Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Geld wußte, so nahm er doch dieses freundschaftliche Erbieten
an, und Herr Troost zahlte ihm sechs neue Louisd'or aus.
Wer war es nun, der das Herz dieses Freundes
just weckte, als es Noth war
!!!

Herr Troost war nett und nach der Mode gekleidet; Stil-
ling
auch so ziemlich. Er hatte einen schwarzbraunen Rock
mit manchesternen Unterkleidern, nur war ihm noch eine runde
Perücke übrig, die er zwischen seinen Beutel-Perücken doch auch
gern verbrauchen wollte. Diese hatte er einsmals aufgesetzt,
und kam damit an den Tisch. Niemand störte sich daran, als
nur Herr Waldberg von Wien. Dieser sah ihn an, und
da er schon vernommen hatte, daß Stilling sehr für die
Religion eingenommen war, so fing er an und fragte ihn: Ob
wohl Adam im Paradies eine runde Perücke möchte getragen
haben? Alle lachten herzlich bis auf Salzmann, Göthe
und Troost; diese lachten nicht. Stilling fuhr der Zorn
durch alle Glieder, und antwortete darauf: "Schämen Sie sich
dieses Spotts. Ein solcher alltäglicher Einfall ist nicht werth,
daß er belacht werde! -- Göthe aber fiel ein, und versetzte:
Probiere erst einen Menschen, ob er des Spotts werth sey?
Es ist teufelmäßig, einen rechtschaffenen Mann, der keinen be-
leidigt hat, zum Besten zu haben! Von dieser Zeit an nahm
sich Herr Göthe Stillings an, besuchte ihn, gewann ihn
lieb, machte Brüderschaft und Freundschaft mit ihm, und be-
müthe sich bei allen Gelegenheiten, Stillingen Liebe zu er-
zeigen. Schade, daß so Wenige diesen vortrefflichen Menschen
seinem Herzen nach kennen!

Nach Martini wurde das Collegium der Geburtshülfe ange-
schlagen, und die Lernbegierigen dazu eingeladen. Stillingen
war dieses ein Hauptstück, deßwegen fand er sich des Montags
Abends mit Andern ein, um zu unterschreiben. Er dachte nicht
anders, als daß dieses Collegium, eben so wie die andern, erst
nach Endigung desselben bezahlt würde; allein, wie erschrack
er, als der Doctor ankündigte: daß sich die Herren möchten
gefallen lassen, künftigen Donnerstag Abend sechs neue Louisd'or
fürs Collegium zu bezahlen! Hier war also eine Ausnahme,
und die hatte auch ihre gegründete Ursachen. Wenn nun Stil-

Geld wußte, ſo nahm er doch dieſes freundſchaftliche Erbieten
an, und Herr Trooſt zahlte ihm ſechs neue Louisd’or aus.
Wer war es nun, der das Herz dieſes Freundes
juſt weckte, als es Noth war
!!!

Herr Trooſt war nett und nach der Mode gekleidet; Stil-
ling
auch ſo ziemlich. Er hatte einen ſchwarzbraunen Rock
mit mancheſternen Unterkleidern, nur war ihm noch eine runde
Peruͤcke uͤbrig, die er zwiſchen ſeinen Beutel-Peruͤcken doch auch
gern verbrauchen wollte. Dieſe hatte er einsmals aufgeſetzt,
und kam damit an den Tiſch. Niemand ſtoͤrte ſich daran, als
nur Herr Waldberg von Wien. Dieſer ſah ihn an, und
da er ſchon vernommen hatte, daß Stilling ſehr fuͤr die
Religion eingenommen war, ſo fing er an und fragte ihn: Ob
wohl Adam im Paradies eine runde Peruͤcke moͤchte getragen
haben? Alle lachten herzlich bis auf Salzmann, Goͤthe
und Trooſt; dieſe lachten nicht. Stilling fuhr der Zorn
durch alle Glieder, und antwortete darauf: „Schaͤmen Sie ſich
dieſes Spotts. Ein ſolcher alltaͤglicher Einfall iſt nicht werth,
daß er belacht werde! — Goͤthe aber fiel ein, und verſetzte:
Probiere erſt einen Menſchen, ob er des Spotts werth ſey?
Es iſt teufelmaͤßig, einen rechtſchaffenen Mann, der keinen be-
leidigt hat, zum Beſten zu haben! Von dieſer Zeit an nahm
ſich Herr Goͤthe Stillings an, beſuchte ihn, gewann ihn
lieb, machte Bruͤderſchaft und Freundſchaft mit ihm, und be-
muͤthe ſich bei allen Gelegenheiten, Stillingen Liebe zu er-
zeigen. Schade, daß ſo Wenige dieſen vortrefflichen Menſchen
ſeinem Herzen nach kennen!

