höchsttraurigen zusammengesetzten Affekt, schossen ihm Thränen aus den Augen und Empfindungen aus der Seele, und er sagte: "Solche Bosheit hat doch wohl auch nie ein Adra- "melech ausgesonnen -- teuflisch! -- satanisch-klüger konnte "man's nicht anfangen, mir vollends alle Nahrung zu ent- "ziehen -- aber Gott, mein Rächer und mein Versorger, lebt "noch, Er wird mich nicht ewig in dieser Hölle schmachten "lassen -- Er wird mich retten und versorgen! Wie es um "meinen Verstand aussieht, darüber gebe ich Niemand Rechen- "schaft, man beobachte mich und meine Handlungen, so wird "sichs zeigen. Die ganze Sache ist so außerordentlich, so un- "menschlich boshaft, daß sich nichts weiter davon sagen läßt." Nehmen Sie mirs nur nicht übel, lieber Herr Doktor! fuhr sein Hausherr fort, die Liebe zu Ihnen drang mich dazu. Nein, versetzte Stilling, ich danke Ihnen dafür!
Nun verschwand zwar das Gerücht allmählig, so wie ein stinkendes Ungeheuer wegschleicht, aber der Gestank blieb zu- rück, und für Stilling und seine gute Dulderin war zu Schönenthal nunmehr die Luft verpestet; die Praxis nahm noch mehr ab, und mit ihr die Hoffnung, sich nähren zu kön- nen. Wo das erschreckliche Gerücht herkam, und wer den Basilisk, der durch Anschauen tödtet, ausgebrütet hatte, das bleibt dem großen Tage der Offenbarung vorbehalten. Stil- ling erfuhr die Quelle selbst nicht mit Gewißheit, er ahndete zwar nach Gründen der höchsten Wahrscheinlichkeit, aber hüten wird er sich, das Geringste zu entdecken. Ueberhaupt wurde der ganze Vorgang nicht sehr bemerkt, er machte wenig Auf- sehen, denn dazu war Stilling nicht wichtig genug, er war ja kein Kaufmann, vielweniger reich, folglich auch äußerst wenig an ihm gelegen!
Meine Leser werden mir erlauben, daß ich auf dieser furcht- baren Stelle ein wenig verweile, und ihnen die eigentliche Verfassung schildere, in welcher sich Stilling jetzt befand, denn es ist nöthig, daß sie seine ganze Lage recht empfinden.
Stilling und seine Gattin hatten bekanntlich nicht das geringste Vermögen, folglich auch nicht den geringsten reelen Kredit. -- Außer der medicinischen Praxis hatte er keinen Be-
hoͤchſttraurigen zuſammengeſetzten Affekt, ſchoſſen ihm Thraͤnen aus den Augen und Empfindungen aus der Seele, und er ſagte: „Solche Bosheit hat doch wohl auch nie ein Adra- „melech ausgeſonnen — teufliſch! — ſataniſch-kluͤger konnte „man’s nicht anfangen, mir vollends alle Nahrung zu ent- „ziehen — aber Gott, mein Raͤcher und mein Verſorger, lebt „noch, Er wird mich nicht ewig in dieſer Hoͤlle ſchmachten „laſſen — Er wird mich retten und verſorgen! Wie es um „meinen Verſtand ausſieht, daruͤber gebe ich Niemand Rechen- „ſchaft, man beobachte mich und meine Handlungen, ſo wird „ſichs zeigen. Die ganze Sache iſt ſo außerordentlich, ſo un- „menſchlich boshaft, daß ſich nichts weiter davon ſagen laͤßt.“ Nehmen Sie mirs nur nicht uͤbel, lieber Herr Doktor! fuhr ſein Hausherr fort, die Liebe zu Ihnen drang mich dazu. Nein, verſetzte Stilling, ich danke Ihnen dafuͤr!
