ihm nun Spanier beim Abschied nichts, so daß er ohne Geld bei Friedenberg zu Rasenheim ankam. Dieser zahlte ihm aber alsofort hundert Reichsthaler aus, um sich das Nöthigste zu seiner Reise dafür anzuschaffen, und das üb- rige mitzunehmen. Seine christlichen Freunde zu Schönen- thal aber beschenkten ihn mit einem schönen Kleid, und erbo- ten sich zu fernerm Beistand.
Stilling hielt sich nun noch vier Wochen bei seiner Ver- lobten und den Ihrigen auf; während dieser Zeit rüstete er sich aus, nach der hohen Schule zu ziehen. Er hatte sich noch keinen Ort erwählt, wohin, sondern er erwartete einen Wink vom himmlischen Vater; denn weil er aus purem Glauben studiren wollte, so durfte er auch in nichts seinem eigenen Willen folgen.
Nach drei Wochen ging er noch einmal nach Schönenthal, um seine Freunde daselbst zu besuchen. Als er daselbst an- kam, fragte ihn eine sehr theure und liebe Freundin: "Wohin er zu ziehen Willens wäre?" Er antwortete: "Er wüßte es nicht." "Ey! sagte sie: unser Herr Nachbar Troost reist nach Straßburg, um daselbst einen Winter zu bleiben, rei- sen Sie mit demselben!" Dieses fiel Stilling aufs Herz; er fühlte, daß dieses der Wink sey, den er erwartet hatte. Indem trat gemeldter Herr Troost in die Stube herein. Al- sofort fing die Freundin gegen ihn an, von Stillingen zu reden. Der liebe Mann freute sich von Herzen über seine Gesellschaft, denn er hatte schon ein und anderes von ihm gehört.
Herr Troost war zu der Zeit ein Mann von vierzig Jah- ren, und noch unverheirathet. Schon zwanzig Jahr war er mit vielem Ruhm Chirurgus in Schönenthal gewesen; allein er war jetzt mit seinen Kenntnissen nicht mehr zufrie- den, sondern er wollte noch einmal zu Straßburg die Ana- tomie durchstudiren, und andere chirurgische Collega hören, um mit neuer Kraft ausgerüsttet wieder zu kommen, und sei- nem Nächsten desto nützlicher dienen zu können. In seiner Jugend hatte er schon einige Jahre auf dieser berühmten hohen Schule zugebracht, und den Grund zu seiner Wissenschaft gelegt.
ihm nun Spanier beim Abſchied nichts, ſo daß er ohne Geld bei Friedenberg zu Raſenheim ankam. Dieſer zahlte ihm aber alſofort hundert Reichsthaler aus, um ſich das Noͤthigſte zu ſeiner Reiſe dafuͤr anzuſchaffen, und das uͤb- rige mitzunehmen. Seine chriſtlichen Freunde zu Schoͤnen- thal aber beſchenkten ihn mit einem ſchoͤnen Kleid, und erbo- ten ſich zu fernerm Beiſtand.
Stilling hielt ſich nun noch vier Wochen bei ſeiner Ver- lobten und den Ihrigen auf; waͤhrend dieſer Zeit ruͤſtete er ſich aus, nach der hohen Schule zu ziehen. Er hatte ſich noch keinen Ort erwaͤhlt, wohin, ſondern er erwartete einen Wink vom himmliſchen Vater; denn weil er aus purem Glauben ſtudiren wollte, ſo durfte er auch in nichts ſeinem eigenen Willen folgen.
Nach drei Wochen ging er noch einmal nach Schoͤnenthal, um ſeine Freunde daſelbſt zu beſuchen. Als er daſelbſt an- kam, fragte ihn eine ſehr theure und liebe Freundin: „Wohin er zu ziehen Willens waͤre?“ Er antwortete: „Er wuͤßte es nicht.“ „Ey! ſagte ſie: unſer Herr Nachbar Trooſt reist nach Straßburg, um daſelbſt einen Winter zu bleiben, rei- ſen Sie mit demſelben!“ Dieſes fiel Stilling aufs Herz; er fuͤhlte, daß dieſes der Wink ſey, den er erwartet hatte. Indem trat gemeldter Herr Trooſt in die Stube herein. Al- ſofort fing die Freundin gegen ihn an, von Stillingen zu reden. Der liebe Mann freute ſich von Herzen uͤber ſeine Geſellſchaft, denn er hatte ſchon ein und anderes von ihm gehoͤrt.
