nach seiner Stirn, seinen Augen, Nase, Mund, Kinn und Wangen. Indessen gerieth sie auch mit den steifen Fingern in seine Haare, sie fühlte den Puder: So! sagte sie; Du bist der Erste, der aus unserer Familie seine Haare pudert, sey aber nicht der Erste, der auch Gottesfurcht und Redlichkeit ver- gißt! Nun, fuhr sie fort: kann ich dich mir vorstellen, als wenn ich dich sähe; erzähle mir nun auch, wie es dir gegan- gen hat, und wie es dir nun geht. Stilling erzählte ihr Alles kurz und bündig. Als er ausgeredet hatte, fing sie an: Höre, Heinrich! sey demüthig und fromm, so wirds Dir wohl gehen, schäme Dich nie Deines Herkommens und deiner armen Freunde, Du magst so groß werden in der Welt als Du willst. Wer gering ist, kann durch Demuth groß werden, und wer vornehm ist, kann durch Stolz gering werden; wenn ich nun todt bin, so ists einerlei, was ich in der Welt gewesen bin, wenn ich nur christlich gelebt habe.
Stilling mußte ihr mit Hand und Mund Alles dieses angeloben. Nachdem er nun noch ein und anderes mit ihr ge- redet hatte, nahm er schnell Abschied von ihr, das Herz brach ihm, denn er wußte, daß er sie in diesem Leben nicht wieder sehen würde; sie war am Rande des Todes; allein sie griff ihm die Hand, hielt ihn fest, und sagte: Du eilst -- Gott sey mit Dir, mein Kind! vor dem Thron Gottes seh ich Dich wieder! Er drückte ihr die Hand und weinte. Sie merkte das: Nein! fuhr sie fort, weine nicht über mich! mir gehts wohl, ich empfehle Dich Gott von Herzen in seine väterlichen Hände, der wolle Dich segnen, und vor allem Bösen bewahren! Nun geh' in Gottes Namen! Stilling riß sich los, lief aus dem Hause weg, und ist auch seitdem nicht wieder dahin gekommen. Einige Tage nachher starb Margarethe Stilling; sie liegt zu Florenburg neben ihrem Mann begraben.
Nun war's Stilling, als wenn ihm sein Vaterland zu- wider wäre; er machte sich fort und eilte wieder in die Fremde, kam auch bei Herrn Spanier wieder an, nachdem er fünf Tage ausgeblieben war.
Ich will mich mit Stillings einförmiger Lebensart und Verrichtungen, die ersten vier Jahre durch, nicht aufhalten,
nach ſeiner Stirn, ſeinen Augen, Naſe, Mund, Kinn und Wangen. Indeſſen gerieth ſie auch mit den ſteifen Fingern in ſeine Haare, ſie fuͤhlte den Puder: So! ſagte ſie; Du biſt der Erſte, der aus unſerer Familie ſeine Haare pudert, ſey aber nicht der Erſte, der auch Gottesfurcht und Redlichkeit ver- gißt! Nun, fuhr ſie fort: kann ich dich mir vorſtellen, als wenn ich dich ſaͤhe; erzaͤhle mir nun auch, wie es dir gegan- gen hat, und wie es dir nun geht. Stilling erzaͤhlte ihr Alles kurz und buͤndig. Als er ausgeredet hatte, fing ſie an: Hoͤre, Heinrich! ſey demuͤthig und fromm, ſo wirds Dir wohl gehen, ſchaͤme Dich nie Deines Herkommens und deiner armen Freunde, Du magſt ſo groß werden in der Welt als Du willſt. Wer gering iſt, kann durch Demuth groß werden, und wer vornehm iſt, kann durch Stolz gering werden; wenn ich nun todt bin, ſo iſts einerlei, was ich in der Welt geweſen bin, wenn ich nur chriſtlich gelebt habe.
