ruhig leben und dann freudig sterben soll, so mußt du mir versprechen, daß du meine Freundin Elise Coing heirathen willst, die schickt sich von nun an besser für dich als ich, und ich weiß, daß sie eine gute Mutter für meine Kinder, und eine treffliche Gattin für dich seyn wird -- nun setze dich ein- mal über das, was man Wohlstand heißt, hinaus, und ver- sprich mir das -- Gelt, Lieber! du thust es? -- der sehn- suchtsvolle Blick, der aus ihren schönen blauen Augen strahlte, war unbeschreiblich.
Meine Leser mögen selbst urtheilen, wie Stillingen in diesem Augenblick zu Muthe war -- daß er ihren Wunsch -- ihr zu versprechen, daß er Elise nach ihrem Tode heirathen wolle, unmöglich erfüllen konnte, läßt sich leicht denken -- doch ermannte er sich, und antwortete: Liebes Kind! du weißt selbst, daß du in jeder Schwangerschaft deinen Tod geahnet hast, und bist glücklich davon gekommen, ich hoffe, so wird es auch jetzt gehen -- und dann besinne dich einmal recht, ob es möglich sey, dir zu versprechen, was du von mir forderst, es stößt ja gegen Alles an, was nur Schicklichkeit genannt wer- den kann. Selma sah verlegen um sich her, und erwiederte: es ist doch traurig, daß du dich nicht über das Alles weg- setzen kannst, um mich zu beruhigen; daß ich jetzt sterben werde, das weiß ich sicher, es ist jetzt ganz anders als sonst.
Obgleich Stilling dieser Todes-Ahnung eben keinen star- ken Glauben beimaß, so wurde doch sein Gemüth durch seine tiefe ahnende Schwermuth gedrückt, und er faßte den Ent- schluß, von nun an täglich auf den Knien um Selma's Leben zu beten, den er auch treulich ausführte.
Den ganzen Winter über rüstete sich Selma zu ihrem Tod, wie zu einer großen Reise -- man kann denken, wie ihrem Mann dabei zu Muthe war -- sie suchte alles in Ord- nung zu bringen, und das Alles mit Heiterkeit und Gemüths- ruhe. Zugleich suchte sie dann immer ihren Mann zur Hei- rath mit Elise zu bewegen, und ihm sein Versprechen abzu- locken. Hierin ging sie unglaublich weit: denn an einem Abend traf sichs, daß Stilling, Selma und Elise ganz allein an einem runden Tischchen saßen und zusammen aßen;
ruhig leben und dann freudig ſterben ſoll, ſo mußt du mir verſprechen, daß du meine Freundin Eliſe Coing heirathen willſt, die ſchickt ſich von nun an beſſer fuͤr dich als ich, und ich weiß, daß ſie eine gute Mutter fuͤr meine Kinder, und eine treffliche Gattin fuͤr dich ſeyn wird — nun ſetze dich ein- mal uͤber das, was man Wohlſtand heißt, hinaus, und ver- ſprich mir das — Gelt, Lieber! du thuſt es? — der ſehn- ſuchtsvolle Blick, der aus ihren ſchoͤnen blauen Augen ſtrahlte, war unbeſchreiblich.
Meine Leſer moͤgen ſelbſt urtheilen, wie Stillingen in dieſem Augenblick zu Muthe war — daß er ihren Wunſch — ihr zu verſprechen, daß er Eliſe nach ihrem Tode heirathen wolle, unmoͤglich erfuͤllen konnte, laͤßt ſich leicht denken — doch ermannte er ſich, und antwortete: Liebes Kind! du weißt ſelbſt, daß du in jeder Schwangerſchaft deinen Tod geahnet haſt, und biſt gluͤcklich davon gekommen, ich hoffe, ſo wird es auch jetzt gehen — und dann beſinne dich einmal recht, ob es moͤglich ſey, dir zu verſprechen, was du von mir forderſt, es ſtoͤßt ja gegen Alles an, was nur Schicklichkeit genannt wer- den kann. Selma ſah verlegen um ſich her, und erwiederte: es iſt doch traurig, daß du dich nicht uͤber das Alles weg- ſetzen kannſt, um mich zu beruhigen; daß ich jetzt ſterben werde, das weiß ich ſicher, es iſt jetzt ganz anders als ſonſt.
