hause auf einem Stuhl sitzen; seine grauen Haare waren von Blut zusammengebacken; die Knechte und der Jäger standen um ihn, fluchten, spotteten, knüpften ihm Fäuste vor die Nase, und eine geschossene Schnepfe lag vor Moritzen auf dem Tisch. Der unpartheiische Wirth trug ruhig Branntwein zu. Frie- drike bat flehentlich um Gnade, und Dortchen um ein wenig Branntwein, dem Vater den Kopf zu waschen: allein sie hatte kein Geld, zu bezahlen, und der Schade war auch zu groß für den Wirth, ihr ein halbes Glas zu schenken. Doch, wie die Weiber von Natur barmherzig sind, so brachte die Wirthin einen Scherben, der unter dem Zapfen des Brannt- weins gestanden, und daraus wusch Dortchen dem Vater den Kopf. Moritz hatte schon vielmal gesagt, daß ihm der Junker Erlaubniß gegeben, so viel zu schießen, als ihm be- liebte; allein der war nun jetzt zum Unglücke verreiset; der Pastor schwieg dabei still und entschuldigte sich nicht mehr. So standen die Sachen, als die Gebrüder Stilling ins Wirths- haus kamen. Die erste Rache, die sie nahmen, war an ei- nem Branntweinglase, womit der Wirth aus dem Keller kam, und es sehr behutsam trug, um nichts zu verschütten; wie- wohl diese Vorsicht eben so gar nöthig nicht war, denn das Glas war über ein Viertel leer. Johann Stilling wischte dem Wirth über die Hand, daß das Glas gegen die Wand fuhr und in tausend Stücken sprang. Wilhelm aber war schon in der Stube, griff seinen Schwiegervater an der Hand, und führte ihn mit solchem Ernst aus der Stube, gleich als wenn er der Junker selbst gewesen wäre, sagte aber Niemand etwas, sondern schwieg ganz still. Der Jäger und die Knechte drohten, hielten bald hie, bald da; allein Wilhelm, der desto stärker in den Armen war, je schwächer seine Füße wa- ren, sah und hörte nicht, schwieg immer still und arbeitete nur Moritzen los. Wo er an seinem Rock eine zugeklemmte Hand fand, die brach er auf, und so brachte er ihn vor die Thür. Johann Stilling aber redete mit den Jägern und den Knechten, und seine Worte waren lauter Messer für sie; denn ein Jeder wußte, wie hoch er bei dem Junker angeschrieben
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hauſe auf einem Stuhl ſitzen; ſeine grauen Haare waren von Blut zuſammengebacken; die Knechte und der Jaͤger ſtanden um ihn, fluchten, ſpotteten, knuͤpften ihm Faͤuſte vor die Naſe, und eine geſchoſſene Schnepfe lag vor Moritzen auf dem Tiſch. Der unpartheiiſche Wirth trug ruhig Branntwein zu. Frie- drike bat flehentlich um Gnade, und Dortchen um ein wenig Branntwein, dem Vater den Kopf zu waſchen: allein ſie hatte kein Geld, zu bezahlen, und der Schade war auch zu groß fuͤr den Wirth, ihr ein halbes Glas zu ſchenken. Doch, wie die Weiber von Natur barmherzig ſind, ſo brachte die Wirthin einen Scherben, der unter dem Zapfen des Brannt- weins geſtanden, und daraus wuſch Dortchen dem Vater den Kopf. Moritz hatte ſchon vielmal geſagt, daß ihm der Junker Erlaubniß gegeben, ſo viel zu ſchießen, als ihm be- liebte; allein der war nun jetzt zum Ungluͤcke verreiſet; der Paſtor ſchwieg dabei ſtill und entſchuldigte ſich nicht mehr. So ſtanden die Sachen, als die Gebruͤder Stilling ins Wirths- haus kamen. Die erſte Rache, die ſie nahmen, war an ei- nem Branntweinglaſe, womit der Wirth aus dem Keller kam, und es ſehr behutſam