Jetzt wurde Stilling herausgerufen, der Kaufmann hatte die Mobilien des Herrn Toms beaugenscheinigt, und kündigte nun an, daß er den Sprachmeister ohne Vorschuß aufnehmen wolle. Diese Nachricht beruhigte auch den Herrn Tom, er zog also ein.
Damit ich aber mit allen kleinen Vorfällen und Nüancen nicht Zeit und Raum verschleudern möge, so bemerke ich nur ins Allgemeine, daß sich Spässel und Tom an einander anschlossen, und den Plan machten, Stillingen zu stürzen, aus dem Sattel zu heben, und sich dann in sein Amt zu theilen. Ihre Anstalten waren äußerst fein, weitläufig angelegt und reif- lich überdacht, wie solches der Verfolg zeigen wird.
Der allgemeine Wahn, Stilling habe noch einigen Hang zur Schwärmerei und zum Pietismus, schien beiden Kabali- sten die schwache Seite zu seyn, wohin sie ihre Kanonen rich- ten und Sturmlücken schießen müßten. Sie gingen daher in der Abenddämmerung Stunden lang vor Stillings Hause in der Gasse auf und ab, um zu spioniren; nun hatte er den Gebrauch, daß er öfters Abends nach Tische auf seinem Klavier Choral spielte und dazu sang, wo dann seine Christine mit einstimmte; dieß wurde ausgebreitet: es hieß, er hielte Haus- übungen, Betstunden u. dgl. und so wurde das Publikum all- mählig vorbereitet. Eben diese Nachrichten schrieb dann auch Spässel an den Hof nach München, um Alles wohl zu präpariren.
Nun kam noch ein Zufall dazu, der der Sache vollends den Ausschlag gab: Stilling hatte zu Siegelbach noch einen Vorrath von Schweizerkäsen gefunden, den er zu sich ins Haus nahm, um ihn zu verkaufen; dieses veranlaßte, daß verschie- dene Bürgersleute, Weiber und Mädchen häufig kamen, um Käse zu kaufen: nun waren etliche unter denselben, welche Werk von der Religion machten, und mit der Frau Profes- sorin auch wohl davon redeten; eine unter ihnen lud sie ein- mal in ihren Garten ein, um ihr mit ihren Kindern eine Ver- änderung zu machen; Christine nahm das ohne Bedenken an, und Stilling wähnte nichts Arges, sie ging also an dem bestimmten Tage hin, und nach der Kollegienstunde wan-
Jetzt wurde Stilling herausgerufen, der Kaufmann hatte die Mobilien des Herrn Toms beaugenſcheinigt, und kuͤndigte nun an, daß er den Sprachmeiſter ohne Vorſchuß aufnehmen wolle. Dieſe Nachricht beruhigte auch den Herrn Tom, er zog alſo ein.
Damit ich aber mit allen kleinen Vorfaͤllen und Nuͤancen nicht Zeit und Raum verſchleudern moͤge, ſo bemerke ich nur ins Allgemeine, daß ſich Spaͤſſel und Tom an einander anſchloſſen, und den Plan machten, Stillingen zu ſtuͤrzen, aus dem Sattel zu heben, und ſich dann in ſein Amt zu theilen. Ihre Anſtalten waren aͤußerſt fein, weitlaͤufig angelegt und reif- lich uͤberdacht, wie ſolches der Verfolg zeigen wird.
Der allgemeine Wahn, Stilling habe noch einigen Hang zur Schwaͤrmerei und zum Pietismus, ſchien beiden Kabali- ſten die ſchwache Seite zu ſeyn, wohin ſie ihre Kanonen rich- ten und Sturmluͤcken ſchießen muͤßten. Sie gingen daher in der Abenddaͤmmerung Stunden lang vor Stillings Hauſe in der Gaſſe auf und ab, um zu ſpioniren; nun hatte er den Gebrauch, daß er oͤfters Abends nach Tiſche auf ſeinem Klavier Choral ſpielte und dazu ſang, wo dann ſeine Chriſtine mit einſtimmte; dieß wurde ausgebreitet: es hieß, er hielte Haus- uͤbungen, Betſtunden u. dgl. und ſo wurde das Publikum all- maͤhlig vorbereitet. Eben dieſe Nachrichten ſchrieb dann auch Spaͤſſel an den Hof nach Muͤnchen, um Alles wohl zu praͤpariren.
