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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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das Coing'sche Haus nicht vergessen wurde, brauch' ich wohl
nicht zu erinnern. Noch nie war Stillings Geburtstag so
hoch gefeiert worden. Erleuchtung seines Katheders, und eine
Rede von Raschmann erhöhten diese Feier. Artig war es.
indessen, daß man Stillings Lebens-Jubiläum so feierlich
beging, ohne daß ein Mensch daran gedacht hatte, daß dieser
gerade der 50ste Geburtstag sey; das Ganze machte sich so
von selbst, nachher fiel es Stilling ein, und nun zeigte es
sich auch, daß dieser Abend eine Einweihung zu einer neuen
Lebensperiode gewesen sey.



Bald nachher (im Herbst 1789) fingen die Ferien an, in
welchen Stilling eine Reise ins Darmstädtische und dann
nach Neuwied machen mußte, um Blinden zu dienen.
Raschmann, seine Grafen und Selma begleiteten ihn bis
Frankfurt, er reiste dann nach Rüsselsheim am Main,
wo er die Frau Pfarrerin Sartorius operirte, und nenn
vergnügte Tage bei dieser christlichen Familie verlebte; hier
war der Ort, wo sich Stilling in Ansehung der Versöh-
nungslehre zuerst auf dem fahlen Pferd erwischte: der Pfarrer
Sartörius war noch aus der Hallischen oder Frankens
Schule, und sprach mit Stilling über die Wahrheiten der
Religion in diesem Styl, vorzüglich war von der Versöh-
nungslehre und von der zugerechneten Gerechtigkeit die Rede.
Ohne es zu wollen, kam er mit dem Pfarrer in einen Disput
über diese Materie, und entdeckte nun, wie weit er schon ab-
gekommen war -- hier begann also seine Rückkehr.

In Darmstadt operirte Stilling auch verschiedene Per-
sonen; hier traf er einen Mann an, der noch bis dahin der
einzige Staarpatient ist, der Gott zu Ehren blind bleiben wollte:
denn als ihm Stillings Ankunft gemeldet, und gesagt
wurde, er könne nun mit der Hülfe Gottes wieder sehend
werden, so gab er ganz gelassen zur Antwort: der Herr
hat mir dieß Kreuz aufgelegt
, ihm zu Ehren will ichs
auch tragen!" -- welch ein Mißbegriff! --

Von Darmstadt ging Stilling nach Mainz, wo sich

das Coing’ſche Haus nicht vergeſſen wurde, brauch’ ich wohl
nicht zu erinnern. Noch nie war Stillings Geburtstag ſo
hoch gefeiert worden. Erleuchtung ſeines Katheders, und eine
Rede von Raſchmann erhoͤhten dieſe Feier. Artig war es.
indeſſen, daß man Stillings Lebens-Jubilaͤum ſo feierlich
beging, ohne daß ein Menſch daran gedacht hatte, daß dieſer
gerade der 50ſte Geburtstag ſey; das Ganze machte ſich ſo
von ſelbſt, nachher fiel es Stilling ein, und nun zeigte es
ſich auch, daß dieſer Abend eine Einweihung zu einer neuen
Lebensperiode geweſen ſey.



Bald nachher (im Herbſt 1789) fingen die Ferien an, in
welchen Stilling eine Reiſe ins Darmſtaͤdtiſche und dann
nach Neuwied machen mußte, um Blinden zu dienen.
Raſchmann, ſeine Grafen und Selma begleiteten ihn bis
Frankfurt, er reiste dann nach Ruͤſſelsheim am Main,
wo er die Frau Pfarrerin Sartorius operirte, und nenn
vergnuͤgte Tage bei dieſer chriſtlichen Familie verlebte; hier
war der Ort, wo ſich Stilling in Anſehung der Verſoͤh-
nungslehre zuerſt auf dem fahlen Pferd erwiſchte: der Pfarrer
Sartoͤrius war noch aus der Halliſchen oder Frankens
Schule, und ſprach mit Stilling uͤber die Wahrheiten der
Religion in dieſem Styl, vorzuͤglich war von der Verſoͤh-
nungslehre und von der zugerechneten Gerechtigkeit die Rede.
Ohne es zu wollen, kam er mit dem Pfarrer in einen Disput
uͤber dieſe Materie, und entdeckte nun, wie weit er ſchon ab-
gekommen war — hier begann alſo ſeine Ruͤckkehr.

In Darmſtadt operirte Stilling auch verſchiedene Per-
ſonen; hier traf er einen Mann an, der noch bis dahin der
einzige Staarpatient iſt, der Gott zu Ehren blind bleiben wollte:
denn als ihm Stillings Ankunft gemeldet, und geſagt
wurde, er koͤnne nun mit der Huͤlfe Gottes wieder ſehend
werden, ſo gab er ganz gelaſſen zur Antwort: der Herr
hat mir dieß Kreuz aufgelegt
, ihm zu Ehren will ichs
auch tragen!“ — welch ein Mißbegriff! —

Von Darmſtadt ging Stilling nach Mainz, wo ſich

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[450/0458] das Coing’ſche Haus nicht vergeſſen wurde, brauch’ ich wohl nicht zu erinnern. Noch nie war Stillings Geburtstag ſo hoch gefeiert worden. Erleuchtung ſeines Katheders, und eine Rede von Raſchmann erhoͤhten dieſe Feier. Artig war es. indeſſen, daß man Stillings Lebens-Jubilaͤum ſo feierlich beging, ohne daß ein Menſch daran gedacht hatte, daß dieſer gerade der 50ſte Geburtstag ſey; das Ganze machte ſich ſo von ſelbſt, nachher fiel es Stilling ein, und nun zeigte es ſich auch, daß dieſer Abend eine Einweihung zu einer neuen Lebensperiode geweſen ſey. Bald nachher (im Herbſt 1789) fingen die Ferien an, in welchen Stilling eine Reiſe ins Darmſtaͤdtiſche und dann nach Neuwied machen mußte, um Blinden zu dienen. Raſchmann, ſeine Grafen und Selma begleiteten ihn bis Frankfurt, er reiste dann nach Ruͤſſelsheim am Main, wo er die Frau Pfarrerin Sartorius operirte, und nenn vergnuͤgte Tage bei dieſer chriſtlichen Familie verlebte; hier war der Ort, wo ſich Stilling in Anſehung der Verſoͤh- nungslehre zuerſt auf dem fahlen Pferd erwiſchte: der Pfarrer Sartoͤrius war noch aus der Halliſchen oder Frankens Schule, und ſprach mit Stilling uͤber die Wahrheiten der Religion in dieſem Styl, vorzuͤglich war von der Verſoͤh- nungslehre und von der zugerechneten Gerechtigkeit die Rede. Ohne es zu wollen, kam er mit dem Pfarrer in einen Disput uͤber dieſe Materie, und entdeckte nun, wie weit er ſchon ab- gekommen war — hier begann alſo ſeine Ruͤckkehr. In Darmſtadt operirte Stilling auch verſchiedene Per- ſonen; hier traf er einen Mann an, der noch bis dahin der einzige Staarpatient iſt, der Gott zu Ehren blind bleiben wollte: denn als ihm Stillings Ankunft gemeldet, und geſagt wurde, er koͤnne nun mit der Huͤlfe Gottes wieder ſehend werden, ſo gab er ganz gelaſſen zur Antwort: der Herr hat mir dieß Kreuz aufgelegt, ihm zu Ehren will ichs auch tragen!“ — welch ein Mißbegriff! — Von Darmſtadt ging Stilling nach Mainz, wo ſich

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/458>, abgerufen am 22.11.2024.