"Ein dreißigjährig Elend ist gewiß kein Glück; aber nehmt mir nicht übel (er schüttelte ihm die Hand) ich habe, so lang ich lebe, keinen Mangel gehabt, bin gesund gewesen und alt worden, meine Kinder hab' ich erzogen, lernen lassen, und or- dentlich gekleidet. Ich bin recht vergnügt, und also glücklich! Man konnte mir den Stein der Weisen nicht schenken."
"Aber hört, Mitvater! Ihr singt recht gut, und schreibt schön; werdet Schulmeister hier im Dorfe! Friedriken könnt Ihr vermiethen. Da hab' ich noch eine Kleiderkammer, dar- ein will ich ein Bett stellen, so könnt Ihr bei mir wohnen, und also immer bei Euern Kindern seyn."
Euer Anerbieten, Mitvater, ist sehr gut; ich werd' es auch annehmen, wenn ich nur noch einen Versuch werde gemacht haben.
"Macht keine Probe mehr, Mitvater! sie wird Euch gewiß fehlen. Aber laßt uns von etwas Anderm reden. Ich bin ein großer Liebhaber von der Sternwissenschaft; kennt Ihr auch wohl den Sirius im großen Hund?"
Ich bin eben kein Sternkundiger, doch aber kenn' ich ihn.
"Er steht gemeiniglich des Abends gegen Mittag. Er flammt so grünröthlich. Wie weit mag er wohl von der Erde seyn? Sie sagen, er soll wohl noch viel höher seyn als die Sonne."
O! wohl tausendmal höher!
"Wie ist das möglich? Ich bin so ein Liebhaber von den Sternen. Ich mein' immer, ich wär' schon dabei, wenn ich sie besehe. Aber kennt ihr auch den Wagen und den Pflug?"
Ja, man hat sie mir wohl gewiesen.
"O welch ein wunderbarer Gott!"
Margarethe Stilling hörte dieses Gespräch; sie kam und setzte sich zu ihrem Mann. Ach Ebert! sagte sie, ich kann wohl an einer Blume sehen, daß Gott wunderbar ist. Laßt uns die begreifen lernen! Wir wohnen bei dem Gras und den Blumen; die laßt uns hier bewundern; wenn wir im Him- mel sind, dann wollen wir die Sterne betrachten!
Das ist recht, sagte Moritz, es sind so viele Wunder in der Natur; wenn wir die recht betrachten, so können wir die
„Ein dreißigjaͤhrig Elend iſt gewiß kein Gluͤck; aber nehmt mir nicht uͤbel (er ſchuͤttelte ihm die Hand) ich habe, ſo lang ich lebe, keinen Mangel gehabt, bin geſund geweſen und alt worden, meine Kinder hab’ ich erzogen, lernen laſſen, und or- dentlich gekleidet. Ich bin recht vergnuͤgt, und alſo gluͤcklich! Man konnte mir den Stein der Weiſen nicht ſchenken.“
„Aber hoͤrt, Mitvater! Ihr ſingt recht gut, und ſchreibt ſchoͤn; werdet Schulmeiſter hier im Dorfe! Friedriken koͤnnt Ihr vermiethen. Da hab’ ich noch eine Kleiderkammer, dar- ein will ich ein Bett ſtellen, ſo koͤnnt Ihr bei mir wohnen, und alſo immer bei Euern Kindern ſeyn.“
Euer Anerbieten, Mitvater, iſt ſehr gut; ich werd’ es auch annehmen, wenn ich nur noch einen Verſuch werde gemacht haben.
„Macht keine Probe mehr, Mitvater! ſie wird Euch gewiß fehlen. Aber laßt uns von etwas Anderm reden. Ich bin ein großer Liebhaber von der Sternwiſſenſchaft; kennt Ihr auch wohl den Sirius im großen Hund?“
Ich bin eben kein Sternkundiger, doch aber kenn’ ich ihn.
