ling den Donnerstag nicht bezahlte, so wurde sein Name ausgestrichen. Dieses war schimpflich, und schwächte den Kre- dit, der doch Stillingen absolut nöthig war. Jetzt war also guter Rath theuer. Herr Troost hatte schon sechs Co- rolin vorgeschossen, und noch war kein Anschein da, sie wieder geben zu können.
Sobald als Stilling in sein Zimmer kam, und dasselbe leer fand (denn Herr Troost war in ein Collegium gegan- gen), so schloß er die Thüre hinter sich zu, warf sich in einen Winkel nieder, und rang recht mit Gott um Hülfe und Er- barmen; indessen äusserte sich nichts Tröstliches für ihn, bis den Donnerstag Abend. Es war schon fünf Uhr, und um sechs Uhr war die Zeit, daß er das Geld haben mußte. Stil- ling begann fast im Glauben zu wanken; der Angstschweiß brach ihm aus, und sein ganzes Angesicht war naß von Thrä- nen. Er fühlte weder Muth noch Glauben mehr, und deß- wegen sah er von ferne in eine Zukunft, die der Hölle mit allen ihren Qualen ähnlich war. Indem er mit solchen trau- rigen Gedanken in dem Zimmer auf- und abging, klopfte Je- mand an die Thür. Er rief: herein! Es war der Patron des Hauses ... der Herr R ... Dieser trat ins Zimmer, und nach den gewöhnlichen Complimenten fing er an: ich komme, um zu sehen, wie Sie sich befinden, und ob Sie mit mei- nem Zimmer zufrieden sind. (Herr Troost war wiederum nicht da, und der wußte auch von Stillings jetzigem Kampf gar nichts.) Stilling antwortete: Es macht mir viel Ehre, daß Sie sich nach meinem Befinden zu erkundigen be- lieben. Ich bin, Gott Lob! gesund, und Dero Zimmer ist nach unserer Beider höchstem Wunsch.
Herr R ... versetzte: das macht mir Freude, besonders da ich sehe, daß Sie so sittsame wackere Leute sind. Aber ich wollte doch vornehmlich noch Eins fragen: "Haben Sie Geld mitgebracht, oder bekommen Sie Wechsel?" -- Nun ward's Stillingen als dem Habacuc, wie ihn der Engel des Herrn beim Schopf nahm, um ihn nach Babel zu führen. Er antwortete: Nein, ich habe kein Geld mitgebracht.
Stillings sämmtl. Schriften. I. Baud. 18
ling den Donnerſtag nicht bezahlte, ſo wurde ſein Name ausgeſtrichen. Dieſes war ſchimpflich, und ſchwaͤchte den Kre- dit, der doch Stillingen abſolut noͤthig war. Jetzt war alſo guter Rath theuer. Herr Trooſt hatte ſchon ſechs Co- rolin vorgeſchoſſen, und noch war kein Anſchein da, ſie wieder geben zu koͤnnen.
Sobald als Stilling in ſein Zimmer kam, und daſſelbe leer fand (denn Herr Trooſt war in ein Collegium gegan- gen), ſo ſchloß er die Thuͤre hinter ſich zu, warf ſich in einen Winkel nieder, und rang recht mit Gott um Huͤlfe und Er- barmen; indeſſen aͤuſſerte ſich nichts Troͤſtliches fuͤr ihn, bis den Donnerſtag Abend. Es war ſchon fuͤnf Uhr, und um ſechs Uhr war die Zeit, daß er das Geld haben mußte. Stil- ling begann faſt im Glauben zu wanken; der Angſtſchweiß brach ihm aus, und ſein ganzes Angeſicht war naß von Thraͤ- nen. Er fuͤhlte weder Muth noch Glauben mehr, und deß- wegen ſah er von ferne in eine Zukunft, die der Hoͤlle mit allen ihren Qualen aͤhnlich war. Indem er mit ſolchen trau- rigen Gedanken in dem Zimmer auf- und abging, klopfte Je- mand an die Thuͤr. Er rief: herein! Es war der Patron des Hauſes … der Herr R … Dieſer trat ins Zimmer, und nach den gewoͤhnlichen Complimenten fing er an: ich komme, um zu ſehen, wie Sie ſich befinden, und ob Sie mit mei- nem Zimmer zufrieden ſind. (Herr Trooſt war wiederum nicht da, und der wußte auch von Stillings jetzigem Kampf gar nichts.) Stilling antwortete: Es macht mir viel Ehre, daß Sie ſich nach meinem Befinden zu erkundigen be- lieben. Ich bin, Gott Lob! geſund, und Dero Zimmer iſt nach unſerer Beider hoͤchſtem Wunſch.