trug, um nichts zu verſchuͤtten; wie- wohl dieſe Vorſicht eben ſo gar noͤthig nicht war, denn das Glas war uͤber ein Viertel leer. Johann Stilling wiſchte dem Wirth uͤber die Hand, daß das Glas gegen die Wand fuhr und in tauſend Stuͤcken ſprang. Wilhelm aber war ſchon in der Stube, griff ſeinen Schwiegervater an der Hand, und fuͤhrte ihn mit ſolchem Ernſt aus der Stube, gleich als wenn er der Junker ſelbſt geweſen waͤre, ſagte aber Niemand etwas, ſondern ſchwieg ganz ſtill. Der Jaͤger und die Knechte drohten, hielten bald hie, bald da; allein Wilhelm, der deſto ſtaͤrker in den Armen war, je ſchwaͤcher ſeine Fuͤße wa- ren, ſah und hoͤrte nicht, ſchwieg immer ſtill und arbeitete nur Moritzen los. Wo er an ſeinem Rock eine zugeklemmte Hand fand, die brach er auf, und ſo brachte er ihn vor die Thuͤr. Johann Stilling aber redete mit den Jaͤgern und den Knechten, und ſeine Worte waren lauter Meſſer fuͤr ſie; denn ein Jeder wußte, wie hoch er bei dem Junker angeſchrieben
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hauſe auf einem Stuhl ſitzen; ſeine grauen Haare waren von
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um ihn, fluchten, ſpotteten, knuͤpften ihm Faͤuſte vor die Naſe,
und eine geſchoſſene Schnepfe lag vor Moritzen auf dem Tiſch.
Der unpartheiiſche Wirth trug ruhig Branntwein zu. Frie-
drike bat flehentlich um Gnade, und Dortchen um ein
wenig Branntwein, dem Vater den Kopf zu waſchen: allein
ſie hatte kein Geld, zu bezahlen, und der Schade war auch
zu groß fuͤr den Wirth, ihr ein halbes Glas zu ſchenken. Doch,
wie die Weiber von Natur barmherzig ſind, ſo brachte die
Wirthin einen Scherben, der unter dem Zapfen des Brannt-
weins geſtanden, und daraus wuſch Dortchen dem Vater
den Kopf. Moritz hatte ſchon vielmal geſagt, daß ihm der
Junker Erlaubniß gegeben, ſo viel zu ſchießen, als ihm be-
liebte; allein der war nun jetzt zum Ungluͤcke verreiſet; der
Paſtor ſchwieg dabei ſtill und entſchuldigte ſich nicht mehr.
So ſtanden die Sachen, als die Gebruͤder Stilling ins Wirths-
haus kamen. Die erſte Rache, die ſie nahmen, war an ei-
nem Branntweinglaſe, womit der Wirth aus dem Keller kam,
und es ſehr behutſam trug, um nichts zu verſchuͤtten; wie-
wohl dieſe Vorſicht eben ſo gar noͤthig nicht war, denn das
Glas war uͤber ein Viertel leer. Johann Stilling wiſchte
dem Wirth uͤber die Hand, daß das Glas gegen die Wand
fuhr und in tauſend Stuͤcken ſprang. Wilhelm aber war
ſchon in der Stube, griff ſeinen Schwiegervater an der Hand,
und fuͤhrte ihn mit ſolchem Ernſt aus der Stube, gleich als
wenn er der Junker ſelbſt geweſen waͤre, ſagte aber Niemand
etwas, ſondern ſchwieg ganz ſtill. Der Jaͤger und die Knechte
drohten, hielten bald hie, bald da; allein Wilhelm, der
deſto ſtaͤrker in den Armen war, je ſchwaͤcher ſeine Fuͤße wa-
ren, ſah und hoͤrte nicht, ſchwieg immer ſtill und arbeitete
nur Moritzen los. Wo er an ſeinem Rock eine zugeklemmte
Hand fand, die brach er auf, und ſo brachte er ihn vor die
Thuͤr. Johann Stilling aber redete mit den Jaͤgern und den
Knechten, und ſeine Worte waren lauter Meſſer fuͤr ſie; denn
ein Jeder wußte, wie hoch er bei dem Junker angeſchrieben
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/43>, abgerufen am 21.11.2024.
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