Obgleich Stilling dieſer Todes-Ahnung eben keinen ſtar- ken Glauben beimaß, ſo wurde doch ſein Gemuͤth durch ſeine tiefe ahnende Schwermuth gedruͤckt, und er faßte den Ent- ſchluß, von nun an taͤglich auf den Knien um Selma’s Leben zu beten, den er auch treulich ausfuͤhrte.
Den ganzen Winter uͤber ruͤſtete ſich Selma zu ihrem Tod, wie zu einer großen Reiſe — man kann denken, wie ihrem Mann dabei zu Muthe war — ſie ſuchte alles in Ord- nung zu bringen, und das Alles mit Heiterkeit und Gemuͤths- ruhe. Zugleich ſuchte ſie dann immer ihren Mann zur Hei- rath mit Eliſe zu bewegen, und ihm ſein Verſprechen abzu- locken. Hierin ging ſie unglaublich weit: denn an einem Abend traf ſichs, daß Stilling, Selma und Eliſe ganz allein an einem runden Tiſchchen ſaßen und zuſammen aßen;
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ruhig leben und dann freudig ſterben ſoll, ſo mußt du mir
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ich weiß, daß ſie eine gute Mutter fuͤr meine Kinder, und
eine treffliche Gattin fuͤr dich ſeyn wird — nun ſetze dich ein-
mal uͤber das, was man Wohlſtand heißt, hinaus, und ver-
ſprich mir das — Gelt, Lieber! du thuſt es? — der ſehn-
ſuchtsvolle Blick, der aus ihren ſchoͤnen blauen Augen ſtrahlte,
war unbeſchreiblich.
Meine Leſer moͤgen ſelbſt urtheilen, wie Stillingen in
dieſem Augenblick zu Muthe war — daß er ihren Wunſch —
ihr zu verſprechen, daß er Eliſe nach ihrem Tode heirathen
wolle, unmoͤglich erfuͤllen konnte, laͤßt ſich leicht denken —
doch ermannte er ſich, und antwortete: Liebes Kind! du weißt
ſelbſt, daß du in jeder Schwangerſchaft deinen Tod geahnet
haſt, und biſt gluͤcklich davon gekommen, ich hoffe, ſo wird es
auch jetzt gehen — und dann beſinne dich einmal recht, ob es
moͤglich ſey, dir zu verſprechen, was du von mir forderſt, es
ſtoͤßt ja gegen Alles an, was nur Schicklichkeit genannt wer-
den kann. Selma ſah verlegen um ſich her, und erwiederte:
es iſt doch traurig, daß du dich nicht uͤber das Alles weg-
ſetzen kannſt, um mich zu beruhigen; daß ich jetzt ſterben werde,
das weiß ich ſicher, es iſt jetzt ganz anders als ſonſt.
Obgleich Stilling dieſer Todes-Ahnung eben keinen ſtar-
ken Glauben beimaß, ſo wurde doch ſein Gemuͤth durch ſeine
tiefe ahnende Schwermuth gedruͤckt, und er faßte den Ent-
ſchluß, von nun an taͤglich auf den Knien um Selma’s
Leben zu beten, den er auch treulich ausfuͤhrte.
Den ganzen Winter uͤber ruͤſtete ſich Selma zu ihrem
Tod, wie zu einer großen Reiſe — man kann denken, wie
ihrem Mann dabei zu Muthe war — ſie ſuchte alles in Ord-
nung zu bringen, und das Alles mit Heiterkeit und Gemuͤths-
ruhe. Zugleich ſuchte ſie dann immer ihren Mann zur Hei-
rath mit Eliſe zu bewegen, und ihm ſein Verſprechen abzu-
locken. Hierin ging ſie unglaublich weit: denn an einem
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/462>, abgerufen am 22.11.2024.
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