Herr R … verſetzte: das macht mir Freude, beſonders da ich ſehe, daß Sie ſo ſittſame wackere Leute ſind. Aber ich wollte doch vornehmlich noch Eins fragen: „Haben Sie Geld mitgebracht, oder bekommen Sie Wechſel?“ — Nun ward’s Stillingen als dem Habacuc, wie ihn der Engel des Herrn beim Schopf nahm, um ihn nach Babel zu fuͤhren. Er antwortete: Nein, ich habe kein Geld mitgebracht.
Stillings ſämmtl. Schriften. I. Baud. 18
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alſo guter Rath theuer. Herr Trooſt hatte ſchon ſechs Co-
rolin vorgeſchoſſen, und noch war kein Anſchein da, ſie wieder
geben zu koͤnnen.
Sobald als Stilling in ſein Zimmer kam, und daſſelbe
leer fand (denn Herr Trooſt war in ein Collegium gegan-
gen), ſo ſchloß er die Thuͤre hinter ſich zu, warf ſich in einen
Winkel nieder, und rang recht mit Gott um Huͤlfe und Er-
barmen; indeſſen aͤuſſerte ſich nichts Troͤſtliches fuͤr ihn, bis
den Donnerſtag Abend. Es war ſchon fuͤnf Uhr, und um ſechs
Uhr war die Zeit, daß er das Geld haben mußte. Stil-
ling begann faſt im Glauben zu wanken; der Angſtſchweiß
brach ihm aus, und ſein ganzes Angeſicht war naß von Thraͤ-
nen. Er fuͤhlte weder Muth noch Glauben mehr, und deß-
wegen ſah er von ferne in eine Zukunft, die der Hoͤlle mit
allen ihren Qualen aͤhnlich war. Indem er mit ſolchen trau-
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mand an die Thuͤr. Er rief: herein! Es war der Patron
des Hauſes … der Herr R … Dieſer trat ins Zimmer, und
nach den gewoͤhnlichen Complimenten fing er an: ich komme,
um zu ſehen, wie Sie ſich befinden, und ob Sie mit mei-
nem Zimmer zufrieden ſind. (Herr Trooſt war wiederum
nicht da, und der wußte auch von Stillings jetzigem Kampf
gar nichts.) Stilling antwortete: Es macht mir viel
Ehre, daß Sie ſich nach meinem Befinden zu erkundigen be-
lieben. Ich bin, Gott Lob! geſund, und Dero Zimmer iſt
nach unſerer Beider hoͤchſtem Wunſch.
Herr R … verſetzte: das macht mir Freude, beſonders
da ich ſehe, daß Sie ſo ſittſame wackere Leute ſind. Aber ich
wollte doch vornehmlich noch Eins fragen: „Haben Sie Geld
mitgebracht, oder bekommen Sie Wechſel?“ — Nun ward’s
Stillingen als dem Habacuc, wie ihn der Engel des
Herrn beim Schopf nahm, um ihn nach Babel zu fuͤhren. Er
antwortete: Nein, ich habe kein Geld mitgebracht.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/281>, abgerufen am 24.11.2024.
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