fen. Kaum waren Beide fort, so kam Lavater in Beglei- tung Vollkrafts, des bekannten Hasenkamp von Duis- burg, und des höchst merkwürdigen, frommen und gelehrten Doktors Collenbusch die Gasse hereingefahren. Dieß wurde Stilling angezeigt, er flog also den beiden Reitern nach und brachte sie wieder zurück.
Lavater und seine Begleiter waren mittlerweile bei einem bekannten und die Religion liebenden Kaufmann eingekehrt; Stilling, Göthe und Juvenal eilten also auch dahin. Niemals hat sich wohl eine seltsamer gemischte Gesellschaft bei- sammen gefunden, als jetzt um den großen ovalrunden Tisch her, der zugleich auf Schönenthaler Art mit Speisen be- setzt war. Es ist der Mühe werth, daß ich diese Gäste nur aus dem Groben zeichne.
Lavaters Ruf der praktischen Gottseligkeit hatte unter Andern einen alten Ter Steeglaner herbeigelockt; dieser war ein in aller Rücksicht verehrungswürdiger Mann, der nach den Grundsätzen der reinen Mystik, unverheirathet, äus- serst heikel in der Wahl des Umgangs, sehr freundlich, ernst, voll sanfter Züge im Gesicht, ruhig im Blick, und übrigens in allen seinen Reden behutsam war; er wog alle seine Worte auf der Goldwage ab, kurz, er [w]ar ein herrlicher Mann, wenn ich nur das einzige Eigensinnige ausnehme, das alle dergleichen Leute so leicht annehmen, indem sie intolerant ge- gen Alle sind, die nicht so denken wie sie! Dieser ehrwürdige Mann saß mit seinem runden, lebhaften Gesicht, runden Stutz- perücke und schwarzen Unterkleidern oben an; mit einer Art von freundlicher Unruhe schaute er um sich, sagte auch wohl zuweilen heimliche Ermahnungsworte, denn er witterte Geister von ganz andern Gesinnungen.
Neben diesem saß der Hofkammerrath Vollkraft, ein fei- ner Weltmann, wie es wenige gibt, im Reisehabit, doch nach der Mode gekleidet; sein lebhaftes Naturell sprühte Funken des Witzes und sein hochrectificirtes philosophisches Gefühl urtheilte immer nach dem Zünglein in der Wage des Wohlstandes, des Lichts und des Rechts.
Auf diesen folgte sein Bruder, der Dichter: von seinem gan-
fen. Kaum waren Beide fort, ſo kam Lavater in Beglei- tung Vollkrafts, des bekannten Haſenkamp von Duis- burg, und des hoͤchſt merkwuͤrdigen, frommen und gelehrten Doktors Collenbuſch die Gaſſe hereingefahren. Dieß wurde Stilling angezeigt, er flog alſo den beiden Reitern nach und brachte ſie wieder zuruͤck.
Lavater und ſeine Begleiter waren mittlerweile bei einem bekannten und die Religion liebenden Kaufmann eingekehrt; Stilling, Goͤthe und Juvenal eilten alſo auch dahin. Niemals hat ſich wohl eine ſeltſamer gemiſchte Geſellſchaft bei- ſammen gefunden, als jetzt um den großen ovalrunden Tiſch her, der zugleich auf Schoͤnenthaler Art mit Speiſen be- ſetzt war. Es iſt der Muͤhe werth, daß ich dieſe Gaͤſte nur aus dem Groben zeichne.
