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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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"Sache, daß Stilling da und dort vergebliche Heirathsan-
"träge gemacht habe. Das ärgert mich, und ich wollte, es
"wäre nicht geschehen."

"Müssen Sie durchaus eine vermögende Frau haben, oder
"wäre Ihnen eine meiner Freundinnin recht, die ich Ihnen
"nach der Wahrheit schildern will? -- Sie ist sehr tugend-
"haft, hübsch und von einer edlen, alten gelehrten Familie
"und vortrefflichen Eltern, der Vater ist todt, aber ihre ver-
"ehrungswürdige kränkliche Mutter lebt noch, sie ist ungefähr
"23 Jahr alt, und hat viele Leiden erduldet; sie ist sehr wohl
"erzogen, zu allen weiblichen Arbeiten ausnehmend geschickt,
"eine sehr sparsame Haushälterin, gottesfürchtig und ein Engel
"für Ihre beiden Kinder; sie hat nicht viel Vermögen, wird
"aber ordentlich ausgestattet, u. s. w. Ersetzen Ihnen alle
"diese Eigenschaften, für deren Wahrheit ich stehe, etliche tau-
"send Gulden, so geben Sie mir darüber Nachricht, ich will
"sie Ihnen alsdann nennen und sagen, was Sie zu thun
"haben, u. s. w."

Wie es Stilling nach dem Lesen dieses Briefes zu Muthe
war, das läßt sich nicht beschreiben; vor ein paar Tagen
hatte er seine Heirathsangelegenheiten so feierlich an die Vor-
sehung übergeben, und nun zeigte sich ihm eine Person, die
gerade alle Eigenschaften hatte, wie er sie wünschte. Freilich
fiel ihm der Gedanke ein, aber sie hat wieder kein Vermögen,
wird also meine Qual nicht fortdauern? -- Indessen durfte
er jetzt nach seinen Grundsätzen nicht räsonniren, sie war der
Gegenstand, auf welche der Finger seines Führers hinwies;
er folgte also, und zwar sehr gerne. Nun zeigte er auch Herrn
Siegfried, seiner Gattin und dem lutherischen Prediger
nebst seiner Ehefreundin diesen Brief, denn diese vier Perso-
nen waren seine innigsten Freunde. Alle erkannten den Wink
der Vorsehung sehr lebhaft, und ermahnten ihn, zu folgen.
Er entschloß sich also im Namen Gottes, setzte sich hin und
schrieb einen sehr verbindlichen Brief an die Frau von la
Roche, in welchem er sie bat, ihn mit der theuren Person
bekannt zu machen, denn er wollte dem Wink der Vorsehung
und ihrem Rath gehorchen. Acht Tage darauf erhielt er Ant-

„Sache, daß Stilling da und dort vergebliche Heirathsan-
„traͤge gemacht habe. Das aͤrgert mich, und ich wollte, es
„waͤre nicht geſchehen.“

„Muͤſſen Sie durchaus eine vermoͤgende Frau haben, oder
„waͤre Ihnen eine meiner Freundinnin recht, die ich Ihnen
„nach der Wahrheit ſchildern will? — Sie iſt ſehr tugend-
„haft, huͤbſch und von einer edlen, alten gelehrten Familie
„und vortrefflichen Eltern, der Vater iſt todt, aber ihre ver-
„ehrungswuͤrdige kraͤnkliche Mutter lebt noch, ſie iſt ungefaͤhr
„23 Jahr alt, und hat viele Leiden erduldet; ſie iſt ſehr wohl
„erzogen, zu allen weiblichen Arbeiten ausnehmend geſchickt,
„eine ſehr ſparſame Haushaͤlterin, gottesfuͤrchtig und ein Engel
„fuͤr Ihre beiden Kinder; ſie hat nicht viel Vermoͤgen, wird
„aber ordentlich ausgeſtattet, u. ſ. w. Erſetzen Ihnen alle
„dieſe Eigenſchaften, fuͤr deren Wahrheit ich ſtehe, etliche tau-
„ſend Gulden, ſo geben Sie mir daruͤber Nachricht, ich will
„ſie Ihnen alsdann nennen und ſagen, was Sie zu thun
„haben, u. ſ. w.“