Stilling mußte ihr mit Hand und Mund Alles dieſes angeloben. Nachdem er nun noch ein und anderes mit ihr ge- redet hatte, nahm er ſchnell Abſchied von ihr, das Herz brach ihm, denn er wußte, daß er ſie in dieſem Leben nicht wieder ſehen wuͤrde; ſie war am Rande des Todes; allein ſie griff ihm die Hand, hielt ihn feſt, und ſagte: Du eilſt — Gott ſey mit Dir, mein Kind! vor dem Thron Gottes ſeh ich Dich wieder! Er druͤckte ihr die Hand und weinte. Sie merkte das: Nein! fuhr ſie fort, weine nicht uͤber mich! mir gehts wohl, ich empfehle Dich Gott von Herzen in ſeine vaͤterlichen Haͤnde, der wolle Dich ſegnen, und vor allem Boͤſen bewahren! Nun geh’ in Gottes Namen! Stilling riß ſich los, lief aus dem Hauſe weg, und iſt auch ſeitdem nicht wieder dahin gekommen. Einige Tage nachher ſtarb Margarethe Stilling; ſie liegt zu Florenburg neben ihrem Mann begraben.
Nun war’s Stilling, als wenn ihm ſein Vaterland zu- wider waͤre; er machte ſich fort und eilte wieder in die Fremde, kam auch bei Herrn Spanier wieder an, nachdem er fuͤnf Tage ausgeblieben war.
Ich will mich mit Stillings einfoͤrmiger Lebensart und Verrichtungen, die erſten vier Jahre durch, nicht aufhalten,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0252"n="244"/>
nach ſeiner Stirn, ſeinen Augen, Naſe, Mund, Kinn und<lb/>
Wangen. Indeſſen gerieth ſie auch mit den ſteifen Fingern<lb/>
in ſeine Haare, ſie fuͤhlte den Puder: So! ſagte ſie; Du biſt<lb/>
der Erſte, der aus unſerer Familie ſeine Haare pudert, ſey<lb/>
aber nicht der Erſte, der auch Gottesfurcht und Redlichkeit ver-<lb/>
gißt! Nun, fuhr ſie fort: kann ich <hirendition="#g">dich</hi> mir vorſtellen, als<lb/>
wenn ich dich ſaͤhe; erzaͤhle mir nun auch, wie es dir gegan-<lb/>
gen hat, und wie es dir nun geht. <hirendition="#g">Stilling</hi> erzaͤhlte ihr<lb/>
Alles kurz und buͤndig. Als er ausgeredet hatte, fing<lb/>ſie an: Hoͤre, <hirendition="#g">Heinrich</hi>! ſey demuͤthig und fromm, ſo<lb/>
wirds Dir wohl gehen, ſchaͤme Dich nie Deines Herkommens<lb/>
und deiner armen Freunde, Du magſt ſo groß werden in der<lb/>
Welt als Du willſt. Wer gering iſt, kann durch Demuth<lb/>
groß werden, und wer vornehm iſt, kann durch Stolz gering<lb/>
werden; wenn ich nun todt bin, ſo iſts einerlei, was ich in<lb/>
der Welt geweſen bin, wenn ich nur chriſtlich gelebt habe.</p><lb/><p><hirendition="#g">Stilling</hi> mußte ihr mit Hand und Mund Alles dieſes<lb/>
angeloben. Nachdem er nun noch ein und anderes mit ihr ge-<lb/>
redet hatte, nahm er ſchnell Abſchied von ihr, das Herz brach<lb/>
ihm, denn er wußte, daß er ſie in dieſem Leben nicht wieder<lb/>ſehen wuͤrde; ſie war am Rande des Todes; allein ſie griff<lb/>
ihm die Hand, hielt ihn feſt, und ſagte: Du eilſt — Gott<lb/>ſey mit Dir, mein Kind! vor dem Thron Gottes ſeh ich Dich<lb/>
wieder! Er druͤckte ihr die Hand und weinte. Sie merkte das:<lb/>
Nein! fuhr ſie fort, weine nicht uͤber mich! mir gehts wohl,<lb/>
ich empfehle Dich Gott von Herzen in ſeine vaͤterlichen Haͤnde,<lb/>
