Dieser war nun der rechte Mann für Stillingen. Er hatte das edelste und beste Herz von der Welt, das aus lau- ter Menschenliebe und Freundschaft zusammen gesetzt war; da- zu hatte er einen vortrefflichen Charakter, viel Religion und daraus fließende Tugenden. Er kannte die Welt und Straß- burg; und gewiß, es war ein recht väterlicher Zug der Vor- sehung, daß Stilling just jetzt mit ihm bekannt wurde. Er machte deßwegen alsbald Freundschaft mit Herrn Troost. Sie beschlossen, mit Meß-Kaufleuten nach Frankfurt und von da mit einer Returkutsche nach Straßburg zu fahren; sie bestimmten nun auch den Tag ihrer Abreise, der nach acht Tagen festgesetzt wurde.
Stilling hatte schon vorlängst seinem Vater und Oheim im Salen'schen Lande seine fernere wunderbare Führung be- kannt gemacht; diese entsetzten sich, erstaunten, fürchteten, hoff- ten und gestanden: daß sie ihn ganz an Gott überlassen müß- ten, und daß sie bloß von ferne stehen, und seinen Flug über alle Berge hin, mit Furcht und Zittern ansehen könnten, in- dessen wünschten sie ihm allen erdenklichen Segen.
Stillings Lage war jetzt in aller Absicht erschrecklich. Ein jeder Vernünftige setze sich in Gedanken einmal an seine Stelle und empfinde! -- Er hatte sich mit einem zärtlichen, frommen, empfindsamen, aber dabei kränklichen Mädchen ver- lobt, die er mehr als seine eigene Seele liebte, und diese wurde von allen Aerzten verzehrend erklärt, so daß er sehr fürchten mußte, sie bei seinem Abschied zum letzten Mal zu sehen. Dazu fühlte er alle die schweren Leiden, die ihr zärtlich lieben- des Herz während einer so langen Zeit würde ertragen müssen. Sein ganzes künftiges Glück beruhte nun bloß darauf, ein rechtschaffener Arzt zu werden; und dazu gehörten zum wenig- sten tausend Reichsthaler, wozu keine hundert für ihn in der ganzen Welt zu finden waren; folglich sah es auch in diesem Fall mißlich mit ihm aus: fehlte es ihm da, so fehlte ihm Alles.
Und dennoch, ob sich Stilling gleich dieß alles sehr lebhaft vorstellte, so setzte er doch sein Vertrauen fest auf Gott, und machte diesen Schluß:
"Gott fängt nichts an, außer er führt es auch herrlich aus.
Dieſer war nun der rechte Mann fuͤr Stillingen. Er hatte das edelſte und beſte Herz von der Welt, das aus lau- ter Menſchenliebe und Freundſchaft zuſammen geſetzt war; da- zu hatte er einen vortrefflichen Charakter, viel Religion und daraus fließende Tugenden. Er kannte die Welt und Straß- burg; und gewiß, es war ein recht vaͤterlicher Zug der Vor- ſehung, daß Stilling juſt jetzt mit ihm bekannt wurde. Er machte deßwegen alsbald Freundſchaft mit Herrn Trooſt. Sie beſchloſſen, mit Meß-Kaufleuten nach Frankfurt und von da mit einer Returkutſche nach Straßburg zu fahren; ſie beſtimmten nun auch den Tag ihrer Abreiſe, der nach acht Tagen feſtgeſetzt wurde.
Stilling hatte ſchon vorlaͤngſt ſeinem Vater und Oheim im Salen’ſchen Lande ſeine fernere wunderbare Fuͤhrung be- kannt gemacht; dieſe entſetzten ſich, erſtaunten, fuͤrchteten, hoff- ten und geſtanden: daß ſie ihn ganz an Gott uͤberlaſſen muͤß- ten, und daß ſie bloß von ferne ſtehen, und ſeinen Flug uͤber alle Berge hin, mit Furcht und Zittern anſehen koͤnnten, in- deſſen wuͤnſchten ſie ihm allen erdenklichen Segen.
