Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht einmal in den Sinn, er schloß sich immer fester an die
Mutter Vorsehung an, er glaubte, es sey ihr ein Leichtes, da
einen Ausweg zu finden, wo alle menschliche Klugheit keinen
entdecken kann, und ging also, in Dunkel und Dämmerung,
Schritt für Schritt seinen schmalen Weg fort.

Im Anfang des 1778sten Jahres machte er abermal seine
Rechnung, und fand zu seinem größten Entsetzen, daß er das
verflossene Jahr noch tiefer in Schulden gerathen war, als
vorhin; zudem fingen einige seiner Kreditoren an zu drohen,
und es schien nun mit ihm aus zu seyn; dazu kam noch ein
Umstand: er hatte die Subscription auf die Werke der staats-
wirthschaftlichen Gesellschaft übernommen und Geld empfangen,
er war also auch an Herrn Eisenhart acht und zwanzig
Gulden schuldig geworden, die er nicht bezahlen konnte, auch
da soll ich zu Schanden werden
! sagte er zu sich selbst.
-- In der größten Angst seines Herzens lief er auf seine Kam-
mer, warf sich vor Gott hin, und betete lange mit einer In-
brunst ohne Gleichen, dann stand er auf, setzte sich und schrieb
einen Brief an Eisenharten, worin er ihm seine ganze
Lage entdeckte und ihn bat, noch eine kleine Weile Gedult mit
ihm zu haben. Bald darauf erhielt er Antwort: Eisenhart
schrieb ihm, er möchte der acht und zwanzig Gulden nur mit
keinem Worte mehr gedenken, er habe geglaubt, es ging ihm
wohl, und die medizinische Praxis sey seine Freude, da er aber
nun das Gegentheil sähe, so schlüge er ihm vor, ob er nicht
Lust habe, einen Lehrstuhl der Landwirthschaft, Techno-
logie, Handlung und Vieharzeneikunde
auf der neu
gestifteten Kameralakademie zu Rittersburg anzunehmen? Zwei
Lehrer seyen schon da, der eine lehre die Hülfswissenschaften,
Mathematik, Naturgeschichte, Physik und Chemie,
und der Andere: Polizei, Finanz- und Staatswirth-
schaft
; der Gehalt sey sechshundert Gulden, und die Colle-
giengelder möchten auch leicht zwei bis drei hundert Gulden
betragen; zu Rittersburg sey es wohlfeil zu leben, und er ge-
traue sich, den Churfürsten leicht dahin zu bewegen, daß er
ihn beriefe, u. s. w.

Leser, stehe still und thue einen Blick in Stillings gan-

nicht einmal in den Sinn, er ſchloß ſich immer feſter an die
Mutter Vorſehung an, er glaubte, es ſey ihr ein Leichtes, da
einen Ausweg zu finden, wo alle menſchliche Klugheit keinen
entdecken kann, und ging alſo, in Dunkel und Daͤmmerung,
Schritt fuͤr Schritt ſeinen ſchmalen Weg fort.

Im Anfang des 1778ſten Jahres machte er abermal ſeine
Rechnung, und fand zu ſeinem groͤßten Entſetzen, daß er das
verfloſſene Jahr noch tiefer in Schulden gerathen war, als
vorhin; zudem fingen einige ſeiner Kreditoren an zu drohen,
und es ſchien nun mit ihm aus zu ſeyn; dazu kam noch ein
Umſtand: er hatte die Subſcription auf die Werke der ſtaats-
wirthſchaftlichen Geſellſchaft uͤbernommen und Geld empfangen,
er war alſo auch an Herrn Eiſenhart acht und zwanzig
Gulden ſchuldig geworden, die er nicht bezahlen konnte, auch
da ſoll ich zu Schanden werden
! ſagte er zu ſich ſelbſt.
— In der groͤßten Angſt ſeines Herzens lief er auf ſeine Kam-
mer, warf ſich vor Gott hin, und betete lange mit einer In-
brunſt ohne Gleichen, dann ſtand er auf, ſetzte ſich und ſchrieb
einen Brief an Eiſenharten, worin er ihm ſeine ganze
Lage entdeckte und ihn bat, noch eine kleine Weile Gedult mit
ihm zu haben. Bald darauf erhielt er Antwort: Eiſenhart
ſchrieb ihm, er moͤchte der acht und zwanzig Gulden nur mit
keinem Worte mehr gedenken, er habe geglaubt, es ging ihm
wohl, und die mediziniſche Praxis ſey ſeine Freude, da er aber
nun das Gegentheil ſaͤhe, ſo ſchluͤge er ihm vor, ob er nicht
Luſt habe, einen Lehrſtuhl der Landwirthſchaft, Techno-
logie, Handlung und Vieharzeneikunde
auf der neu
geſtifteten Kameralakademie zu Rittersburg anzunehmen? Zwei
Lehrer ſeyen ſchon da, der eine lehre die Huͤlfswiſſenſchaften,
Mathematik, Naturgeſchichte, Phyſik und Chemie,
und der Andere: Polizei, Finanz- und Staatswirth-
ſchaft
; der Gehalt ſey ſechshundert Gulden, und die Colle-
giengelder moͤchten auch leicht zwei bis drei hundert Gulden
betragen; zu Rittersburg ſey es wohlfeil zu leben, und er ge-
traue ſich, den Churfuͤrſten leicht dahin zu bewegen, daß er
ihn beriefe, u. ſ. w.

