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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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am ersten Ostertag Morgen vor der Kirche, und der gräfliche
Leibchirurgus besorgte den Verband.

Unter diesen Blinden war eine junge Frau von 28 Jahren,
welche auf dem Heimwege von Andreasberg nach Ilsen-
burg
an der Seite des Brocken eingeschneit worden; der
Schnee war so stark und so häufig gefallen, daß er ihr end-
lich über dem Kopf zusammen gegangen war, und sie nun
nicht weiter fort konnte; sie hatte 24 Stunden in einer ruhi-
gen Betäubung gelegen, als man sie fand. Der ganze Unfall
hatte ihrer Gesundheit weiter nicht geschadet, außer daß sie
vollkommen staarblind geworden war; sie wurde nun wieder
sehend.

Dann waren auch ein alter Mann und seine alte Schwe-
ster unter diesen Blinden; Beide hatten eine lange Reihe von
Jahren den grauen Staar gehabt, und sich also in zwanzig
Jahren nicht gesehen. Als sie nun Beide geheilt waren, und
zuerst wieder zusammen kamen, so war ihre erste Empfindung,
daß sie sich Beide anstaunten und verwunderten, wie sie so alt
ausschen.

Die Tage, die Stilling hier im Vorhof des Himmels
verlebte, sind ihm ewig unvergeßlich. Acht Tage nach Ostern
reiste er wieder nach Marburg.

Nach einigen Wochen kam die liebe gräflich-Wernigero-
dische
Familie durch Marburg, um in die Schweiz zu
reisen; Stilling und Selma wurden von ihr besucht und
bei dieser Gelegenheit äußerte der Graf den Gedanken, daß
Er mit seiner Reisegesellschaft künftigen 12. September wie-
der bei ihm seyn, und dann mit ihm seinen Geburtstag feiern
wollte. Der edle Mann hielt Wort; den 12. September,
welcher Stillings 50ster Geburtstag war, kam die ganze
Reisegesellschaft glücklich, gesund und vergnügt wieder in Mar-
burg
an.

Ein guter Freund aus der Suite des Grafen hatte ein
paar Tage vorher Selma einen Wink davon gegeben, sie
hatte also auf den Abend ein großes Mahl veranstaltet, zu
welchem auch Raschmann mit seinen Grafen, nebst noch
andern lieben Marburgern eingeladen waren, daß hierbei

am erſten Oſtertag Morgen vor der Kirche, und der graͤfliche
Leibchirurgus beſorgte den Verband.

Unter dieſen Blinden war eine junge Frau von 28 Jahren,
welche auf dem Heimwege von Andreasberg nach Ilſen-
burg
an der Seite des Brocken eingeſchneit worden; der
Schnee war ſo ſtark und ſo haͤufig gefallen, daß er ihr end-
lich uͤber dem Kopf zuſammen gegangen war, und ſie nun
nicht weiter fort konnte; ſie hatte 24 Stunden in einer ruhi-
gen Betaͤubung gelegen, als man ſie fand. Der ganze Unfall
hatte ihrer Geſundheit weiter nicht geſchadet, außer daß ſie
vollkommen ſtaarblind geworden war; ſie wurde nun wieder
ſehend.

Dann waren auch ein alter Mann und ſeine alte Schwe-
ſter unter dieſen Blinden; Beide hatten eine lange Reihe von
Jahren den grauen Staar gehabt, und ſich alſo in zwanzig
Jahren nicht geſehen. Als ſie nun Beide geheilt waren, und
zuerſt wieder zuſammen kamen, ſo war ihre erſte Empfindung,
daß ſie ſich Beide anſtaunten und verwunderten, wie ſie ſo alt
ausſchen.

Die Tage, die Stilling hier im Vorhof des Himmels
verlebte, ſind ihm ewig unvergeßlich. Acht Tage nach Oſtern
reiste er wieder nach Marburg.

Nach einigen Wochen kam die liebe graͤflich-Wernigero-
diſche
Familie durch Marburg, um in die Schweiz zu
reiſen; Stilling und Selma wurden von ihr beſucht und
bei dieſer Gelegenheit aͤußerte der Graf den Gedanken, daß
Er mit ſeiner Reiſegeſellſchaft kuͤnftigen 12. September wie-
der bei ihm ſeyn, und dann mit ihm ſeinen Geburtstag feiern
wollte. Der edle Mann hielt Wort; den 12. September,
welcher Stillings 50ſter Geburtstag war, kam die ganze
Reiſegeſellſchaft gluͤcklich, geſund und vergnuͤgt wieder in Mar-
burg
an.

Ein guter Freund aus der Suite des Grafen hatte ein
paar Tage vorher Selma einen Wink davon gegeben, ſie
hatte alſo auf den Abend ein großes Mahl veranſtaltet, zu
welchem auch Raſchmann mit ſeinen Grafen, nebſt noch
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[449/0457] am erſten Oſtertag Morgen vor der Kirche, und der graͤfliche Leibchirurgus beſorgte den Verband. Unter dieſen Blinden war eine junge Frau von 28 Jahren, welche auf dem Heimwege von Andreasberg nach Ilſen- burg an der Seite des Brocken eingeſchneit worden; der Schnee war ſo ſtark und ſo haͤufig gefallen, daß er ihr end- lich uͤber dem Kopf zuſammen gegangen war, und ſie nun nicht weiter fort konnte; ſie hatte 24 Stunden in einer ruhi- gen Betaͤubung gelegen, als man ſie fand. Der ganze Unfall hatte ihrer Geſundheit weiter nicht geſchadet, außer daß ſie vollkommen ſtaarblind geworden war; ſie wurde nun wieder ſehend. Dann waren auch ein alter Mann und ſeine alte Schwe- ſter unter dieſen Blinden; Beide hatten eine lange Reihe von Jahren den grauen Staar gehabt, und ſich alſo in zwanzig Jahren nicht geſehen. Als ſie nun Beide geheilt waren, und zuerſt wieder zuſammen kamen, ſo war ihre erſte Empfindung, daß ſie ſich Beide anſtaunten und verwunderten, wie ſie ſo alt ausſchen. Die Tage, die Stilling hier im Vorhof des Himmels verlebte, ſind ihm ewig unvergeßlich. Acht Tage nach Oſtern reiste er wieder nach Marburg. Nach einigen Wochen kam die liebe graͤflich-Wernigero- diſche Familie durch Marburg, um in die Schweiz zu reiſen; Stilling und Selma wurden von ihr beſucht und bei dieſer Gelegenheit aͤußerte der Graf den Gedanken, daß Er mit ſeiner Reiſegeſellſchaft kuͤnftigen 12. September wie- der bei ihm ſeyn, und dann mit ihm ſeinen Geburtstag feiern wollte. Der edle Mann hielt Wort; den 12. September, welcher Stillings 50ſter Geburtstag war, kam die ganze Reiſegeſellſchaft gluͤcklich, geſund und vergnuͤgt wieder in Mar- burg an. Ein guter Freund aus der Suite des Grafen hatte ein paar Tage vorher Selma einen Wink davon gegeben, ſie hatte alſo auf den Abend ein großes Mahl veranſtaltet, zu welchem auch Raſchmann mit ſeinen Grafen, nebſt noch andern lieben Marburgern eingeladen waren, daß hierbei

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/457>, abgerufen am 22.11.2024.