Nun liefen alle drei auf die Kutsche zu, Stilling lief voran, und kam auf dem Wege seiner Selma entgegen, die zu Fuß vorausging. Mit Erstaunen fand er sie ganz ruhig, ganz ohne Alteration und ohne Zeichen ausgestandener Angst: dieß war ihm unbegreiflich; er fragte sie wegen dieser son- derbaren Erscheinung, und sie antwortete mit zärtlich lächeln- der Miene: Ich dachte, Gott mache Alles wohl; wäre es sein Wille, mich Dir wieder zu entreißen, so müsse er einen guten Zweck dabei haben, sein Wille geschehe also!
Nun vertheilten sie sich wieder in ihre Kutschen und fuhren ruhig und sicher in der Nacht nach Kreuznach.
Die Ursache alles dieses Schreckens und Kummers war blos Trunkenheit der Färcher, diese waren besoffen, so daß sie nicht allein stehen, geschweige die Nöh regieren konnten; die Schiffer, welche mit dem Boot geschickt wurden, waren die einzige Ursache der Errettung, diese hatten die Nöh nahe am Bingerloche getroffen, sie an ihr Boot befestigt, und nun mit entsetzlicher Mühe und Arbeit oberhalb den Felsen und den Mäusethurm hinüber buxirt. Zur Strafe wurden die Färcher kassirt, und bei Wasser und Brod in den Thurm gesteckt, wel- ches alles sie auch wohl verdient hatten.
Es ist Plan der Vorsehung bei allen ihren Führungen, wo- mit sie den, der sich von ihr führen läßt, zum großen glän- zenden Ziel leitet, daß sie, wenn sie ihm ein großes Glück schenkt, und er sich mit Leidenschaft daran hängt, ihm dieß Glück wieder mächtig zu entreißen droht; blos um diese sinn- liche Anhänglichkeit, die jeder sittlichen Vervollkommnung und der Wirksamkeit, zum Besten der Menschen, so äußerst zuwi- der ist, gänzlich abzutödten; es ist wahr, was die Mystiker in diesem Fall sagen: Gott will ein ungetheiltes Herz, es darf die Geschenke lieben und schätzen, aber ja nicht mehr und höher als den, der sie gibt. Stilling hat dieses in jedem Fall erfahren, wie das jeder aufmerksame und in den göttlichen Wegen erfahrene Leser leicht bemerken wird.
Ein paar Tage hernach reiste Stilling mit seiner Selma,
Nun liefen alle drei auf die Kutſche zu, Stilling lief voran, und kam auf dem Wege ſeiner Selma entgegen, die zu Fuß vorausging. Mit Erſtaunen fand er ſie ganz ruhig, ganz ohne Alteration und ohne Zeichen ausgeſtandener Angſt: dieß war ihm unbegreiflich; er fragte ſie wegen dieſer ſon- derbaren Erſcheinung, und ſie antwortete mit zaͤrtlich laͤcheln- der Miene: Ich dachte, Gott mache Alles wohl; waͤre es ſein Wille, mich Dir wieder zu entreißen, ſo muͤſſe er einen guten Zweck dabei haben, ſein Wille geſchehe alſo!
Nun vertheilten ſie ſich wieder in ihre Kutſchen und fuhren ruhig und ſicher in der Nacht nach Kreuznach.
Die Urſache alles dieſes Schreckens und Kummers war blos Trunkenheit der Faͤrcher, dieſe waren beſoffen, ſo daß ſie nicht allein ſtehen, geſchweige die Noͤh regieren konnten; die Schiffer, welche mit dem Boot geſchickt wurden, waren die einzige Urſache der Errettung, dieſe hatten die Noͤh nahe am Bingerloche getroffen, ſie an ihr Boot befeſtigt, und nun mit entſetzlicher Muͤhe und Arbeit oberhalb den Felſen und den Maͤuſethurm hinuͤber buxirt. Zur Strafe wurden die Faͤrcher kaſſirt, und bei Waſſer und Brod in den Thurm geſteckt, wel- ches alles ſie auch wohl verdient hatten.