Leſer, ſtehe ſtill und thue einen Blick in Stillings gan-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0361" n="353"/>
nicht einmal in den Sinn, er &#x017F;chloß &#x017F;ich immer fe&#x017F;ter an die<lb/>
Mutter Vor&#x017F;ehung an, er glaubte, es &#x017F;ey ihr ein Leichtes, da<lb/>
einen Ausweg zu finden, wo alle men&#x017F;chliche Klugheit keinen<lb/>
entdecken kann, und ging al&#x017F;o, in Dunkel und Da&#x0364;mmerung,<lb/>
Schritt fu&#x0364;r Schritt &#x017F;einen &#x017F;chmalen Weg fort.</p><lb/>
            <p>Im Anfang des 1778&#x017F;ten Jahres machte er abermal &#x017F;eine<lb/>
Rechnung, und fand zu &#x017F;einem gro&#x0364;ßten Ent&#x017F;etzen, daß er das<lb/>
verflo&#x017F;&#x017F;ene Jahr noch tiefer in Schulden gerathen war, als<lb/>
vorhin; zudem fingen einige &#x017F;einer Kreditoren an zu drohen,<lb/>
und es &#x017F;chien nun mit ihm aus zu &#x017F;eyn; dazu kam noch ein<lb/>
Um&#x017F;tand: er hatte die Sub&#x017F;cription auf die Werke der &#x017F;taats-<lb/>
wirth&#x017F;chaftlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft u&#x0364;bernommen und Geld empfangen,<lb/>
er war al&#x017F;o auch an Herrn <hi rendition="#g">Ei&#x017F;enhart</hi> acht und zwanzig<lb/>
Gulden &#x017F;chuldig geworden, die er nicht bezahlen konnte, <hi rendition="#g">auch<lb/>
da &#x017F;oll ich zu Schanden werden</hi>! &#x017F;agte er zu &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t.<lb/>
&#x2014; In der gro&#x0364;ßten Ang&#x017F;t &#x017F;eines Herzens lief er auf &#x017F;eine Kam-<lb/>
mer, warf &#x017F;ich vor Gott hin, und betete lange mit einer In-<lb/>
brun&#x017F;t ohne Gleichen, dann &#x017F;tand er auf, &#x017F;etzte &#x017F;ich und &#x017F;chrieb<lb/>
einen Brief an <hi rendition="#g">Ei&#x017F;enharten</hi>, worin er ihm &#x017F;eine ganze<lb/>
Lage entdeckte und ihn bat, noch eine kleine Weile Gedult mit<lb/>
ihm zu haben. Bald darauf erhielt er Antwort: <hi rendition="#g">Ei&#x017F;enhart</hi><lb/>
&#x017F;chrieb ihm, er mo&#x0364;chte der acht und zwanzig Gulden nur mit<lb/><hi rendition="#g">keinem</hi> Worte mehr gedenken, er habe geglaubt, es ging ihm<lb/>
wohl, und die medizini&#x017F;che Praxis &#x017F;ey &#x017F;eine Freude, da er aber<lb/>
nun das Gegentheil &#x017F;a&#x0364;he, &#x017F;o &#x017F;chlu&#x0364;ge er ihm vor, ob er nicht<lb/>
Lu&#x017F;t habe, einen Lehr&#x017F;tuhl der <hi rendition="#g">Landwirth&#x017F;chaft, Techno-<lb/>
logie, Handlung und Vieharzeneikunde</hi> auf der neu<lb/>
ge&#x017F;tifteten Kameralakademie zu Rittersburg anzunehmen? Zwei<lb/>
Lehrer &#x017F;eyen &#x017F;chon da, der eine lehre die Hu&#x0364;lfswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften,<lb/><hi rendition="#g">Mathematik, Naturge&#x017F;chichte, Phy&#x017F;ik</hi> und <hi rendition="#g">Chemie</hi>,<lb/>
