dammung flieht, dem nun der Richter Gnade winkt, und ihn aus dem Staub erhebt, hinsinkt und unaussprechlichen Dank stammelt, so versank Stilling vor Gott, und stammelte unaussprechliche Worte. Auch Christine war überschweng- lich froh, sie sehnte sich fort aus ihrer Lage, hin in ein Land, das sie nicht kannte.
Sobald sich der Tumult in seiner Seele gestillt hatte und er nun ruhig geworden war, so traten ihm alle seine Schul- den unter die Augen, kaum konnte er den Wirrwarr überse- hen! Wie kommst Du aber hier weg, ohne zu bezahlen? Dieß war ein harter Knoten. Doch ermannte er sich, denn er war zu sehr von seiner Bestimmung überzeugt, als daß er nur im Geringsten hätte zweifeln können; er schrieb also an Ei- senhart: daß ihm der Lehrstuhl in Rittersburg sehr angenehm wäre, und daß er sich der Stelle gewachsen fühle, indessen würden ihn seine Kreditoren nicht ziehen lassen: er fragte an, ob man ihm nicht ein gewisses Kapital vorschießen könnte? er wollte sein Gehalt verschreiben, und jährlich ein paar hundert Gulden nebst der Interessen darauf abtragen; dieß wurde ihm aber rundaus abgeschlagen: dagegen tröstete ihn Eisenhart, daß sich seine Gläubiger wohl würden zufrieden geben, wenn sie nur einmal sähen, daß er Mittel hätte, sie mit der Zeit befriedigen zu können. Indessen wußte das Stilling besser, sein persönlicher Kredit war allzusehr geschwächt, achthundert Gulden wenigstens mußten bezahlt werden, sonst ließ man ihn nicht ziehen; doch er faßte unüberwindlichen Muth, und hoffte, wo nichts zu hoffen war!
Nun verschwieg er diesen Vorfall keineswegs, er erzählte ihn seinen Freunden, und diese erzählten ihn wieder; es gab also ein allgemeines Stadtgeschwätz, der Doktor Stilling solle Professor werden: nichts war nun den Schönenthalern lächerlicher, als das: "Stilling Professor!" -- Wie kommt der dazu? -- er versteht ja nichts, das ist klare Windben- telei, er erdichtet das, blos um sich groß zu machen, u. s. w. Während der Zeit ging aber alles seinen Gang fort: der akademische Senat in Ritterburg wählte Stilling zum or- deutlichen öffentlichen Professor der Landwirthschaft, Technologie,
dammung flieht, dem nun der Richter Gnade winkt, und ihn aus dem Staub erhebt, hinſinkt und unausſprechlichen Dank ſtammelt, ſo verſank Stilling vor Gott, und ſtammelte unausſprechliche Worte. Auch Chriſtine war uͤberſchweng- lich froh, ſie ſehnte ſich fort aus ihrer Lage, hin in ein Land, das ſie nicht kannte.
Sobald ſich der Tumult in ſeiner Seele geſtillt hatte und er nun ruhig geworden war, ſo traten ihm alle ſeine Schul- den unter die Augen, kaum konnte er den Wirrwarr uͤberſe- hen! Wie kommſt Du aber hier weg, ohne zu bezahlen? Dieß war ein harter Knoten. Doch ermannte er ſich, denn er war zu ſehr von ſeiner Beſtimmung uͤberzeugt, als daß er nur im Geringſten haͤtte zweifeln koͤnnen; er ſchrieb alſo an Ei- ſenhart: daß ihm der Lehrſtuhl in Rittersburg ſehr angenehm waͤre, und daß er ſich der Stelle gewachſen fuͤhle, indeſſen wuͤrden ihn ſeine Kreditoren nicht ziehen laſſen: er fragte an, ob man ihm nicht ein gewiſſes Kapital vorſchießen koͤnnte? er wollte ſein Gehalt verſchreiben, und jaͤhrlich ein paar hundert Gulden nebſt der Intereſſen darauf abtragen; dieß wurde ihm aber rundaus abgeſchlagen: dagegen troͤſtete ihn Eiſenhart, daß ſich ſeine Glaͤubiger wohl wuͤrden zufrieden geben, wenn ſie nur einmal ſaͤhen, daß er Mittel haͤtte, ſie mit der Zeit befriedigen zu koͤnnen. Indeſſen wußte das Stilling beſſer, ſein perſoͤnlicher Kredit war allzuſehr geſchwaͤcht, achthundert Gulden wenigſtens mußten bezahlt werden, ſonſt ließ man ihn nicht ziehen; doch er faßte unuͤberwindlichen Muth, und hoffte, wo nichts zu hoffen war!
