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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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stand, und wie oft er mit ihm zu Abend speisen mußte. Die
Sache lief am Ende dahin aus, daß der Jäger bei der Wie-
derkunft des Junkers abgesetzt, Moritzen aber zwanzig Tha-
ler für seine Schmerzen ausgezahlt wurden. Was ihnen noch
schneller durchhalf, war, daß der ganze Platz vor dem Hause
voller Bauern stand, welche Tabak rauchten, und sich mit
dem Zusehen belustigten; und es nur darauf ankam, daß ei-
ner unter ihnen die Frage aufwarf, ob nicht durch diesen Vor-
fall Eingriff in ihre Freiheit geschehen sey? Plötzlich würden
hundert Fäuste bereit gewesen seyn, ihre christliche Liebe ge-
gen Moritzen auf den Nacken Jostens und seiner Gefährten
zu beweisen. Auch war der Wirth eine feige Memme, der
oft Ohrfeigen von seiner Frau verschlucken mußte; und end-
lich muß ich noch hinzufügen, der alte Stilling und seine
Söhne hatten sich durch ihre ernste und abgesonderte Auffüh-
rung eine solche Hochachtung erworben, daß fast Niemand
das Herz hatte, in ihrer Gegenwart nur zu scherzen; wozu
noch kommt, was ich oben schon berührt, daß Johann Stil-
ling
bei dem Junker in großer Gnade stand. Nun wieder
zur Geschichte.

Der alte Moritz wurde in wenig Tagen wieder besser, und
man vergaß diese verdrießliche Sache um so eher, weil man
sich mit viel vergnügteren Dingen beschäftigte, nämlich mit
den Zurüstungen zur Hochzeit, welche der alte Stilling und
seine Margarethe ein für allemal in ihrem Hause haben
wollten. Sie mästeten ein paar Hühner zu Suppen, und
ein fettes Milchkalb wurde dazu bestimmt, auf großen irde-
nen Schüsseln gebraten zu werden; gebackene Pflaumen die
Menge, und Reis zu Breien, nebst Rosinen und Korinthen
in die Hühnersuppen, wurden im Ueberfluß angeschafft. Der
alte Stilling hat sich wohl verlauten lassen, daß ihn diese
Hochzeit, nur allen an Speisen und Viktualien bei zehen Reichs-
thaler gekostet habe. Dem sey aber wie ihm wolle, alles war
doch aufgeräumt. Wilhelm hatte für die Zeit die Schule
ausgesetzt; denn in solchen Zeiten ist man zu keinem Berufs-
geschäfte aufgelegt. Auch brauchte er die Tage nothwendig,

ſtand, und wie oft er mit ihm zu Abend ſpeiſen mußte. Die
Sache lief am Ende dahin aus, daß der Jaͤger bei der Wie-
derkunft des Junkers abgeſetzt, Moritzen aber zwanzig Tha-
ler fuͤr ſeine Schmerzen ausgezahlt wurden. Was ihnen noch
ſchneller durchhalf, war, daß der ganze Platz vor dem Hauſe
voller Bauern ſtand, welche Tabak rauchten, und ſich mit
dem Zuſehen beluſtigten; und es nur darauf ankam, daß ei-
ner unter ihnen die Frage aufwarf, ob nicht durch dieſen Vor-
fall Eingriff in ihre Freiheit geſchehen ſey? Ploͤtzlich wuͤrden
hundert Faͤuſte bereit geweſen ſeyn, ihre chriſtliche Liebe ge-
gen Moritzen auf den Nacken Joſtens und ſeiner Gefaͤhrten
zu beweiſen. Auch war der Wirth eine feige Memme, der
oft Ohrfeigen von ſeiner Frau verſchlucken mußte; und end-
lich muß ich noch hinzufuͤgen, der alte Stilling und ſeine
Soͤhne hatten ſich durch ihre ernſte und abgeſonderte Auffuͤh-
rung eine ſolche Hochachtung erworben, daß faſt Niemand
das Herz hatte, in ihrer Gegenwart nur zu ſcherzen; wozu
noch kommt, was ich oben ſchon beruͤhrt, daß Johann Stil-
ling
bei dem Junker in großer Gnade ſtand. Nun wieder
zur Geſchichte.