und der Andere: <hi rendition="#g">Polizei, Finanz-</hi> und <hi rendition="#g">Staatswirth-<lb/>
&#x017F;chaft</hi>; der Gehalt &#x017F;ey &#x017F;echshundert Gulden, und die Colle-<lb/>
giengelder mo&#x0364;chten auch leicht zwei bis drei hundert Gulden<lb/>
betragen; zu Rittersburg &#x017F;ey es wohlfeil zu leben, und er ge-<lb/>
traue &#x017F;ich, den Churfu&#x0364;r&#x017F;ten leicht dahin zu bewegen, daß er<lb/>
ihn beriefe, u. &#x017F;. w.</p><lb/>
            <p>Le&#x017F;er, &#x017F;tehe &#x017F;till und thue einen Blick in <hi rendition="#g">Stillings</hi> gan-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[353/0361] nicht einmal in den Sinn, er ſchloß ſich immer feſter an die Mutter Vorſehung an, er glaubte, es ſey ihr ein Leichtes, da einen Ausweg zu finden, wo alle menſchliche Klugheit keinen entdecken kann, und ging alſo, in Dunkel und Daͤmmerung, Schritt fuͤr Schritt ſeinen ſchmalen Weg fort. Im Anfang des 1778ſten Jahres machte er abermal ſeine Rechnung, und fand zu ſeinem groͤßten Entſetzen, daß er das verfloſſene Jahr noch tiefer in Schulden gerathen war, als vorhin; zudem fingen einige ſeiner Kreditoren an zu drohen, und es ſchien nun mit ihm aus zu ſeyn; dazu kam noch ein Umſtand: er hatte die Subſcription auf die Werke der ſtaats- wirthſchaftlichen Geſellſchaft uͤbernommen und Geld empfangen, er war alſo auch an Herrn Eiſenhart acht und zwanzig Gulden ſchuldig geworden, die er nicht bezahlen konnte, auch da ſoll ich zu Schanden werden! ſagte er zu ſich ſelbſt. — In der groͤßten Angſt ſeines Herzens lief er auf ſeine Kam- mer, warf ſich vor Gott hin, und betete lange mit einer In- brunſt ohne Gleichen, dann ſtand er auf, ſetzte ſich und ſchrieb einen Brief an Eiſenharten, worin er ihm ſeine ganze Lage entdeckte und ihn bat, noch eine kleine Weile Gedult mit ihm zu haben. Bald darauf erhielt er Antwort: Eiſenhart ſchrieb ihm, er moͤchte der acht und zwanzig Gulden nur mit keinem Worte mehr gedenken, er habe geglaubt, es ging ihm wohl, und die mediziniſche Praxis ſey ſeine Freude, da er aber nun das Gegentheil ſaͤhe, ſo ſchluͤge er ihm vor, ob er nicht Luſt habe, einen Lehrſtuhl der Landwirthſchaft, Techno- logie, Handlung und Vieharzeneikunde auf der neu geſtifteten Kameralakademie zu Rittersburg anzunehmen? Zwei Lehrer ſeyen ſchon da, der eine lehre die Huͤlfswiſſenſchaften, Mathematik, Naturgeſchichte, Phyſik und Chemie, und der Andere: Polizei, Finanz- und Staatswirth- ſchaft; der Gehalt ſey ſechshundert Gulden, und die Colle- giengelder moͤchten auch leicht zwei bis drei hundert Gulden betragen; zu Rittersburg ſey es wohlfeil zu leben, und er ge- traue ſich, den Churfuͤrſten leicht dahin zu bewegen, daß er ihn beriefe, u. ſ. w. Leſer, ſtehe ſtill und thue einen Blick in Stillings gan-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/361
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/361>, abgerufen am 29.05.2024.