Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

klopfte ihn wieder auf die Schulter, der Soldat setzte sich auf
eine andere Seite und klopfte ihn da auf die Schulter, die
beiden jungen Leute aber setzten sich hinter den Tisch, und
das Frauenzimmer saß dahinten, und trank aus einem Känn-
chen allein.

Nach dem Frühstück setzte man sich in den Nachen, und
Stilling merkte, daß Niemand den fremden Herrn kannte.
Dieser drang Stilling, daß er seine Lebensgeschichte erzäh-
len möchte. Sobald sie durch das Bingerloch gefahren wa-
ren, fing er damit an, und erzählte alles, ohne das Mindeste
zu verschweigen, sogar sein Verlöbniß, und das Schicksal
seiner jetzigen Reise sagte er aufrichtig. Der Unbekannte
ließ zuweilen helle Thränen fallen, der Soldat deßgleichen,
und Beide wünschten von Herzen zu vernehmen, ob und wie
er seine Verlobte angetroffen habe. Beide waren nun vertraut
mit ihm, und nun fing auch der Soldat an:

"Ich bin aus dem Zweibrück'schen, und von geringen
Eltern geboren, doch wurde ich fleißig zur Schule gehalten,
um durch Wissenschaft zu ersetzen, was mir an Erbschaft man-
gelte. Nachdem ich von der Schule kam, nahm mich ein ge-
wisser Beamter zum Schreiben zu sich. Ich war da einige
Jahre: seine Tochter ward mir geneigt, und wir wurden gute
Freunde, sogar, daß wir uns fest verlobten, und uns verban-
den, nie zu heirathen, wenn man uns Etwas in den Weg
legen würde. Meine Herrschaft entdeckte dieses bald, und nun
wurde ich fortgejagt. Doch fand ich noch ein Stündchen, mit
meiner Verlobten allein zu reden, bei welcher Gelegenheit wir
unser Band noch fester knüpften. Darauf ging ich nach Hol-
land
und ließ mich zum Soldaten annehmen; ich schrieb
sehr oft an meine Geliebte, bekam aber nie Antwort, denn
man hatte alle Briefe aufgefangen. Ich wurde darüber so
verzweifelt, daß ich oft den Tod suchte, doch hatte ich noch
immer Abscheu vor dem Selbstmord.

"Bald darauf wurde unser Regiment nach Amerika ab-
geschickt; die Cannibalen hatten Krieg gegen die Holländer
angefangen, ich mußte also mit. Wir kamen in Surinam
an und meine Compagnie lag in einem sehr abgelegenen Fort.

klopfte ihn wieder auf die Schulter, der Soldat ſetzte ſich auf
eine andere Seite und klopfte ihn da auf die Schulter, die
beiden jungen Leute aber ſetzten ſich hinter den Tiſch, und
das Frauenzimmer ſaß dahinten, und trank aus einem Kaͤnn-
chen allein.

Nach dem Fruͤhſtuͤck ſetzte man ſich in den Nachen, und
Stilling merkte, daß Niemand den fremden Herrn kannte.
Dieſer drang Stilling, daß er ſeine Lebensgeſchichte erzaͤh-
len moͤchte. Sobald ſie durch das Bingerloch gefahren wa-
ren, fing er damit an, und erzaͤhlte alles, ohne das Mindeſte
zu verſchweigen, ſogar ſein Verloͤbniß, und das Schickſal
ſeiner jetzigen Reiſe ſagte er aufrichtig. Der Unbekannte
ließ zuweilen helle Thraͤnen fallen, der Soldat deßgleichen,
und Beide wuͤnſchten von Herzen zu vernehmen, ob und wie
er ſeine Verlobte angetroffen habe. Beide waren nun vertraut
mit ihm, und nun fing auch der Soldat an:

„Ich bin aus dem Zweibruͤck’ſchen, und von geringen
Eltern geboren, doch wurde ich fleißig zur Schule gehalten,
um durch Wiſſenſchaft zu erſetzen, was mir an Erbſchaft man-
gelte. Nachdem ich von der Schule kam, nahm mich ein ge-
wiſſer Beamter zum Schreiben zu ſich. Ich war da einige
Jahre: ſeine Tochter ward mir geneigt, und wir wurden gute
Freunde, ſogar, daß wir uns feſt verlobten, und uns verban-
den, nie zu heirathen, wenn man uns Etwas in den Weg
legen wuͤrde. Meine Herrſchaft entdeckte dieſes bald, und nun
wurde ich fortgejagt. Doch fand ich noch ein Stuͤndchen, mit
meiner Verlobten allein zu reden, bei welcher Gelegenheit wir
unſer Band noch feſter knuͤpften. Darauf ging ich nach Hol-
land
und ließ mich zum Soldaten annehmen; ich ſchrieb
ſehr oft an meine Geliebte, bekam aber nie Antwort, denn
man hatte alle Briefe aufgefangen. Ich wurde daruͤber ſo
verzweifelt, daß ich oft den Tod ſuchte, doch hatte ich noch
immer Abſcheu vor dem Selbſtmord.