Lavaters Ruf der praktiſchen Gottſeligkeit hatte unter Andern einen alten Ter Steeglaner herbeigelockt; dieſer war ein in aller Ruͤckſicht verehrungswuͤrdiger Mann, der nach den Grundſaͤtzen der reinen Myſtik, unverheirathet, aͤuſ- ſerſt heikel in der Wahl des Umgangs, ſehr freundlich, ernſt, voll ſanfter Zuͤge im Geſicht, ruhig im Blick, und uͤbrigens in allen ſeinen Reden behutſam war; er wog alle ſeine Worte auf der Goldwage ab, kurz, er [w]ar ein herrlicher Mann, wenn ich nur das einzige Eigenſinnige ausnehme, das alle dergleichen Leute ſo leicht annehmen, indem ſie intolerant ge- gen Alle ſind, die nicht ſo denken wie ſie! Dieſer ehrwuͤrdige Mann ſaß mit ſeinem runden, lebhaften Geſicht, runden Stutz- peruͤcke und ſchwarzen Unterkleidern oben an; mit einer Art von freundlicher Unruhe ſchaute er um ſich, ſagte auch wohl zuweilen heimliche Ermahnungsworte, denn er witterte Geiſter von ganz andern Geſinnungen.
Neben dieſem ſaß der Hofkammerrath Vollkraft, ein fei- ner Weltmann, wie es wenige gibt, im Reiſehabit, doch nach der Mode gekleidet; ſein lebhaftes Naturell ſpruͤhte Funken des Witzes und ſein hochrectificirtes philoſophiſches Gefuͤhl urtheilte immer nach dem Zuͤnglein in der Wage des Wohlſtandes, des Lichts und des Rechts.
Auf dieſen folgte ſein Bruder, der Dichter: von ſeinem gan-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0331"n="323"/>
fen. Kaum waren Beide fort, ſo kam <hirendition="#g">Lavater</hi> in Beglei-<lb/>
tung <hirendition="#g">Vollkrafts</hi>, des bekannten <hirendition="#g">Haſenkamp</hi> von <hirendition="#g">Duis-<lb/>
burg</hi>, und des hoͤchſt merkwuͤrdigen, frommen und gelehrten<lb/>
Doktors <hirendition="#g">Collenbuſch</hi> die Gaſſe hereingefahren. Dieß wurde<lb/><hirendition="#g">Stilling</hi> angezeigt, er flog alſo den beiden Reitern nach<lb/>
und brachte ſie wieder zuruͤck.</p><lb/><p><hirendition="#g">Lavater</hi> und ſeine Begleiter waren mittlerweile bei einem<lb/>
bekannten und die Religion liebenden Kaufmann eingekehrt;<lb/><hirendition="#g">Stilling, Goͤthe</hi> und <hirendition="#g">Juvenal</hi> eilten alſo auch dahin.<lb/>
Niemals hat ſich wohl eine ſeltſamer gemiſchte Geſellſchaft bei-<lb/>ſammen gefunden, als jetzt um den großen ovalrunden Tiſch<lb/>
her, der zugleich auf <hirendition="#g">Schoͤnenthaler</hi> Art mit Speiſen be-<lb/>ſetzt war. Es iſt der Muͤhe werth, daß ich dieſe Gaͤſte nur<lb/>
aus dem Groben zeichne.</p><lb/><p><hirendition="#g">Lavaters</hi> Ruf der praktiſchen Gottſeligkeit hatte unter<lb/>
Andern einen alten <hirendition="#g">Ter Steeglaner</hi> herbeigelockt; dieſer<lb/>
war ein in aller Ruͤckſicht verehrungswuͤrdiger Mann, der<lb/>
nach den Grundſaͤtzen der reinen Myſtik, unverheirathet, aͤuſ-<lb/>ſerſt heikel in der Wahl des Umgangs, ſehr freundlich, ernſt,<lb/>
voll ſanfter Zuͤge im Geſicht, ruhig im Blick, und uͤbrigens<lb/>
in allen ſeinen Reden behutſam war; er wog alle ſeine Worte<lb/>
auf der Goldwage ab, kurz, er <supplied>w</supplied>ar ein herrlicher Mann,<lb/>
wenn ich nur das einzige Eigenſinnige ausnehme, das alle<lb/>
