Während der Zeit beging Stilling eine Unvorsichtigkeit, die ihn oft gereuet und viel Verdruß gemacht hat; er fand nämlich bei einem Freunde das Leben und die Meinun- gen des Magister Sebaldus Nothankers liegen, er nahm das Buch mit, und las es durch; die bittere Satyre, das Lächerlichmachen der Pietisten, und sogar wahrhaft from- mer Männer, ging ihm durch die Seele; ob er gleich selbst nicht mit den Pietisten zufrieden war, auch vieles von ihnen dulden mußte, konnte er doch keinen Spott über sie ertragen, denn er glaubte, Fehler in der Religion müßten beweint, be- klagt, aber nicht lächerlich gemacht werden, weil dadurch die Religion selbst zum Spott würde. Dieß Urtheil war gewiß ganz richtig, allein der Schritt, den jetzt Stilling wagte, war nicht weniger übereilt. Er schrieb nämlich in einem Feuer: die Schleuder eines Hirtenknaben gegen den hohnsprechenden Philister, den Verfasser des Sebald Nothankers, und ohne die Handschrift nur Ein- mal wieder kaltblütig durchzugehen, gab er's siedwarm in die Eichenberg'sche Buchhandlung. Sein Freund Kraft wider- rieth ihm den Druck sehr, allein es half nicht, es wurde ge- druckt.
Kaum war er wieder in Schönenthal, so fing ihn der Schritt an zu reuen, er überlegte nun, was er gethan, und welche wichtige Feinde er sich dadurch auf den Hals gezogen hätte; zudem hatte er in der Schleuder seine Grundsätze nicht genug entwickelt, er fürchtete also, das Publikum möchte ihn für dummorthodox halten, er schrieb also ein Traktätchen unter dem Titel: die große Panacee gegen die Krankheit des Unglaubens; dieses wurde auch in dem nämlichen Ver- lag gedruckt. Während dieser Zeit fand sich ein Vertheidiger des Sebald Nothankers; ein gewisser niederländischer Kaufmann schrieb gegen die Schleuder; dieß veranlaßte Stil- lingen, abermal die Feder zu ergreifen und die Theorie des Hirtenknaben zur Berichtigung und Verthei- digung der Schleuder desselben herauszugeben; in die- sem Werk verfuhr er sanft, er bat den Verfasser des Noth- ankers wegen seiner Heftigkeit um Vergebung, ohne jedoch
Waͤhrend der Zeit beging Stilling eine Unvorſichtigkeit, die ihn oft gereuet und viel Verdruß gemacht hat; er fand naͤmlich bei einem Freunde das Leben und die Meinun- gen des Magiſter Sebaldus Nothankers liegen, er nahm das Buch mit, und las es durch; die bittere Satyre, das Laͤcherlichmachen der Pietiſten, und ſogar wahrhaft from- mer Maͤnner, ging ihm durch die Seele; ob er gleich ſelbſt nicht mit den Pietiſten zufrieden war, auch vieles von ihnen dulden mußte, konnte er doch keinen Spott uͤber ſie ertragen, denn er glaubte, Fehler in der Religion muͤßten beweint, be- klagt, aber nicht laͤcherlich gemacht werden, weil dadurch die Religion ſelbſt zum Spott wuͤrde. Dieß Urtheil war gewiß ganz richtig, allein der Schritt, den jetzt Stilling wagte, war nicht weniger uͤbereilt. Er ſchrieb naͤmlich in einem Feuer: die Schleuder eines Hirtenknaben gegen den hohnſprechenden Philiſter, den Verfaſſer des Sebald Nothankers, und ohne die Handſchrift nur Ein- mal wieder kaltbluͤtig durchzugehen, gab er’s ſiedwarm in die Eichenberg’ſche Buchhandlung. Sein Freund Kraft wider- rieth ihm den Druck ſehr, allein es half nicht, es wurde ge- druckt.
