Nun erzählte Stilling seinen Eltern Alles, was ihm be- gegnet war und wie gut es ihm nun ginge. Indessen er- schallte das Gerücht von Stillings Ankunft im ganzen Dorf. Das Haus wurde voller Leute; Alte und Junge kamen, um ihren ehemaligen Schulmeister zu sehen und das ganze Dorf war voll Freude über ihn.
Gegen Abend ging Wilhelm mit seinem Sohne über die Wiesen spazieren. Er redete viel mit ihm von seinen vergan- genen und künftigen Schicksalen, und zwar recht im Ton des alten Stillings, so daß sein Sohn von Ehrfurcht und Liebe durchdrungen war. Endlich fing Wilhelm an: Höre mein Sohn, Du mußt deine Großmutter besuchen, sie liegt elend an der Gicht darnieder, und wird nicht lange mehr leben, sie redet immer von dir, und wünscht noch einmal, vor ihrem Ende mit dir zu sprechen. Des andern Morgens machte sich also Stilling auf, und ging nach Tiefenbach hin. Wie ihm ward, als er das alte Schloß, den Giller, den hitzigen Stein und das Dorf selber sahe! Diese Empfindung läßt sich nicht aussprechen; er untersuchte sich, und fand, wenn er noch sei- nen jetzigen Zustand mit seiner Jugend vertauschen könnte, er würde es gerne thun. Er langte in kurzer Zeit im Dorfe an; alles Volk lief aus, so daß er gleichsam im Gedränge an das ehrwürdige Haus seiner Väter kam. Es schauerte ihn, wie er hineintrat, just als wenn er in einen alten Tempel ginge. Seine Muhme Elisabeth war in der Küche, sie lief auf ihn zu, gab ihm die Hand, weinte, und führte ihn in die Stube; da lag nun seine Großmutter Margarethe Stil- ling in einem saubern Bettchen an der Wand bei dem Ofen; ihre Brust war hoch in die Höhe getrieben. Die Knöchel an ihren Händen waren dick, die Finger steif, und einwärts aus- gereckt. Stilling lief zu ihr, griff ihre Hand und sagte mit Thränen in den Augen: wie gehts, liebe Großmutter? Es ist mir eine Seelenfreude, daß ich Euch noch einmal sehe. Sie suchte sich in die Höhe zu arbeiten, fiel aber ohnmächtig zu- rück. Ach! rief sie: ich kann dich noch einmal vor meinem Ende hören und fühlen, komm doch zu mir, daß ich dich im Gesicht fühlen kann! Stilling bückte sich zu ihr; sie fühlte
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Nun erzaͤhlte Stilling ſeinen Eltern Alles, was ihm be- gegnet war und wie gut es ihm nun ginge. Indeſſen er- ſchallte das Geruͤcht von Stillings Ankunft im ganzen Dorf. Das Haus wurde voller Leute; Alte und Junge kamen, um ihren ehemaligen Schulmeiſter zu ſehen und das ganze Dorf war voll Freude uͤber ihn.
Gegen Abend ging Wilhelm mit ſeinem Sohne uͤber die Wieſen ſpazieren. Er redete viel mit ihm von ſeinen vergan- genen und kuͤnftigen Schickſalen, und zwar recht im Ton des alten Stillings, ſo daß ſein Sohn von Ehrfurcht und Liebe durchdrungen war. Endlich fing Wilhelm an: Hoͤre mein Sohn, Du mußt deine Großmutter beſuchen, ſie liegt elend an der Gicht darnieder, und wird nicht lange mehr leben, ſie redet immer von dir, und wuͤnſcht noch einmal, vor ihrem Ende mit dir zu ſprechen. Des andern Morgens machte ſich alſo Stilling auf, und ging nach Tiefenbach hin. Wie ihm ward, als er das alte Schloß, den Giller, den hitzigen Stein und das Dorf ſelber ſahe! Dieſe Empfindung laͤßt ſich nicht ausſprechen; er unterſuchte ſich, und fand, wenn er noch ſei- nen jetzigen Zuſtand mit ſeiner Jugend vertauſchen koͤnnte, er wuͤrde es gerne thun. Er