dergleichen Leute ſo leicht annehmen, indem ſie intolerant ge-<lb/>
gen Alle ſind, die nicht ſo denken wie ſie! Dieſer ehrwuͤrdige<lb/>
Mann ſaß mit ſeinem runden, lebhaften Geſicht, runden Stutz-<lb/>
peruͤcke und ſchwarzen Unterkleidern oben an; mit einer Art<lb/>
von freundlicher Unruhe ſchaute er um ſich, ſagte auch wohl<lb/>
zuweilen heimliche Ermahnungsworte, denn er witterte Geiſter<lb/>
von ganz andern Geſinnungen.</p><lb/><p>Neben dieſem ſaß der Hofkammerrath <hirendition="#g">Vollkraft</hi>, ein fei-<lb/>
ner Weltmann, wie es wenige gibt, im Reiſehabit, doch nach<lb/>
der Mode gekleidet; ſein lebhaftes Naturell ſpruͤhte Funken des<lb/>
Witzes und ſein hochrectificirtes philoſophiſches Gefuͤhl urtheilte<lb/>
immer nach dem Zuͤnglein in der Wage des Wohlſtandes, des<lb/>
Lichts und des Rechts.</p><lb/><p>Auf dieſen folgte ſein Bruder, der Dichter: von ſeinem gan-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[323/0331]
fen. Kaum waren Beide fort, ſo kam Lavater in Beglei-
tung Vollkrafts, des bekannten Haſenkamp von Duis-
burg, und des hoͤchſt merkwuͤrdigen, frommen und gelehrten
Doktors Collenbuſch die Gaſſe hereingefahren. Dieß wurde
Stilling angezeigt, er flog alſo den beiden Reitern nach
und brachte ſie wieder zuruͤck.
Lavater und ſeine Begleiter waren mittlerweile bei einem
bekannten und die Religion liebenden Kaufmann eingekehrt;
Stilling, Goͤthe und Juvenal eilten alſo auch dahin.
Niemals hat ſich wohl eine ſeltſamer gemiſchte Geſellſchaft bei-
ſammen gefunden, als jetzt um den großen ovalrunden Tiſch
her, der zugleich auf Schoͤnenthaler Art mit Speiſen be-
ſetzt war. Es iſt der Muͤhe werth, daß ich dieſe Gaͤſte nur
aus dem Groben zeichne.
Lavaters Ruf der praktiſchen Gottſeligkeit hatte unter
Andern einen alten Ter Steeglaner herbeigelockt; dieſer
war ein in aller Ruͤckſicht verehrungswuͤrdiger Mann, der
nach den Grundſaͤtzen der reinen Myſtik, unverheirathet, aͤuſ-
ſerſt heikel in der Wahl des Umgangs, ſehr freundlich, ernſt,
voll ſanfter Zuͤge im Geſicht, ruhig im Blick, und uͤbrigens
in allen ſeinen Reden behutſam war; er wog alle ſeine Worte
auf der Goldwage ab, kurz, er war ein herrlicher Mann,
wenn ich nur das einzige Eigenſinnige ausnehme, das alle
dergleichen Leute ſo leicht annehmen, indem ſie intolerant ge-
gen Alle ſind, die nicht ſo denken wie ſie! Dieſer ehrwuͤrdige
Mann ſaß mit ſeinem runden, lebhaften Geſicht, runden Stutz-
peruͤcke und ſchwarzen Unterkleidern oben an; mit einer Art
von freundlicher Unruhe ſchaute er um ſich, ſagte auch wohl
zuweilen heimliche Ermahnungsworte, denn er witterte Geiſter
von ganz andern Geſinnungen.
Neben dieſem ſaß der Hofkammerrath Vollkraft, ein fei-
ner Weltmann, wie es wenige gibt, im Reiſehabit, doch nach
der Mode gekleidet; ſein lebhaftes Naturell ſpruͤhte Funken des
Witzes und ſein hochrectificirtes philoſophiſches Gefuͤhl urtheilte
immer nach dem Zuͤnglein in der Wage des Wohlſtandes, des
Lichts und des Rechts.
Auf dieſen folgte ſein Bruder, der Dichter: von ſeinem gan-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/331>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.