Nun verſchwieg er dieſen Vorfall keineswegs, er erzaͤhlte ihn ſeinen Freunden, und dieſe erzaͤhlten ihn wieder; es gab alſo ein allgemeines Stadtgeſchwaͤtz, der Doktor Stilling ſolle Profeſſor werden: nichts war nun den Schoͤnenthalern laͤcherlicher, als das: „Stilling Profeſſor!“ — Wie kommt der dazu? — er verſteht ja nichts, das iſt klare Windben- telei, er erdichtet das, blos um ſich groß zu machen, u. ſ. w. Waͤhrend der Zeit ging aber alles ſeinen Gang fort: der akademiſche Senat in Ritterburg waͤhlte Stilling zum or- deutlichen oͤffentlichen Profeſſor der Landwirthſchaft, Technologie,
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dammung flieht, dem nun der Richter Gnade winkt, und ihn
aus dem Staub erhebt, hinſinkt und unausſprechlichen Dank
ſtammelt, ſo verſank Stilling vor Gott, und ſtammelte
unausſprechliche Worte. Auch Chriſtine war uͤberſchweng-
lich froh, ſie ſehnte ſich fort aus ihrer Lage, hin in ein Land,
das ſie nicht kannte.
Sobald ſich der Tumult in ſeiner Seele geſtillt hatte und
er nun ruhig geworden war, ſo traten ihm alle ſeine Schul-
den unter die Augen, kaum konnte er den Wirrwarr uͤberſe-
hen! Wie kommſt Du aber hier weg, ohne zu bezahlen? Dieß
war ein harter Knoten. Doch ermannte er ſich, denn er war
zu ſehr von ſeiner Beſtimmung uͤberzeugt, als daß er nur
im Geringſten haͤtte zweifeln koͤnnen; er ſchrieb alſo an Ei-
ſenhart: daß ihm der Lehrſtuhl in Rittersburg ſehr angenehm
waͤre, und daß er ſich der Stelle gewachſen fuͤhle, indeſſen
wuͤrden ihn ſeine Kreditoren nicht ziehen laſſen: er fragte an,
ob man ihm nicht ein gewiſſes Kapital vorſchießen koͤnnte? er
wollte ſein Gehalt verſchreiben, und jaͤhrlich ein paar hundert
Gulden nebſt der Intereſſen darauf abtragen; dieß wurde ihm
aber rundaus abgeſchlagen: dagegen troͤſtete ihn Eiſenhart,
daß ſich ſeine Glaͤubiger wohl wuͤrden zufrieden geben, wenn
ſie nur einmal ſaͤhen, daß er Mittel haͤtte, ſie mit der Zeit
befriedigen zu koͤnnen. Indeſſen wußte das Stilling beſſer,
ſein perſoͤnlicher Kredit war allzuſehr geſchwaͤcht, achthundert
Gulden wenigſtens mußten bezahlt werden, ſonſt ließ man ihn
nicht ziehen; doch er faßte unuͤberwindlichen Muth, und hoffte,
wo nichts zu hoffen war!
Nun verſchwieg er dieſen Vorfall keineswegs, er erzaͤhlte
ihn ſeinen Freunden, und dieſe erzaͤhlten ihn wieder; es gab
alſo ein allgemeines Stadtgeſchwaͤtz, der Doktor Stilling
ſolle Profeſſor werden: nichts war nun den Schoͤnenthalern
laͤcherlicher, als das: „Stilling Profeſſor!“ — Wie kommt
der dazu? — er verſteht ja nichts, das iſt klare Windben-
telei, er erdichtet das, blos um ſich groß zu machen, u. ſ. w.
Waͤhrend der Zeit ging aber alles ſeinen Gang fort: der
akademiſche Senat in Ritterburg waͤhlte Stilling zum or-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/364>, abgerufen am 24.11.2024.
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