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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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blick trat Siegfried herein, schaute hin, fiel seinem Freund
um den Hals, und beide vergossen milde Thränen.

"Du holder Engel!" rief Siegfried über sie hin, und
schluchzte -- "hast du nun ausgelitten?" -- Stilling
aber küßte noch einmal ihre erblaßten Lippen und sagte:

"Du Dulderin ohne Gleichen, Dank dir für deine treue
Liebe, gehe ein zu deines Herrn Freude!"

Als Siegfried fort war, brachte man die beiden Kin-
der, er führte sie zur Leiche, sie sahen hin und schrieen laut;
nun setzte er sich, nahm auf jedes Knie eins, drückte sie an
seine Brust, und alle Drei weinten bittere Thränen. Endlich
ermannte er sich und machte nun die Anstalten, die die Um-
stände erforderten.

Den 21. Oktober des Morgens in der Dämmerung trugen
Stillings Rittersburger Freunde seine Gattin hinaus auf
den Gottesacker und beerdigten sie in der Stille; diese letzte
Trennung erleichterten ihm die beiden protestantischen Predi-
ger, seine Freunde, welche bei ihm saßen und ihn mit trö-
stenden Gesprächen unterhielten.

Mit Christinens Tod endigte sich nun eine große und
wichtige Periode in Stillings Geschichte, und es begann
allmählig eine eben so wichtige, welche die Zwecke seiner bis-
herigen schweren Führung herrlich und ruhig enthüllte.



Nach Christinens Tod suchte nun Stilling seine ein-
same Lebensart zweckmäßig einzurichten; er reiste nach Zwei-
brücken, wo er sehr gute und treue Freunde hatte; dort über-
legte er mit ihnen, wo er seine Kinder am besten in eine
Pension unterbringen könnte, damit sie ordentlich erzogen wer-
den möchten. Nun fand sich in Zweibrücken eine dem Anse-
hen nach sehr gute Gelegenheit; er machte also die Sache
richtig, reiste dann zurück und holte sie ab. Die Tochter
war jetzt im neunten, der Sohn aber sieben Jahr alt.

Als er aber seine Kinder weggebracht hatte, und nun wie-
der in seine einsame und öde Wohnung kam, so fiel alles
Leiden mit unaussprechlich wehmüthiger Empfindung auf ihn

blick trat Siegfried herein, ſchaute hin, fiel ſeinem Freund
um den Hals, und beide vergoſſen milde Thraͤnen.

„Du holder Engel!“ rief Siegfried uͤber ſie hin, und
ſchluchzte — „haſt du nun ausgelitten?“ — Stilling
aber kuͤßte noch einmal ihre erblaßten Lippen und ſagte:

„Du Dulderin ohne Gleichen, Dank dir fuͤr deine treue
Liebe, gehe ein zu deines Herrn Freude!“

Als Siegfried fort war, brachte man die beiden Kin-
der, er fuͤhrte ſie zur Leiche, ſie ſahen hin und ſchrieen laut;
nun ſetzte er ſich, nahm auf jedes Knie eins, druͤckte ſie an
ſeine Bruſt, und alle Drei weinten bittere Thraͤnen. Endlich
ermannte er ſich und machte nun die Anſtalten, die die Um-
ſtaͤnde erforderten.

Den 21. Oktober des Morgens in der Daͤmmerung trugen
Stillings Rittersburger Freunde ſeine Gattin hinaus auf
den Gottesacker und beerdigten ſie in der Stille; dieſe letzte
Trennung erleichterten ihm die beiden proteſtantiſchen Predi-
ger, ſeine Freunde, welche bei ihm ſaßen und ihn mit troͤ-
ſtenden Geſpraͤchen unterhielten.

Mit Chriſtinens Tod endigte ſich nun eine große und
wichtige Periode in Stillings Geſchichte, und es begann
allmaͤhlig eine eben ſo wichtige, welche die Zwecke ſeiner bis-
herigen ſchweren Fuͤhrung herrlich und ruhig enthuͤllte.



Nach Chriſtinens Tod ſuchte nun Stilling ſeine ein-
ſame Lebensart zweckmaͤßig einzurichten; er reiste nach Zwei-
bruͤcken, wo er ſehr gute und treue Freunde hatte; dort uͤber-
legte er mit ihnen, wo er ſeine Kinder am beſten in eine
Penſion unterbringen koͤnnte, damit ſie ordentlich erzogen wer-
den moͤchten. Nun fand ſich in Zweibruͤcken eine dem Anſe-
hen nach ſehr gute Gelegenheit; er machte alſo die Sache
richtig, reiste dann zuruͤck und holte ſie ab. Die Tochter
war jetzt im neunten, der Sohn aber ſieben Jahr alt.

Als er aber ſeine Kinder weggebracht hatte, und nun wie-
der in ſeine einſame und oͤde Wohnung kam, ſo fiel alles
Leiden mit unausſprechlich wehmuͤthiger Empfindung auf ihn

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[390/0398] blick trat Siegfried herein, ſchaute hin, fiel ſeinem Freund um den Hals, und beide vergoſſen milde Thraͤnen. „Du holder Engel!“ rief Siegfried uͤber ſie hin, und ſchluchzte — „haſt du nun ausgelitten?“ — Stilling aber kuͤßte noch einmal ihre erblaßten Lippen und ſagte: „Du Dulderin ohne Gleichen, Dank dir fuͤr deine treue Liebe, gehe ein zu deines Herrn Freude!“ Als Siegfried fort war, brachte man die beiden Kin- der, er fuͤhrte ſie zur Leiche, ſie ſahen hin und ſchrieen laut; nun ſetzte er ſich, nahm auf jedes Knie eins, druͤckte ſie an ſeine Bruſt, und alle Drei weinten bittere Thraͤnen. Endlich ermannte er ſich und machte nun die Anſtalten, die die Um- ſtaͤnde erforderten. Den 21. Oktober des Morgens in der Daͤmmerung trugen Stillings Rittersburger Freunde ſeine Gattin hinaus auf den Gottesacker und beerdigten ſie in der Stille; dieſe letzte Trennung erleichterten ihm die beiden proteſtantiſchen Predi- ger, ſeine Freunde, welche bei ihm ſaßen und ihn mit troͤ- ſtenden Geſpraͤchen unterhielten. Mit Chriſtinens Tod endigte ſich nun eine große und wichtige Periode in Stillings Geſchichte, und es begann allmaͤhlig eine eben ſo wichtige, welche die Zwecke ſeiner bis- herigen ſchweren Fuͤhrung herrlich und ruhig enthuͤllte. Nach Chriſtinens Tod ſuchte nun Stilling ſeine ein- ſame Lebensart zweckmaͤßig einzurichten; er reiste nach Zwei- bruͤcken, wo er ſehr gute und treue Freunde hatte; dort uͤber- legte er mit ihnen, wo er ſeine Kinder am beſten in eine Penſion unterbringen koͤnnte, damit ſie ordentlich erzogen wer- den moͤchten. Nun fand ſich in Zweibruͤcken eine dem Anſe- hen nach ſehr gute Gelegenheit; er machte alſo die Sache richtig, reiste dann zuruͤck und holte ſie ab. Die Tochter war jetzt im neunten, der Sohn aber ſieben Jahr alt. Als er aber ſeine Kinder weggebracht hatte, und nun wie- der in ſeine einſame und oͤde Wohnung kam, ſo fiel alles Leiden mit unausſprechlich wehmuͤthiger Empfindung auf ihn

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/398>, abgerufen am 22.11.2024.