Wie es Stilling nach dem Leſen dieſes Briefes zu Muthe
war, das laͤßt ſich nicht beſchreiben; vor ein paar Tagen
hatte er ſeine Heirathsangelegenheiten ſo feierlich an die Vor-
ſehung uͤbergeben, und nun zeigte ſich ihm eine Perſon, die
gerade alle Eigenſchaften hatte, wie er ſie wuͤnſchte. Freilich
fiel ihm der Gedanke ein, aber ſie hat wieder kein Vermoͤgen,
wird alſo meine Qual nicht fortdauern? — Indeſſen durfte
er jetzt nach ſeinen Grundſaͤtzen nicht raͤſonniren, ſie war der
Gegenſtand, auf welche der Finger ſeines Fuͤhrers hinwies;
er folgte alſo, und zwar ſehr gerne. Nun zeigte er auch Herrn
Siegfried, ſeiner Gattin und dem lutheriſchen Prediger
nebſt ſeiner Ehefreundin dieſen Brief, denn dieſe vier Perſo-
nen waren ſeine innigſten Freunde. Alle erkannten den Wink
der Vorſehung ſehr lebhaft, und ermahnten ihn, zu folgen.
Er entſchloß ſich alſo im Namen Gottes, ſetzte ſich hin und
ſchrieb einen ſehr verbindlichen Brief an die Frau von la
Roche, in welchem er ſie bat, ihn mit der theuren Perſon
bekannt zu machen, denn er wollte dem Wink der Vorſehung
und ihrem Rath gehorchen. Acht Tage darauf erhielt er Ant-

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[396/0404] „Sache, daß Stilling da und dort vergebliche Heirathsan- „traͤge gemacht habe. Das aͤrgert mich, und ich wollte, es „waͤre nicht geſchehen.“ „Muͤſſen Sie durchaus eine vermoͤgende Frau haben, oder „waͤre Ihnen eine meiner Freundinnin recht, die ich Ihnen „nach der Wahrheit ſchildern will? — Sie iſt ſehr tugend- „haft, huͤbſch und von einer edlen, alten gelehrten Familie „und vortrefflichen Eltern, der Vater iſt todt, aber ihre ver- „ehrungswuͤrdige kraͤnkliche Mutter lebt noch, ſie iſt ungefaͤhr „23 Jahr alt, und hat viele Leiden erduldet; ſie iſt ſehr wohl „erzogen, zu allen weiblichen Arbeiten ausnehmend geſchickt, „eine ſehr ſparſame Haushaͤlterin, gottesfuͤrchtig und ein Engel „fuͤr Ihre beiden Kinder; ſie hat nicht viel Vermoͤgen, wird „aber ordentlich ausgeſtattet, u. ſ. w. Erſetzen Ihnen alle „dieſe Eigenſchaften, fuͤr deren Wahrheit ich ſtehe, etliche tau- „ſend Gulden, ſo geben Sie mir daruͤber Nachricht, ich will „ſie Ihnen alsdann nennen und ſagen, was Sie zu thun „haben, u. ſ. w.“ Wie es Stilling nach dem Leſen dieſes Briefes zu Muthe war, das laͤßt ſich nicht beſchreiben; vor ein paar Tagen hatte er ſeine Heirathsangelegenheiten ſo feierlich an die Vor- ſehung uͤbergeben, und nun zeigte ſich ihm eine Perſon, die gerade alle Eigenſchaften hatte, wie er ſie wuͤnſchte. Freilich fiel ihm der Gedanke ein, aber ſie hat wieder kein Vermoͤgen, wird alſo meine Qual nicht fortdauern? — Indeſſen durfte er jetzt nach ſeinen Grundſaͤtzen nicht raͤſonniren, ſie war der Gegenſtand, auf welche der Finger ſeines Fuͤhrers hinwies; er folgte alſo, und zwar ſehr gerne. Nun zeigte er auch Herrn Siegfried, ſeiner Gattin und dem lutheriſchen Prediger nebſt ſeiner Ehefreundin dieſen Brief, denn dieſe vier Perſo- nen waren ſeine innigſten Freunde. Alle erkannten den Wink der Vorſehung ſehr lebhaft, und ermahnten ihn, zu folgen. Er entſchloß ſich alſo im Namen Gottes, ſetzte ſich hin und ſchrieb einen ſehr verbindlichen Brief an die Frau von la Roche, in welchem er ſie bat, ihn mit der theuren Perſon bekannt zu machen, denn er wollte dem Wink der Vorſehung und ihrem Rath gehorchen. Acht Tage darauf erhielt er Ant-

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/404>, abgerufen am 22.11.2024.