Nun kam noch ein Zufall dazu, der der Sache vollends den Ausſchlag gab: Stilling hatte zu Siegelbach noch einen Vorrath von Schweizerkaͤſen gefunden, den er zu ſich ins Haus nahm, um ihn zu verkaufen; dieſes veranlaßte, daß verſchie- dene Buͤrgersleute, Weiber und Maͤdchen haͤufig kamen, um Kaͤſe zu kaufen: nun waren etliche unter denſelben, welche Werk von der Religion machten, und mit der Frau Profeſ- ſorin auch wohl davon redeten; eine unter ihnen lud ſie ein- mal in ihren Garten ein, um ihr mit ihren Kindern eine Ver- aͤnderung zu machen; Chriſtine nahm das ohne Bedenken an, und Stilling waͤhnte nichts Arges, ſie ging alſo an dem beſtimmten Tage hin, und nach der Kollegienſtunde wan-
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Jetzt wurde Stilling herausgerufen, der Kaufmann hatte
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zog alſo ein.
Damit ich aber mit allen kleinen Vorfaͤllen und Nuͤancen
nicht Zeit und Raum verſchleudern moͤge, ſo bemerke ich nur
ins Allgemeine, daß ſich Spaͤſſel und Tom an einander
anſchloſſen, und den Plan machten, Stillingen zu ſtuͤrzen,
aus dem Sattel zu heben, und ſich dann in ſein Amt zu theilen.
Ihre Anſtalten waren aͤußerſt fein, weitlaͤufig angelegt und reif-
lich uͤberdacht, wie ſolches der Verfolg zeigen wird.
Der allgemeine Wahn, Stilling habe noch einigen Hang
zur Schwaͤrmerei und zum Pietismus, ſchien beiden Kabali-
ſten die ſchwache Seite zu ſeyn, wohin ſie ihre Kanonen rich-
ten und Sturmluͤcken ſchießen muͤßten. Sie gingen daher in
der Abenddaͤmmerung Stunden lang vor Stillings Hauſe
in der Gaſſe auf und ab, um zu ſpioniren; nun hatte er den
Gebrauch, daß er oͤfters Abends nach Tiſche auf ſeinem Klavier
Choral ſpielte und dazu ſang, wo dann ſeine Chriſtine mit
einſtimmte; dieß wurde ausgebreitet: es hieß, er hielte Haus-
uͤbungen, Betſtunden u. dgl. und ſo wurde das Publikum all-
maͤhlig vorbereitet. Eben dieſe Nachrichten ſchrieb dann auch
Spaͤſſel an den Hof nach Muͤnchen, um Alles wohl zu
praͤpariren.
Nun kam noch ein Zufall dazu, der der Sache vollends den
Ausſchlag gab: Stilling hatte zu Siegelbach noch einen
Vorrath von Schweizerkaͤſen gefunden, den er zu ſich ins Haus
nahm, um ihn zu verkaufen; dieſes veranlaßte, daß verſchie-
dene Buͤrgersleute, Weiber und Maͤdchen haͤufig kamen, um
Kaͤſe zu kaufen: nun waren etliche unter denſelben, welche
Werk von der Religion machten, und mit der Frau Profeſ-
ſorin auch wohl davon redeten; eine unter ihnen lud ſie ein-
mal in ihren Garten ein, um ihr mit ihren Kindern eine Ver-
aͤnderung zu machen; Chriſtine nahm das ohne Bedenken
an, und Stilling waͤhnte nichts Arges, ſie ging alſo an
dem beſtimmten Tage hin, und nach der Kollegienſtunde wan-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/387>, abgerufen am 24.11.2024.
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