Der alte Moritz wurde in wenig Tagen wieder beſſer, und
man vergaß dieſe verdrießliche Sache um ſo eher, weil man
ſich mit viel vergnuͤgteren Dingen beſchaͤftigte, naͤmlich mit
den Zuruͤſtungen zur Hochzeit, welche der alte Stilling und
ſeine Margarethe ein fuͤr allemal in ihrem Hauſe haben
wollten. Sie maͤſteten ein paar Huͤhner zu Suppen, und
ein fettes Milchkalb wurde dazu beſtimmt, auf großen irde-
nen Schuͤſſeln gebraten zu werden; gebackene Pflaumen die
Menge, und Reis zu Breien, nebſt Roſinen und Korinthen
in die Huͤhnerſuppen, wurden im Ueberfluß angeſchafft. Der
alte Stilling hat ſich wohl verlauten laſſen, daß ihn dieſe
Hochzeit, nur allen an Speiſen und Viktualien bei zehen Reichs-
thaler gekoſtet habe. Dem ſey aber wie ihm wolle, alles war
doch aufgeraͤumt. Wilhelm hatte fuͤr die Zeit die Schule
ausgeſetzt; denn in ſolchen Zeiten iſt man zu keinem Berufs-
geſchaͤfte aufgelegt. Auch brauchte er die Tage nothwendig,

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[36/0044] ſtand, und wie oft er mit ihm zu Abend ſpeiſen mußte. Die Sache lief am Ende dahin aus, daß der Jaͤger bei der Wie- derkunft des Junkers abgeſetzt, Moritzen aber zwanzig Tha- ler fuͤr ſeine Schmerzen ausgezahlt wurden. Was ihnen noch ſchneller durchhalf, war, daß der ganze Platz vor dem Hauſe voller Bauern ſtand, welche Tabak rauchten, und ſich mit dem Zuſehen beluſtigten; und es nur darauf ankam, daß ei- ner unter ihnen die Frage aufwarf, ob nicht durch dieſen Vor- fall Eingriff in ihre Freiheit geſchehen ſey? Ploͤtzlich wuͤrden hundert Faͤuſte bereit geweſen ſeyn, ihre chriſtliche Liebe ge- gen Moritzen auf den Nacken Joſtens und ſeiner Gefaͤhrten zu beweiſen. Auch war der Wirth eine feige Memme, der oft Ohrfeigen von ſeiner Frau verſchlucken mußte; und end- lich muß ich noch hinzufuͤgen, der alte Stilling und ſeine Soͤhne hatten ſich durch ihre ernſte und abgeſonderte Auffuͤh- rung eine ſolche Hochachtung erworben, daß faſt Niemand das Herz hatte, in ihrer Gegenwart nur zu ſcherzen; wozu noch kommt, was ich oben ſchon beruͤhrt, daß Johann Stil- ling bei dem Junker in großer Gnade ſtand. Nun wieder zur Geſchichte. Der alte Moritz wurde in wenig Tagen wieder beſſer, und man vergaß dieſe verdrießliche Sache um ſo eher, weil man ſich mit viel vergnuͤgteren Dingen beſchaͤftigte, naͤmlich mit den Zuruͤſtungen zur Hochzeit, welche der alte Stilling und ſeine Margarethe ein fuͤr allemal in ihrem Hauſe haben wollten. Sie maͤſteten ein paar Huͤhner zu Suppen, und ein fettes Milchkalb wurde dazu beſtimmt, auf großen irde- nen Schuͤſſeln gebraten zu werden; gebackene Pflaumen die Menge, und Reis zu Breien, nebſt Roſinen und Korinthen in die Huͤhnerſuppen, wurden im Ueberfluß angeſchafft. Der alte Stilling hat ſich wohl verlauten laſſen, daß ihn dieſe Hochzeit, nur allen an Speiſen und Viktualien bei zehen Reichs- thaler gekoſtet habe. Dem ſey aber wie ihm wolle, alles war doch aufgeraͤumt. Wilhelm hatte fuͤr die Zeit die Schule ausgeſetzt; denn in ſolchen Zeiten iſt man zu keinem Berufs- geſchaͤfte aufgelegt. Auch brauchte er die Tage nothwendig,

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/44>, abgerufen am 01.05.2024.