Es iſt Plan der Vorſehung bei allen ihren Fuͤhrungen, wo- mit ſie den, der ſich von ihr fuͤhren laͤßt, zum großen glaͤn- zenden Ziel leitet, daß ſie, wenn ſie ihm ein großes Gluͤck ſchenkt, und er ſich mit Leidenſchaft daran haͤngt, ihm dieß Gluͤck wieder maͤchtig zu entreißen droht; blos um dieſe ſinn- liche Anhaͤnglichkeit, die jeder ſittlichen Vervollkommnung und der Wirkſamkeit, zum Beſten der Menſchen, ſo aͤußerſt zuwi- der iſt, gaͤnzlich abzutoͤdten; es iſt wahr, was die Myſtiker in dieſem Fall ſagen: Gott will ein ungetheiltes Herz, es darf die Geſchenke lieben und ſchaͤtzen, aber ja nicht mehr und hoͤher als den, der ſie gibt. Stilling hat dieſes in jedem Fall erfahren, wie das jeder aufmerkſame und in den goͤttlichen Wegen erfahrene Leſer leicht bemerken wird.
Ein paar Tage hernach reiste Stilling mit ſeiner Selma,
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Nun liefen alle drei auf die Kutſche zu, Stilling lief
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zu Fuß vorausging. Mit Erſtaunen fand er ſie ganz ruhig,
ganz ohne Alteration und ohne Zeichen ausgeſtandener Angſt:
dieß war ihm unbegreiflich; er fragte ſie wegen dieſer ſon-
derbaren Erſcheinung, und ſie antwortete mit zaͤrtlich laͤcheln-
der Miene: Ich dachte, Gott mache Alles wohl; waͤre
es ſein Wille, mich Dir wieder zu entreißen, ſo
muͤſſe er einen guten Zweck dabei haben, ſein
Wille geſchehe alſo!
Nun vertheilten ſie ſich wieder in ihre Kutſchen und fuhren
ruhig und ſicher in der Nacht nach Kreuznach.
Die Urſache alles dieſes Schreckens und Kummers war blos
Trunkenheit der Faͤrcher, dieſe waren beſoffen, ſo daß ſie
nicht allein ſtehen, geſchweige die Noͤh regieren konnten; die
Schiffer, welche mit dem Boot geſchickt wurden, waren die
einzige Urſache der Errettung, dieſe hatten die Noͤh nahe am
Bingerloche getroffen, ſie an ihr Boot befeſtigt, und nun mit
entſetzlicher Muͤhe und Arbeit oberhalb den Felſen und den
Maͤuſethurm hinuͤber buxirt. Zur Strafe wurden die Faͤrcher
kaſſirt, und bei Waſſer und Brod in den Thurm geſteckt, wel-
ches alles ſie auch wohl verdient hatten.
Es iſt Plan der Vorſehung bei allen ihren Fuͤhrungen, wo-
mit ſie den, der ſich von ihr fuͤhren laͤßt, zum großen glaͤn-
zenden Ziel leitet, daß ſie, wenn ſie ihm ein großes Gluͤck
ſchenkt, und er ſich mit Leidenſchaft daran haͤngt, ihm dieß
Gluͤck wieder maͤchtig zu entreißen droht; blos um dieſe ſinn-
liche Anhaͤnglichkeit, die jeder ſittlichen Vervollkommnung und
der Wirkſamkeit, zum Beſten der Menſchen, ſo aͤußerſt zuwi-
der iſt, gaͤnzlich abzutoͤdten; es iſt wahr, was die Myſtiker
in dieſem Fall ſagen: Gott will ein ungetheiltes
Herz, es darf die Geſchenke lieben und ſchaͤtzen,
aber ja nicht mehr und hoͤher als den, der ſie gibt.
Stilling hat dieſes in jedem Fall erfahren, wie das jeder
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bemerken wird.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/427>, abgerufen am 22.11.2024.
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