F;chlechtsnamen an, ging nach Dornfeld als franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;cher Sprach-<lb/>
mei&#x017F;ter, und obgleich &#x017F;eine Eltern und zween Bru&#x0364;der nur zwei<lb/>
Stunden von ihm ab wohnten, &#x017F;o wußten &#x017F;ie doch gar nichts<lb/>
von ihm, &#x017F;ondern &#x017F;ie glaubten, er &#x017F;ey in der Fremde ge&#x017F;torben;<lb/>
auf &#x017F;einem Todtbette aber hat er &#x017F;ich &#x017F;einen Bru&#x0364;dern zu erken-<lb/>
nen gegeben, ihnen &#x017F;eine Um&#x017F;ta&#x0364;nde erza&#x0364;hlt, und eine reichliche<lb/>
Erb&#x017F;chaft hinterla&#x017F;&#x017F;en: und nach &#x017F;einem Sy&#x017F;tem war es auch<lb/>
da noch fru&#x0364;h genug.</p><lb/>
            <p>Man nenne die&#x017F;es nun Fehler oder Tugend, er hatte bei dem<lb/>
allem eine edle Seele; &#x017F;eine Men&#x017F;chenliebe war auf einen hohen<lb/>
Grad ge&#x017F;tiegen, aber er handelte in Geheim; auch denen er Gu-<lb/>
tes that, die durftens nicht wi&#x017F;&#x017F;en. Nichts konnte ihn mehr er-<lb/>
go&#x0364;tzen, als wenn er ho&#x0364;rte, daß die Leute nicht wu&#x0364;ßten, was &#x017F;ie<lb/>
aus ihm machen &#x017F;ollten.</p><lb/>
            <p>Wenn er mit <hi rendition="#g">Stilling</hi> &#x017F;pazieren ging, &#x017F;o &#x017F;prachen &#x017F;ie von<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;ten und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften. Ihr Weg ging immer in die wil-<lb/>
de&#x017F;ten Eino&#x0364;den, dann &#x017F;tieg <hi rendition="#g">Heesfeld</hi> auf einen &#x017F;chwankenden<lb/>
Baum, der &#x017F;ich gut biegen ließ, &#x017F;etzte &#x017F;ich oben in den Gipfel,<lb/>
hielt &#x017F;ich fe&#x017F;t, und wiegte &#x017F;ich mit ihm auf die Erde, legte &#x017F;ich<lb/>
eine Weile in die Ae&#x017F;te und ruhete. <hi rendition="#g">Stilling</hi> machte ihm das<lb/>
dann nach, und &#x017F;o lagen &#x017F;ie und plauderten; wenn &#x017F;ie de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
mu&#x0364;de waren, &#x017F;o &#x017F;tanden &#x017F;ie auf und dann richteten &#x017F;ich die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0246] Haare zu Berge ſtanden; allmaͤhlig ſchwung er ſich zum me- lancholiſch-zaͤrtlichen, von da ins choleriſch-feurige, darauf ins gelaſſene ruhige, phantaſirte eine phlegmatiſche Murqui, darauf ein ſanguiniſch-zaͤrtliches Adagio, dann ein Allegro, und nun ſchloß er mit einer luſtigen Menuette aus D dur. Stilling haͤtte zerſchmelzen moͤgen uͤber ſeine empfindſame Art zu Spie- len, und bewunderte dieſen Mann aus der Maſſen. Heesfeld war in ſeiner Jugend in Kriegsdienſte gegangen; wegen ſeiner Geſchicklichkeit wurde er von einem hohen Officier in ſeine eigenen Dienſte genommen, der ihn in Allem hatte un- terrichten laſſen, wozu er nur Luſt gehabt hatte; mit dieſem Herrn war er durch die Welt gereist, der nach zwanzig Jahren ſtarb, und ihm ein ſchoͤnes Stuͤck Geld vermachte. Heesfeld war nun vierzig Jahre alt, reiste nach Haus, aber nicht zu ſei- nen Eltern und Freunden, ſondern er nahm einen fremden Ge- ſchlechtsnamen an, ging nach Dornfeld als franzoͤſiſcher Sprach- meiſter, und obgleich ſeine Eltern und zween Bruͤder nur zwei Stunden von ihm ab wohnten, ſo wußten ſie doch gar nichts von ihm, ſondern ſie glaubten, er ſey in der Fremde geſtorben; auf ſeinem Todtbette aber hat er ſich ſeinen Bruͤdern zu erken- nen gegeben, ihnen ſeine Umſtaͤnde erzaͤhlt, und eine reichliche Erbſchaft hinterlaſſen: und nach ſeinem Syſtem war es auch da noch fruͤh genug. Man nenne dieſes nun Fehler oder Tugend, er hatte bei dem allem eine edle Seele; ſeine Menſchenliebe war auf einen hohen Grad geſtiegen, aber er handelte in Geheim; auch denen er Gu- tes that, die durftens nicht wiſſen. Nichts konnte ihn mehr er- goͤtzen, als wenn er hoͤrte, daß die Leute nicht wuͤßten, was ſie aus ihm machen ſollten. Wenn er mit Stilling ſpazieren ging, ſo ſprachen ſie von Kuͤnſten und Wiſſenſchaften. Ihr Weg ging immer in die wil- deſten Einoͤden, dann ſtieg Heesfeld auf einen ſchwankenden Baum, der ſich gut biegen ließ, ſetzte ſich oben in den Gipfel, hielt ſich feſt, und wiegte ſich mit ihm auf die Erde, legte ſich eine Weile in die Aeſte und ruhete. Stilling machte ihm das dann nach, und ſo lagen ſie und plauderten; wenn ſie deſſen muͤde waren, ſo ſtanden ſie auf und dann richteten ſich die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/246
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/246>, abgerufen am 24.11.2024.