Nach Martini wurde das Collegium der Geburtshuͤlfe ange-
ſchlagen, und die Lernbegierigen dazu eingeladen. Stillingen
war dieſes ein Hauptſtuͤck, deßwegen fand er ſich des Montags
Abends mit Andern ein, um zu unterſchreiben. Er dachte nicht
anders, als daß dieſes Collegium, eben ſo wie die andern, erſt
nach Endigung deſſelben bezahlt wuͤrde; allein, wie erſchrack
er, als der Doctor ankuͤndigte: daß ſich die Herren moͤchten
gefallen laſſen, kuͤnftigen Donnerſtag Abend ſechs neue Louisd’or
fuͤrs Collegium zu bezahlen! Hier war alſo eine Ausnahme,
und die hatte auch ihre gegruͤndete Urſachen. Wenn nun Stil-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0280" n="272"/>
Geld wußte, &#x017F;o nahm er doch die&#x017F;es freund&#x017F;chaftliche Erbieten<lb/>
an, und Herr <hi rendition="#g">Troo&#x017F;t</hi> zahlte ihm &#x017F;echs neue Louisd&#x2019;or aus.<lb/><hi rendition="#g">Wer war es nun, der das Herz die&#x017F;es Freundes<lb/>
ju&#x017F;t weckte, als es Noth war</hi>!!!</p><lb/>
            <p>Herr <hi rendition="#g">Troo&#x017F;t</hi> war nett und nach der Mode gekleidet; <hi rendition="#g">Stil-<lb/>
ling</hi> auch &#x017F;o ziemlich. Er hatte einen &#x017F;chwarzbraunen Rock<lb/>
mit manche&#x017F;ternen Unterkleidern, nur war ihm noch eine runde<lb/>
Peru&#x0364;cke u&#x0364;brig, die er zwi&#x017F;chen &#x017F;einen Beutel-Peru&#x0364;cken doch auch<lb/>
gern verbrauchen wollte. Die&#x017F;e hatte er einsmals aufge&#x017F;etzt,<lb/>
und kam damit an den Ti&#x017F;ch. Niemand &#x017F;to&#x0364;rte &#x017F;ich daran, als<lb/>
nur Herr <hi rendition="#g">Waldberg</hi> von <hi rendition="#g">Wien</hi>. Die&#x017F;er &#x017F;ah ihn an, und<lb/>
da er &#x017F;chon vernommen hatte, daß <hi rendition="#g">Stilling</hi> &#x017F;ehr fu&#x0364;r die<lb/>
Religion eingenommen war, &#x017F;o fing er an und fragte ihn: Ob<lb/>
wohl Adam im Paradies eine runde Peru&#x0364;cke mo&#x0364;chte getragen<lb/>
haben? Alle lachten herzlich bis auf <hi rendition="#g">Salzmann, Go&#x0364;the</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Troo&#x017F;t</hi>; die&#x017F;e lachten nicht. <hi rendition="#g">Stilling</hi> fuhr der Zorn<lb/>
durch alle Glieder, und antwortete darauf: &#x201E;Scha&#x0364;men Sie &#x017F;ich<lb/>
die&#x017F;es Spotts. Ein &#x017F;olcher allta&#x0364;glicher Einfall i&#x017F;t nicht werth,<lb/>
daß er belacht werde! &#x2014; <hi rendition="#g">Go&#x0364;the</hi> aber fiel ein, und ver&#x017F;etzte:<lb/>
Probiere er&#x017F;t einen Men&#x017F;chen, ob er des Spotts werth &#x017F;ey?<lb/>
Es i&#x017F;t teufelma&#x0364;ßig, einen recht&#x017F;chaffenen Mann, der keinen be-<lb/>
leidigt hat, zum Be&#x017F;ten zu haben! Von <hi rendition="#g">die&#x017F;er</hi> Zeit an nahm<lb/>
&#x017F;ich Herr <hi rendition="#g">Go&#x0364;the Stillings</hi> an, be&#x017F;uchte ihn, gewann ihn<lb/>
lieb, machte Bru&#x0364;der&#x017F;chaft und Freund&#x017F;chaft mit ihm, und be-<lb/>
mu&#x0364;the &#x017F;ich bei allen Gelegenheiten, <hi rendition="#g">Stillingen</hi> Liebe zu er-<lb/>
zeigen. Schade, daß &#x017F;o Wenige die&#x017F;en vortrefflichen Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;einem Herzen nach kennen!</p><lb/>