„Er ſteht gemeiniglich des Abends gegen Mittag. Er flammt ſo gruͤnroͤthlich. Wie weit mag er wohl von der Erde ſeyn? Sie ſagen, er ſoll wohl noch viel hoͤher ſeyn als die Sonne.“
O! wohl tauſendmal hoͤher!
„Wie iſt das moͤglich? Ich bin ſo ein Liebhaber von den Sternen. Ich mein’ immer, ich waͤr’ ſchon dabei, wenn ich ſie beſehe. Aber kennt ihr auch den Wagen und den Pflug?“
Ja, man hat ſie mir wohl gewieſen.
„O welch ein wunderbarer Gott!“
Margarethe Stilling hoͤrte dieſes Geſpraͤch; ſie kam und ſetzte ſich zu ihrem Mann. Ach Ebert! ſagte ſie, ich kann wohl an einer Blume ſehen, daß Gott wunderbar iſt. Laßt uns die begreifen lernen! Wir wohnen bei dem Gras und den Blumen; die laßt uns hier bewundern; wenn wir im Him- mel ſind, dann wollen wir die Sterne betrachten!
Das iſt recht, ſagte Moritz, es ſind ſo viele Wunder in der Natur; wenn wir die recht betrachten, ſo koͤnnen wir die
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„Ein dreißigjaͤhrig Elend iſt gewiß kein Gluͤck; aber nehmt
mir nicht uͤbel (er ſchuͤttelte ihm die Hand) ich habe, ſo lang
ich lebe, keinen Mangel gehabt, bin geſund geweſen und alt
worden, meine Kinder hab’ ich erzogen, lernen laſſen, und or-
dentlich gekleidet. Ich bin recht vergnuͤgt, und alſo gluͤcklich!
Man konnte mir den Stein der Weiſen nicht ſchenken.“
„Aber hoͤrt, Mitvater! Ihr ſingt recht gut, und ſchreibt
ſchoͤn; werdet Schulmeiſter hier im Dorfe! Friedriken koͤnnt
Ihr vermiethen. Da hab’ ich noch eine Kleiderkammer, dar-
ein will ich ein Bett ſtellen, ſo koͤnnt Ihr bei mir wohnen,
und alſo immer bei Euern Kindern ſeyn.“
Euer Anerbieten, Mitvater, iſt ſehr gut; ich werd’ es auch
annehmen, wenn ich nur noch einen Verſuch werde gemacht
haben.
„Macht keine Probe mehr, Mitvater! ſie wird Euch gewiß
fehlen. Aber laßt uns von etwas Anderm reden. Ich bin
ein großer Liebhaber von der Sternwiſſenſchaft; kennt Ihr auch
wohl den Sirius im großen Hund?“
Ich bin eben kein Sternkundiger, doch aber kenn’ ich ihn.
„Er ſteht gemeiniglich des Abends gegen Mittag. Er flammt
ſo gruͤnroͤthlich. Wie weit mag er wohl von der Erde ſeyn?
Sie ſagen, er ſoll wohl noch viel hoͤher ſeyn als die Sonne.“
O! wohl tauſendmal hoͤher!
„Wie iſt das moͤglich? Ich bin ſo ein Liebhaber von den
Sternen. Ich mein’ immer, ich waͤr’ ſchon dabei, wenn ich
ſie beſehe. Aber kennt ihr auch den Wagen und den Pflug?“
Ja, man hat ſie mir wohl gewieſen.
„O welch ein wunderbarer Gott!“
Margarethe Stilling hoͤrte dieſes Geſpraͤch; ſie kam und
ſetzte ſich zu ihrem Mann. Ach Ebert! ſagte ſie, ich kann
wohl an einer Blume ſehen, daß Gott wunderbar iſt. Laßt
uns die begreifen lernen! Wir wohnen bei dem Gras und den
Blumen; die laßt uns hier bewundern; wenn wir im Him-
mel ſind, dann wollen wir die Sterne betrachten!
Das iſt recht, ſagte Moritz, es ſind ſo viele Wunder in
der Natur; wenn wir die recht betrachten, ſo koͤnnen wir die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/47>, abgerufen am 21.11.2024.
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