Nun verſchwand zwar das Geruͤcht allmaͤhlig, ſo wie ein ſtinkendes Ungeheuer wegſchleicht, aber der Geſtank blieb zu- ruͤck, und fuͤr Stilling und ſeine gute Dulderin war zu Schoͤnenthal nunmehr die Luft verpeſtet; die Praxis nahm noch mehr ab, und mit ihr die Hoffnung, ſich naͤhren zu koͤn- nen. Wo das erſchreckliche Geruͤcht herkam, und wer den Baſilisk, der durch Anſchauen toͤdtet, ausgebruͤtet hatte, das bleibt dem großen Tage der Offenbarung vorbehalten. Stil- ling erfuhr die Quelle ſelbſt nicht mit Gewißheit, er ahndete zwar nach Gruͤnden der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit, aber huͤten wird er ſich, das Geringſte zu entdecken. Ueberhaupt wurde der ganze Vorgang nicht ſehr bemerkt, er machte wenig Auf- ſehen, denn dazu war Stilling nicht wichtig genug, er war ja kein Kaufmann, vielweniger reich, folglich auch aͤußerſt wenig an ihm gelegen!
Meine Leſer werden mir erlauben, daß ich auf dieſer furcht- baren Stelle ein wenig verweile, und ihnen die eigentliche Verfaſſung ſchildere, in welcher ſich Stilling jetzt befand, denn es iſt noͤthig, daß ſie ſeine ganze Lage recht empfinden.
Stilling und ſeine Gattin hatten bekanntlich nicht das geringſte Vermoͤgen, folglich auch nicht den geringſten reelen Kredit. — Außer der mediciniſchen Praxis hatte er keinen Be-
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hoͤchſttraurigen zuſammengeſetzten Affekt, ſchoſſen ihm Thraͤnen
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„melech ausgeſonnen — teufliſch! — ſataniſch-kluͤger konnte
„man’s nicht anfangen, mir vollends alle Nahrung zu ent-
„ziehen — aber Gott, mein Raͤcher und mein Verſorger, lebt
„noch, Er wird mich nicht ewig in dieſer Hoͤlle ſchmachten
„laſſen — Er wird mich retten und verſorgen! Wie es um
„meinen Verſtand ausſieht, daruͤber gebe ich Niemand Rechen-
„ſchaft, man beobachte mich und meine Handlungen, ſo wird
„ſichs zeigen. Die ganze Sache iſt ſo außerordentlich, ſo un-
„menſchlich boshaft, daß ſich nichts weiter davon ſagen laͤßt.“
Nehmen Sie mirs nur nicht uͤbel, lieber Herr Doktor! fuhr
ſein Hausherr fort, die Liebe zu Ihnen drang mich dazu.
Nein, verſetzte Stilling, ich danke Ihnen dafuͤr!
Nun verſchwand zwar das Geruͤcht allmaͤhlig, ſo wie ein
ſtinkendes Ungeheuer wegſchleicht, aber der Geſtank blieb zu-
ruͤck, und fuͤr Stilling und ſeine gute Dulderin war zu
Schoͤnenthal nunmehr die Luft verpeſtet; die Praxis nahm
noch mehr ab, und mit ihr die Hoffnung, ſich naͤhren zu koͤn-
nen. Wo das erſchreckliche Geruͤcht herkam, und wer den
Baſilisk, der durch Anſchauen toͤdtet, ausgebruͤtet hatte, das
bleibt dem großen Tage der Offenbarung vorbehalten. Stil-
ling erfuhr die Quelle ſelbſt nicht mit Gewißheit, er ahndete
zwar nach Gruͤnden der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit, aber huͤten
wird er ſich, das Geringſte zu entdecken. Ueberhaupt wurde
der ganze Vorgang nicht ſehr bemerkt, er machte wenig Auf-
ſehen, denn dazu war Stilling nicht wichtig genug, er war
ja kein Kaufmann, vielweniger reich, folglich auch aͤußerſt
wenig an ihm gelegen!
Meine Leſer werden mir erlauben, daß ich auf dieſer furcht-
baren Stelle ein wenig verweile, und ihnen die eigentliche
Verfaſſung ſchildere, in welcher ſich Stilling jetzt befand,
denn es iſt noͤthig, daß ſie ſeine ganze Lage recht empfinden.
Stilling und ſeine Gattin hatten bekanntlich nicht das
geringſte Vermoͤgen, folglich auch nicht den geringſten reelen
Kredit. — Außer der mediciniſchen Praxis hatte er keinen Be-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/358>, abgerufen am 27.11.2024.
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