„Bald darauf wurde unſer Regiment nach Amerika ab-
geſchickt; die Cannibalen hatten Krieg gegen die Hollaͤnder
angefangen, ich mußte alſo mit. Wir kamen in Surinam
an und meine Compagnie lag in einem ſehr abgelegenen Fort.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0293" n="285"/>
klopfte ihn wieder auf die Schulter, der Soldat &#x017F;etzte &#x017F;ich auf<lb/>
eine andere Seite und klopfte ihn da auf die Schulter, die<lb/>
beiden jungen Leute aber &#x017F;etzten &#x017F;ich hinter den Ti&#x017F;ch, und<lb/>
das Frauenzimmer &#x017F;aß dahinten, und trank aus einem Ka&#x0364;nn-<lb/>
chen allein.</p><lb/>
            <p>Nach dem Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;ck &#x017F;etzte man &#x017F;ich in den Nachen, und<lb/><hi rendition="#g">Stilling</hi> merkte, daß Niemand den fremden Herrn kannte.<lb/>
Die&#x017F;er drang <hi rendition="#g">Stilling</hi>, daß er &#x017F;eine Lebensge&#x017F;chichte erza&#x0364;h-<lb/>
len mo&#x0364;chte. Sobald &#x017F;ie durch das <hi rendition="#g">Bingerloch</hi> gefahren wa-<lb/>
ren, fing er damit an, und erza&#x0364;hlte alles, ohne das Minde&#x017F;te<lb/>
zu ver&#x017F;chweigen, &#x017F;ogar &#x017F;ein Verlo&#x0364;bniß, und das Schick&#x017F;al<lb/>
&#x017F;einer jetzigen Rei&#x017F;e &#x017F;agte er aufrichtig. Der Unbekannte<lb/>
ließ zuweilen helle Thra&#x0364;nen fallen, der Soldat deßgleichen,<lb/>
und Beide wu&#x0364;n&#x017F;chten von Herzen zu vernehmen, ob und wie<lb/>
er &#x017F;eine Verlobte angetroffen habe. Beide waren nun vertraut<lb/>
mit ihm, und nun fing auch der Soldat an:</p><lb/>
            <p>&#x201E;Ich bin aus dem <hi rendition="#g">Zweibru&#x0364;ck&#x2019;&#x017F;chen</hi>, und von geringen<lb/>
Eltern geboren, doch wurde ich fleißig zur Schule gehalten,<lb/>
um durch Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft zu er&#x017F;etzen, was mir an Erb&#x017F;chaft man-<lb/>
gelte. Nachdem ich von der Schule kam, nahm mich ein ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;er Beamter zum Schreiben zu &#x017F;ich. Ich war da einige<lb/>
Jahre: &#x017F;eine Tochter ward mir geneigt, und wir wurden gute<lb/>
Freunde, &#x017F;ogar, daß wir uns fe&#x017F;t verlobten, und uns verban-<lb/>
den, nie zu heirathen, wenn man uns Etwas in den Weg<lb/>
legen wu&#x0364;rde. Meine Herr&#x017F;chaft entdeckte die&#x017F;es bald, und nun<lb/>
wurde ich fortgejagt. Doch fand ich noch ein Stu&#x0364;ndchen, mit<lb/>
meiner Verlobten allein zu reden, bei welcher Gelegenheit wir<lb/>
un&#x017F;er Band noch fe&#x017F;ter knu&#x0364;pften. Darauf ging ich nach <hi rendition="#g">Hol-<lb/>
land</hi> und ließ mich zum Soldaten annehmen; ich &#x017F;chrieb<lb/>
&#x017F;ehr oft an meine Geliebte, bekam aber nie Antwort, denn<lb/>
man hatte alle Briefe aufgefangen. Ich wurde daru&#x0364;ber &#x017F;o<lb/>
verzweifelt, daß ich oft den Tod &#x017F;uchte, doch hatte ich noch<lb/>
immer Ab&#x017F;cheu vor dem Selb&#x017F;tmord.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Bald darauf wurde un&#x017F;er Regiment nach <hi rendition="#g">Amerika</hi> ab-<lb/>
ge&#x017F;chickt; die Cannibalen hatten Krieg gegen die Holla&#x0364;nder<lb/>
angefangen, ich mußte al&#x017F;o mit. Wir kamen in <hi rendition="#g">Surinam</hi><lb/>
an und meine Compagnie lag in einem &#x017F;ehr abgelegenen Fort.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[285/0293] klopfte ihn wieder auf die Schulter, der Soldat ſetzte ſich auf eine andere Seite und klopfte ihn da auf die Schulter, die beiden jungen Leute aber ſetzten ſich hinter den Tiſch, und das Frauenzimmer ſaß dahinten, und trank aus einem Kaͤnn- chen allein. Nach dem Fruͤhſtuͤck ſetzte man ſich in den Nachen, und Stilling merkte, daß Niemand den fremden Herrn kannte. Dieſer drang Stilling, daß er ſeine Lebensgeſchichte erzaͤh- len moͤchte. Sobald ſie durch das Bingerloch gefahren wa- ren, fing er damit an, und erzaͤhlte alles, ohne das Mindeſte zu verſchweigen, ſogar ſein Verloͤbniß, und das Schickſal ſeiner jetzigen Reiſe ſagte er aufrichtig. Der Unbekannte ließ zuweilen helle Thraͤnen fallen, der Soldat deßgleichen, und Beide wuͤnſchten von Herzen zu vernehmen, ob und wie er ſeine Verlobte angetroffen habe. Beide waren nun vertraut mit ihm, und nun fing auch der Soldat an: „Ich bin aus dem Zweibruͤck’ſchen, und von geringen Eltern geboren, doch wurde ich fleißig zur Schule gehalten, um durch Wiſſenſchaft zu erſetzen, was mir an Erbſchaft man- gelte. Nachdem ich von der Schule kam, nahm mich ein ge- wiſſer Beamter zum Schreiben zu ſich. Ich war da einige Jahre: ſeine Tochter ward mir geneigt, und wir wurden gute Freunde, ſogar, daß wir uns feſt verlobten, und uns verban- den, nie zu heirathen, wenn man uns Etwas in den Weg legen wuͤrde. Meine Herrſchaft entdeckte dieſes bald, und nun wurde ich fortgejagt. Doch fand ich noch ein Stuͤndchen, mit meiner Verlobten allein zu reden, bei welcher Gelegenheit wir unſer Band noch feſter knuͤpften. Darauf ging ich nach Hol- land und ließ mich zum Soldaten annehmen; ich ſchrieb ſehr oft an meine Geliebte, bekam aber nie Antwort, denn man hatte alle Briefe aufgefangen. Ich wurde daruͤber ſo verzweifelt, daß ich oft den Tod ſuchte, doch hatte ich noch immer Abſcheu vor dem Selbſtmord. „Bald darauf wurde unſer Regiment nach Amerika ab- geſchickt; die Cannibalen hatten Krieg gegen die Hollaͤnder angefangen, ich mußte alſo mit. Wir kamen in Surinam an und meine Compagnie lag in einem ſehr abgelegenen Fort.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/293
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/293>, abgerufen am 23.11.2024.