Stillings Lage war jetzt in aller Abſicht erſchrecklich. Ein jeder Vernuͤnftige ſetze ſich in Gedanken einmal an ſeine Stelle und empfinde! — Er hatte ſich mit einem zaͤrtlichen, frommen, empfindſamen, aber dabei kraͤnklichen Maͤdchen ver- lobt, die er mehr als ſeine eigene Seele liebte, und dieſe wurde von allen Aerzten verzehrend erklaͤrt, ſo daß er ſehr fuͤrchten mußte, ſie bei ſeinem Abſchied zum letzten Mal zu ſehen. Dazu fuͤhlte er alle die ſchweren Leiden, die ihr zaͤrtlich lieben- des Herz waͤhrend einer ſo langen Zeit wuͤrde ertragen muͤſſen. Sein ganzes kuͤnftiges Gluͤck beruhte nun bloß darauf, ein rechtſchaffener Arzt zu werden; und dazu gehoͤrten zum wenig- ſten tauſend Reichsthaler, wozu keine hundert fuͤr ihn in der ganzen Welt zu finden waren; folglich ſah es auch in dieſem Fall mißlich mit ihm aus: fehlte es ihm da, ſo fehlte ihm Alles.
Und dennoch, ob ſich Stilling gleich dieß alles ſehr lebhaft vorſtellte, ſo ſetzte er doch ſein Vertrauen feſt auf Gott, und machte dieſen Schluß:
„Gott faͤngt nichts an, außer er fuͤhrt es auch herrlich aus.
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daraus fließende Tugenden. Er kannte die Welt und Straß-
burg; und gewiß, es war ein recht vaͤterlicher Zug der Vor-
ſehung, daß Stilling juſt jetzt mit ihm bekannt wurde.
Er machte deßwegen alsbald Freundſchaft mit Herrn Trooſt.
Sie beſchloſſen, mit Meß-Kaufleuten nach Frankfurt und
von da mit einer Returkutſche nach Straßburg zu fahren;
ſie beſtimmten nun auch den Tag ihrer Abreiſe, der nach acht
Tagen feſtgeſetzt wurde.
Stilling hatte ſchon vorlaͤngſt ſeinem Vater und Oheim
im Salen’ſchen Lande ſeine fernere wunderbare Fuͤhrung be-
kannt gemacht; dieſe entſetzten ſich, erſtaunten, fuͤrchteten, hoff-
ten und geſtanden: daß ſie ihn ganz an Gott uͤberlaſſen muͤß-
ten, und daß ſie bloß von ferne ſtehen, und ſeinen Flug uͤber
alle Berge hin, mit Furcht und Zittern anſehen koͤnnten, in-
deſſen wuͤnſchten ſie ihm allen erdenklichen Segen.
Stillings Lage war jetzt in aller Abſicht erſchrecklich.
Ein jeder Vernuͤnftige ſetze ſich in Gedanken einmal an ſeine
Stelle und empfinde! — Er hatte ſich mit einem zaͤrtlichen,
frommen, empfindſamen, aber dabei kraͤnklichen Maͤdchen ver-
lobt, die er mehr als ſeine eigene Seele liebte, und dieſe wurde
von allen Aerzten verzehrend erklaͤrt, ſo daß er ſehr fuͤrchten
mußte, ſie bei ſeinem Abſchied zum letzten Mal zu ſehen.
Dazu fuͤhlte er alle die ſchweren Leiden, die ihr zaͤrtlich lieben-
des Herz waͤhrend einer ſo langen Zeit wuͤrde ertragen muͤſſen.
Sein ganzes kuͤnftiges Gluͤck beruhte nun bloß darauf, ein
rechtſchaffener Arzt zu werden; und dazu gehoͤrten zum wenig-
ſten tauſend Reichsthaler, wozu keine hundert fuͤr ihn in der
ganzen Welt zu finden waren; folglich ſah es auch in dieſem
Fall mißlich mit ihm aus: fehlte es ihm da, ſo fehlte ihm Alles.
Und dennoch, ob ſich Stilling gleich dieß alles ſehr lebhaft
vorſtellte, ſo ſetzte er doch ſein Vertrauen feſt auf Gott, und
machte dieſen Schluß:
„Gott faͤngt nichts an, außer er fuͤhrt es auch herrlich aus.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/273>, abgerufen am 24.11.2024.
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