Kaum war er wieder in Schoͤnenthal, ſo fing ihn der Schritt an zu reuen, er uͤberlegte nun, was er gethan, und welche wichtige Feinde er ſich dadurch auf den Hals gezogen haͤtte; zudem hatte er in der Schleuder ſeine Grundſaͤtze nicht genug entwickelt, er fuͤrchtete alſo, das Publikum moͤchte ihn fuͤr dummorthodox halten, er ſchrieb alſo ein Traktaͤtchen unter dem Titel: die große Panacee gegen die Krankheit des Unglaubens; dieſes wurde auch in dem naͤmlichen Ver- lag gedruckt. Waͤhrend dieſer Zeit fand ſich ein Vertheidiger des Sebald Nothankers; ein gewiſſer niederlaͤndiſcher Kaufmann ſchrieb gegen die Schleuder; dieß veranlaßte Stil- lingen, abermal die Feder zu ergreifen und die Theorie des Hirtenknaben zur Berichtigung und Verthei- digung der Schleuder deſſelben herauszugeben; in die- ſem Werk verfuhr er ſanft, er bat den Verfaſſer des Noth- ankers wegen ſeiner Heftigkeit um Vergebung, ohne jedoch
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Waͤhrend der Zeit beging Stilling eine Unvorſichtigkeit,
die ihn oft gereuet und viel Verdruß gemacht hat; er fand
naͤmlich bei einem Freunde das Leben und die Meinun-
gen des Magiſter Sebaldus Nothankers liegen, er
nahm das Buch mit, und las es durch; die bittere Satyre,
das Laͤcherlichmachen der Pietiſten, und ſogar wahrhaft from-
mer Maͤnner, ging ihm durch die Seele; ob er gleich ſelbſt
nicht mit den Pietiſten zufrieden war, auch vieles von ihnen
dulden mußte, konnte er doch keinen Spott uͤber ſie ertragen,
denn er glaubte, Fehler in der Religion muͤßten beweint, be-
klagt, aber nicht laͤcherlich gemacht werden, weil dadurch die
Religion ſelbſt zum Spott wuͤrde. Dieß Urtheil war gewiß
ganz richtig, allein der Schritt, den jetzt Stilling wagte,
war nicht weniger uͤbereilt. Er ſchrieb naͤmlich in einem
Feuer: die Schleuder eines Hirtenknaben gegen
den hohnſprechenden Philiſter, den Verfaſſer des
Sebald Nothankers, und ohne die Handſchrift nur Ein-
mal wieder kaltbluͤtig durchzugehen, gab er’s ſiedwarm in die
Eichenberg’ſche Buchhandlung. Sein Freund Kraft wider-
rieth ihm den Druck ſehr, allein es half nicht, es wurde ge-
druckt.
Kaum war er wieder in Schoͤnenthal, ſo fing ihn der
Schritt an zu reuen, er uͤberlegte nun, was er gethan, und
welche wichtige Feinde er ſich dadurch auf den Hals gezogen
haͤtte; zudem hatte er in der Schleuder ſeine Grundſaͤtze nicht
genug entwickelt, er fuͤrchtete alſo, das Publikum moͤchte ihn
fuͤr dummorthodox halten, er ſchrieb alſo ein Traktaͤtchen unter
dem Titel: die große Panacee gegen die Krankheit
des Unglaubens; dieſes wurde auch in dem naͤmlichen Ver-
lag gedruckt. Waͤhrend dieſer Zeit fand ſich ein Vertheidiger
des Sebald Nothankers; ein gewiſſer niederlaͤndiſcher
Kaufmann ſchrieb gegen die Schleuder; dieß veranlaßte Stil-
lingen, abermal die Feder zu ergreifen und die Theorie
des Hirtenknaben zur Berichtigung und Verthei-
digung der Schleuder deſſelben herauszugeben; in die-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/350>, abgerufen am 22.11.2024.
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