langte in kurzer Zeit im Dorfe an; alles Volk lief aus, ſo daß er gleichſam im Gedraͤnge an das ehrwuͤrdige Haus ſeiner Vaͤter kam. Es ſchauerte ihn, wie er hineintrat, juſt als wenn er in einen alten Tempel ginge. Seine Muhme Eliſabeth war in der Kuͤche, ſie lief auf ihn zu, gab ihm die Hand, weinte, und fuͤhrte ihn in die Stube; da lag nun ſeine Großmutter Margarethe Stil- ling in einem ſaubern Bettchen an der Wand bei dem Ofen; ihre Bruſt war hoch in die Hoͤhe getrieben. Die Knoͤchel an ihren Haͤnden waren dick, die Finger ſteif, und einwaͤrts aus- gereckt. Stilling lief zu ihr, griff ihre Hand und ſagte mit Thraͤnen in den Augen: wie gehts, liebe Großmutter? Es iſt mir eine Seelenfreude, daß ich Euch noch einmal ſehe. Sie ſuchte ſich in die Hoͤhe zu arbeiten, fiel aber ohnmaͤchtig zu- ruͤck. Ach! rief ſie: ich kann dich noch einmal vor meinem Ende hoͤren und fuͤhlen, komm doch zu mir, daß ich dich im Geſicht fuͤhlen kann! Stilling buͤckte ſich zu ihr; ſie fuͤhlte
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Nun erzaͤhlte Stilling ſeinen Eltern Alles, was ihm be-
gegnet war und wie gut es ihm nun ginge. Indeſſen er-
ſchallte das Geruͤcht von Stillings Ankunft im ganzen Dorf.
Das Haus wurde voller Leute; Alte und Junge kamen, um
ihren ehemaligen Schulmeiſter zu ſehen und das ganze Dorf
war voll Freude uͤber ihn.
Gegen Abend ging Wilhelm mit ſeinem Sohne uͤber die
Wieſen ſpazieren. Er redete viel mit ihm von ſeinen vergan-
genen und kuͤnftigen Schickſalen, und zwar recht im Ton des
alten Stillings, ſo daß ſein Sohn von Ehrfurcht und Liebe
durchdrungen war. Endlich fing Wilhelm an: Hoͤre mein
Sohn, Du mußt deine Großmutter beſuchen, ſie liegt elend
an der Gicht darnieder, und wird nicht lange mehr leben, ſie
redet immer von dir, und wuͤnſcht noch einmal, vor ihrem
Ende mit dir zu ſprechen. Des andern Morgens machte ſich
alſo Stilling auf, und ging nach Tiefenbach hin. Wie ihm
ward, als er das alte Schloß, den Giller, den hitzigen Stein
und das Dorf ſelber ſahe! Dieſe Empfindung laͤßt ſich nicht
ausſprechen; er unterſuchte ſich, und fand, wenn er noch ſei-
nen jetzigen Zuſtand mit ſeiner Jugend vertauſchen koͤnnte, er
wuͤrde es gerne thun. Er langte in kurzer Zeit im Dorfe an;
alles Volk lief aus, ſo daß er gleichſam im Gedraͤnge an das
ehrwuͤrdige Haus ſeiner Vaͤter kam. Es ſchauerte ihn, wie
er hineintrat, juſt als wenn er in einen alten Tempel ginge.
Seine Muhme Eliſabeth war in der Kuͤche, ſie lief auf
ihn zu, gab ihm die Hand, weinte, und fuͤhrte ihn in die
Stube; da lag nun ſeine Großmutter Margarethe Stil-
ling in einem ſaubern Bettchen an der Wand bei dem Ofen;
ihre Bruſt war hoch in die Hoͤhe getrieben. Die Knoͤchel an
ihren Haͤnden waren dick, die Finger ſteif, und einwaͤrts aus-
gereckt. Stilling lief zu ihr, griff ihre Hand und ſagte mit
Thraͤnen in den Augen: wie gehts, liebe Großmutter? Es iſt
mir eine Seelenfreude, daß ich Euch noch einmal ſehe. Sie
ſuchte ſich in die Hoͤhe zu arbeiten, fiel aber ohnmaͤchtig zu-
ruͤck. Ach! rief ſie: ich kann dich noch einmal vor meinem
Ende hoͤren und fuͤhlen, komm doch zu mir, daß ich dich im
Geſicht fuͤhlen kann! Stilling buͤckte ſich zu ihr; ſie fuͤhlte
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/251>, abgerufen am 24.11.2024.
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