            <p>Nach Martini wurde das Collegium der Geburtshu&#x0364;lfe ange-<lb/>
&#x017F;chlagen, und die Lernbegierigen dazu eingeladen. <hi rendition="#g">Stillingen</hi><lb/>
war die&#x017F;es ein Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck, deßwegen fand er &#x017F;ich des Montags<lb/>
Abends mit Andern ein, um zu unter&#x017F;chreiben. Er dachte nicht<lb/>
anders, als daß die&#x017F;es Collegium, eben &#x017F;o wie die andern, er&#x017F;t<lb/>
nach Endigung de&#x017F;&#x017F;elben bezahlt wu&#x0364;rde; allein, wie er&#x017F;chrack<lb/>
er, als der Doctor anku&#x0364;ndigte: daß &#x017F;ich die Herren mo&#x0364;chten<lb/>
gefallen la&#x017F;&#x017F;en, ku&#x0364;nftigen Donner&#x017F;tag Abend &#x017F;echs neue Louisd&#x2019;or<lb/>
fu&#x0364;rs Collegium zu bezahlen! Hier war al&#x017F;o eine Ausnahme,<lb/>
und die hatte auch ihre gegru&#x0364;ndete Ur&#x017F;achen. Wenn nun <hi rendition="#g">Stil-<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0280] Geld wußte, ſo nahm er doch dieſes freundſchaftliche Erbieten an, und Herr Trooſt zahlte ihm ſechs neue Louisd’or aus. Wer war es nun, der das Herz dieſes Freundes juſt weckte, als es Noth war!!! Herr Trooſt war nett und nach der Mode gekleidet; Stil- ling auch ſo ziemlich. Er hatte einen ſchwarzbraunen Rock mit mancheſternen Unterkleidern, nur war ihm noch eine runde Peruͤcke uͤbrig, die er zwiſchen ſeinen Beutel-Peruͤcken doch auch gern verbrauchen wollte. Dieſe hatte er einsmals aufgeſetzt, und kam damit an den Tiſch. Niemand ſtoͤrte ſich daran, als nur Herr Waldberg von Wien. Dieſer ſah ihn an, und da er ſchon vernommen hatte, daß Stilling ſehr fuͤr die Religion eingenommen war, ſo fing er an und fragte ihn: Ob wohl Adam im Paradies eine runde Peruͤcke moͤchte getragen haben? Alle lachten herzlich bis auf Salzmann, Goͤthe und Trooſt; dieſe lachten nicht. Stilling fuhr der Zorn durch alle Glieder, und antwortete darauf: „Schaͤmen Sie ſich dieſes Spotts. Ein ſolcher alltaͤglicher Einfall iſt nicht werth, daß er belacht werde! — Goͤthe aber fiel ein, und verſetzte: Probiere erſt einen Menſchen, ob er des Spotts werth ſey? Es iſt teufelmaͤßig, einen rechtſchaffenen Mann, der keinen be- leidigt hat, zum Beſten zu haben! Von dieſer Zeit an nahm ſich Herr Goͤthe Stillings an, beſuchte ihn, gewann ihn lieb, machte Bruͤderſchaft und Freundſchaft mit ihm, und be- muͤthe ſich bei allen Gelegenheiten, Stillingen Liebe zu er- zeigen. Schade, daß ſo Wenige dieſen vortrefflichen Menſchen ſeinem Herzen nach kennen! Nach Martini wurde das Collegium der Geburtshuͤlfe ange- ſchlagen, und die Lernbegierigen dazu eingeladen. Stillingen war dieſes ein Hauptſtuͤck, deßwegen fand er ſich des Montags Abends mit Andern ein, um zu unterſchreiben. Er dachte nicht anders, als daß dieſes Collegium, eben ſo wie die andern, erſt nach Endigung deſſelben bezahlt wuͤrde; allein, wie erſchrack er, als der Doctor ankuͤndigte: daß ſich die Herren moͤchten gefallen laſſen, kuͤnftigen Donnerſtag Abend ſechs neue Louisd’or fuͤrs Collegium zu bezahlen! Hier war alſo eine Ausnahme, und die hatte auch ihre gegruͤndete Urſachen. Wenn nun Stil-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/280
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/280>, abgerufen am 24.11.2024.