O wie bald kannst du es machen, Daß mit Lachen Unser Mund erfüllet sey! Du kannst durch die Todesthüren Träumend führen, Und machst uns auf Einmal frei.
Du hast Sünd und Straf getragen, Furcht und Zagen Muß nun ferne von mir gehn. Tod, dein Stachel ist zerbrochen, Meine Knochen Werden fröhlich auferstehn.
Lebensfürst! dich will ich loben, Hier und droben, In der reinsten Liebsbegier! Du hast dich zum ew'gen Leben Mir gegeben, Hole mich, mein Gott, zu Dir!
Stillings ganze Seele zerschmolz in Thränen: er setzte sich nun vor das Bett und wartete den Abschied seiner See- lenfreundin ab; oft drückte sie ihm noch die Hand mit dem gewöhnlichen Lieblingsruf: "Mein Engel und mein Alles" -- sonst sprach sie nichts mehr; ihre Kinder verlangte sie gar nicht zu sehen, sie empfahl sie nur Gott. Oft wieder- holte sie aber die Worte: "Du kannst durch die Todesthü- ren träumend führen," und freute sich dann dieses Trostes.
Gegen 10 Uhr sagte sie: "Lieber Mann! ich werde so schläf- rig und mir ist so wohl, sollte ich etwa nicht wieder erwachen, und träumend hinüberschlummern, so lebe wohl!" -- Dann sahe sie ihn noch einmal mit ihren großen schwarzen Augen seelenvoll an, lächelte, drückte ihm die Hand und schlief ein. Nach etwa einer Stunde fing sie an zu zucken, seufzte tief und schauderte; jetzt stand der Odem still, und die Züge des Todes standen alle auf ihrem Gesicht, ihr Mund verzog sich noch zum Lächeln -- Christine war nicht mehr.
Diesen Auftritt muß ein zärtlicher Ehegatte erfahren, sonst kann er sich keinen Begriff davon machen. In dem Augen-
Stilliugs sämmtl. Schriften. I. Band. 26
O wie bald kannſt du es machen, Daß mit Lachen Unſer Mund erfuͤllet ſey! Du kannſt durch die Todesthuͤren Traͤumend fuͤhren, Und machſt uns auf Einmal frei.
Du haſt Suͤnd und Straf getragen, Furcht und Zagen Muß nun ferne von mir gehn. Tod, dein Stachel iſt zerbrochen, Meine Knochen Werden froͤhlich auferſtehn.
Lebensfuͤrſt! dich will ich loben, Hier und droben, In der reinſten Liebsbegier! Du haſt dich zum ew’gen Leben Mir gegeben, Hole mich, mein Gott, zu Dir!
Stillings ganze Seele zerſchmolz in Thraͤnen: er ſetzte ſich nun vor das Bett und wartete den Abſchied ſeiner See- lenfreundin ab; oft druͤckte ſie ihm noch die Hand mit dem gewoͤhnlichen Lieblingsruf: „Mein Engel und mein Alles“ — ſonſt ſprach ſie nichts mehr; ihre Kinder verlangte ſie gar nicht zu ſehen, ſie empfahl ſie nur Gott. Oft wieder- holte ſie aber die Worte: „Du kannſt durch die Todesthuͤ- ren traͤumend fuͤhren,“ und freute ſich dann dieſes Troſtes.
Gegen 10 Uhr ſagte ſie: „Lieber Mann! ich werde ſo ſchlaͤf- rig und mir iſt ſo wohl, ſollte ich etwa nicht wieder erwachen, und traͤumend hinuͤberſchlummern, ſo lebe wohl!“ — Dann ſahe ſie ihn noch einmal mit ihren großen ſchwarzen Augen ſeelenvoll an, laͤchelte, druͤckte ihm die Hand und ſchlief ein. Nach etwa einer Stunde fing ſie an zu zucken, ſeufzte tief und ſchauderte; jetzt ſtand der Odem ſtill, und die Zuͤge des Todes ſtanden alle auf ihrem Geſicht, ihr Mund verzog ſich noch zum Laͤcheln — Chriſtine war nicht mehr.
Dieſen Auftritt muß ein zaͤrtlicher Ehegatte erfahren, ſonſt kann er ſich keinen Begriff davon machen. In dem Augen-
Stilliugs ſämmtl. Schriften. I. Band. 26
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O wie bald kannſt du es machen,
Daß mit Lachen
Unſer Mund erfuͤllet ſey!
Du kannſt durch die Todesthuͤren
Traͤumend fuͤhren,
Und machſt uns auf Einmal frei.
Du haſt Suͤnd und Straf getragen,
Furcht und Zagen
Muß nun ferne von mir gehn.
Tod, dein Stachel iſt zerbrochen,
Meine Knochen
Werden froͤhlich auferſtehn.
Lebensfuͤrſt! dich will ich loben,
Hier und droben,
In der reinſten Liebsbegier!
Du haſt dich zum ew’gen Leben
Mir gegeben,
Hole mich, mein Gott, zu Dir!
Stillings ganze Seele zerſchmolz in Thraͤnen: er ſetzte
ſich nun vor das Bett und wartete den Abſchied ſeiner See-
lenfreundin ab; oft druͤckte ſie ihm noch die Hand mit dem
gewoͤhnlichen Lieblingsruf: „Mein Engel und mein Alles“
— ſonſt ſprach ſie nichts mehr; ihre Kinder verlangte ſie
gar nicht zu ſehen, ſie empfahl ſie nur Gott. Oft wieder-
holte ſie aber die Worte: „Du kannſt durch die Todesthuͤ-
ren traͤumend fuͤhren,“ und freute ſich dann dieſes Troſtes.
Gegen 10 Uhr ſagte ſie: „Lieber Mann! ich werde ſo ſchlaͤf-
rig und mir iſt ſo wohl, ſollte ich etwa nicht wieder erwachen,
und traͤumend hinuͤberſchlummern, ſo lebe wohl!“ — Dann
ſahe ſie ihn noch einmal mit ihren großen ſchwarzen Augen
ſeelenvoll an, laͤchelte, druͤckte ihm die Hand und ſchlief ein.
Nach etwa einer Stunde fing ſie an zu zucken, ſeufzte tief
und ſchauderte; jetzt ſtand der Odem ſtill, und die Zuͤge des
Todes ſtanden alle auf ihrem Geſicht, ihr Mund verzog ſich
noch zum Laͤcheln — Chriſtine war nicht mehr.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/397>, abgerufen am 23.11.2024.
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