Herr Trooſt war zu der Zeit ein Mann von vierzig Jah- ren, und noch unverheirathet. Schon zwanzig Jahr war er mit vielem Ruhm Chirurgus in Schoͤnenthal geweſen; allein er war jetzt mit ſeinen Kenntniſſen nicht mehr zufrie- den, ſondern er wollte noch einmal zu Straßburg die Ana- tomie durchſtudiren, und andere chirurgiſche Collega hoͤren, um mit neuer Kraft ausgeruͤſttet wieder zu kommen, und ſei- nem Naͤchſten deſto nuͤtzlicher dienen zu koͤnnen. In ſeiner Jugend hatte er ſchon einige Jahre auf dieſer beruͤhmten hohen Schule zugebracht, und den Grund zu ſeiner Wiſſenſchaft gelegt.
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ihm nun Spanier beim Abſchied nichts, ſo daß er ohne
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das Noͤthigſte zu ſeiner Reiſe dafuͤr anzuſchaffen, und das uͤb-
rige mitzunehmen. Seine chriſtlichen Freunde zu Schoͤnen-
thal aber beſchenkten ihn mit einem ſchoͤnen Kleid, und erbo-
ten ſich zu fernerm Beiſtand.
Stilling hielt ſich nun noch vier Wochen bei ſeiner Ver-
lobten und den Ihrigen auf; waͤhrend dieſer Zeit ruͤſtete er ſich
aus, nach der hohen Schule zu ziehen. Er hatte ſich noch
keinen Ort erwaͤhlt, wohin, ſondern er erwartete einen Wink
vom himmliſchen Vater; denn weil er aus purem Glauben
ſtudiren wollte, ſo durfte er auch in nichts ſeinem eigenen
Willen folgen.
Nach drei Wochen ging er noch einmal nach Schoͤnenthal,
um ſeine Freunde daſelbſt zu beſuchen. Als er daſelbſt an-
kam, fragte ihn eine ſehr theure und liebe Freundin: „Wohin
er zu ziehen Willens waͤre?“ Er antwortete: „Er wuͤßte es
nicht.“ „Ey! ſagte ſie: unſer Herr Nachbar Trooſt reist
nach Straßburg, um daſelbſt einen Winter zu bleiben, rei-
ſen Sie mit demſelben!“ Dieſes fiel Stilling aufs Herz;
er fuͤhlte, daß dieſes der Wink ſey, den er erwartet hatte.
Indem trat gemeldter Herr Trooſt in die Stube herein. Al-
ſofort fing die Freundin gegen ihn an, von Stillingen zu
reden. Der liebe Mann freute ſich von Herzen uͤber ſeine
Geſellſchaft, denn er hatte ſchon ein und anderes von ihm
gehoͤrt.
Herr Trooſt war zu der Zeit ein Mann von vierzig Jah-
ren, und noch unverheirathet. Schon zwanzig Jahr war er
mit vielem Ruhm Chirurgus in Schoͤnenthal geweſen;
allein er war jetzt mit ſeinen Kenntniſſen nicht mehr zufrie-
den, ſondern er wollte noch einmal zu Straßburg die Ana-
tomie durchſtudiren, und andere chirurgiſche Collega hoͤren,
um mit neuer Kraft ausgeruͤſttet wieder zu kommen, und ſei-
nem Naͤchſten deſto nuͤtzlicher dienen zu koͤnnen. In ſeiner
Jugend hatte er ſchon einige Jahre auf dieſer beruͤhmten hohen
Schule zugebracht, und den Grund zu ſeiner Wiſſenſchaft gelegt.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/272>, abgerufen am 24.11.2024.
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