der wolle Dich ſegnen, und vor allem Boͤſen bewahren! Nun<lb/>
geh’ in Gottes Namen! Stilling riß ſich los, lief aus dem<lb/>
Hauſe weg, und iſt auch ſeitdem nicht wieder dahin gekommen.<lb/>
Einige Tage nachher ſtarb <hirendition="#g">Margarethe Stilling</hi>; ſie<lb/>
liegt zu <hirendition="#g">Florenburg</hi> neben ihrem Mann begraben.</p><lb/><p>Nun war’s <hirendition="#g">Stilling</hi>, als wenn ihm ſein Vaterland zu-<lb/>
wider waͤre; er machte ſich fort und eilte wieder in die Fremde,<lb/>
kam auch bei Herrn <hirendition="#g">Spanier</hi> wieder an, nachdem er fuͤnf<lb/>
Tage ausgeblieben war.</p><lb/><p>Ich will mich mit <hirendition="#g">Stillings</hi> einfoͤrmiger Lebensart und<lb/>
Verrichtungen, die erſten vier Jahre durch, nicht aufhalten,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[244/0252]
nach ſeiner Stirn, ſeinen Augen, Naſe, Mund, Kinn und
Wangen. Indeſſen gerieth ſie auch mit den ſteifen Fingern
in ſeine Haare, ſie fuͤhlte den Puder: So! ſagte ſie; Du biſt
der Erſte, der aus unſerer Familie ſeine Haare pudert, ſey
aber nicht der Erſte, der auch Gottesfurcht und Redlichkeit ver-
gißt! Nun, fuhr ſie fort: kann ich dich mir vorſtellen, als
wenn ich dich ſaͤhe; erzaͤhle mir nun auch, wie es dir gegan-
gen hat, und wie es dir nun geht. Stilling erzaͤhlte ihr
Alles kurz und buͤndig. Als er ausgeredet hatte, fing
ſie an: Hoͤre, Heinrich! ſey demuͤthig und fromm, ſo
wirds Dir wohl gehen, ſchaͤme Dich nie Deines Herkommens
und deiner armen Freunde, Du magſt ſo groß werden in der
Welt als Du willſt. Wer gering iſt, kann durch Demuth
groß werden, und wer vornehm iſt, kann durch Stolz gering
werden; wenn ich nun todt bin, ſo iſts einerlei, was ich in
der Welt geweſen bin, wenn ich nur chriſtlich gelebt habe.
Stilling mußte ihr mit Hand und Mund Alles dieſes
angeloben. Nachdem er nun noch ein und anderes mit ihr ge-
redet hatte, nahm er ſchnell Abſchied von ihr, das Herz brach
ihm, denn er wußte, daß er ſie in dieſem Leben nicht wieder
ſehen wuͤrde; ſie war am Rande des Todes; allein ſie griff
ihm die Hand, hielt ihn feſt, und ſagte: Du eilſt — Gott
ſey mit Dir, mein Kind! vor dem Thron Gottes ſeh ich Dich
wieder! Er druͤckte ihr die Hand und weinte. Sie merkte das:
Nein! fuhr ſie fort, weine nicht uͤber mich! mir gehts wohl,
ich empfehle Dich Gott von Herzen in ſeine vaͤterlichen Haͤnde,
der wolle Dich ſegnen, und vor allem Boͤſen bewahren! Nun
geh’ in Gottes Namen! Stilling riß ſich los, lief aus dem
Hauſe weg, und iſt auch ſeitdem nicht wieder dahin gekommen.
Einige Tage nachher ſtarb Margarethe Stilling; ſie
liegt zu Florenburg neben ihrem Mann begraben.
Nun war’s Stilling, als wenn ihm ſein Vaterland zu-
wider waͤre; er machte ſich fort und eilte wieder in die Fremde,
kam auch bei Herrn Spanier wieder an, nachdem er fuͤnf
Tage ausgeblieben war.
Ich will mich mit Stillings einfoͤrmiger Lebensart und
Verrichtungen, die erſten vier Jahre durch, nicht aufhalten,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/252>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.