an den Meistbietenden versteigern muß. Die beiden Freunde Rieß und Stilling traten also diese Reise an, und letzte- rer nahm Elise mit, um ihr Aufheiterung, Erholung und Zerstreuung zu verschaffen: denn ihre Krankheit, und besonders des Vaters plötzlicher Tod, hatte ihr zugesetzt. Nach verrich- teten Amtsgeschäften ging Stilling mit ihr über Kassel wieder zurück nach Marburg. In Kassel, und schon etwas früher, fing Elise an, eine unangenehme Empfindung inwen- dig im Halse zu bemerken; in Kassel wurde diese Empfin- dung stärker, und in der rechten Seite ihres Halses entstand ein unwillkührliches und abwechselndes Zucken des Kopfs nach der rechten Seite, doch war es noch nicht merklich. Sie reis- ten nun nach Hause und warteten ihres Berufs.
Jetzt nahten nun wieder die Herbstferien; der Oheim Kraft in Frankfurt schrieb, daß dort eine reiche blinde Jüdin sey, welche wünsche, von Stilling operirt zu werden, sie wolle gern die Reisekosten bezahlen, wenn er kommen und ihr helfen wolle. Stilling war dazu willig, allein er mußte sich erst zu Kassel die Erlaubniß auswirken, weil der Mar- burger Prorector keine Nacht außer der Stadt zubringen darf. Diese Erlaubniß erhielt er, folglich übertrug er nun sein Amt dem Exprorector, und trat in Begleitung seiner Elise die Reise nach Frankfurt an. Als sie gegen Abend zu Vilbel, einem schönen Dorfe an der Nidda, zwo Stunden von Frankfurt, ankamen, und vor einem Wirthshaus still hielten, um den Pferden Brod zu geben, so kam die Wirthin heraus an die Kutsche, und mit ängstlicher Miene sagte sie: Ach, wissen Sie denn auch, daß Franzosen ins Reich eingefallen sind, und schon Speyer einge- nommen haben? -- Diese Nachricht fuhr wie ein electri- scher Schlag durch Stillings ganze Existenz, indessen hoffte er noch, daß es ein leeres Gerüchte, und nicht so arg seyn möchte; er setzte also mit seiner Begleitung die Reise nach Frankfurt fort, und kehrte dort bei Kraft ein; hier erfuhr er nun, daß die Nachricht leider! in ihrem ganzen Umfange wahr, und die ganze Stadt in Furcht und Unruhe sey. Es ist durchaus nöthig, daß ich hier über die sonderbaren Wirkun-
an den Meiſtbietenden verſteigern muß. Die beiden Freunde Rieß und Stilling traten alſo dieſe Reiſe an, und letzte- rer nahm Eliſe mit, um ihr Aufheiterung, Erholung und Zerſtreuung zu verſchaffen: denn ihre Krankheit, und beſonders des Vaters ploͤtzlicher Tod, hatte ihr zugeſetzt. Nach verrich- teten Amtsgeſchaͤften ging Stilling mit ihr uͤber Kaſſel wieder zuruͤck nach Marburg. In Kaſſel, und ſchon etwas fruͤher, fing Eliſe an, eine unangenehme Empfindung inwen- dig im Halſe zu bemerken; in Kaſſel wurde dieſe Empfin- dung ſtaͤrker, und in der rechten Seite ihres Halſes entſtand ein unwillkuͤhrliches und abwechſelndes Zucken des Kopfs nach der rechten Seite, doch war es noch nicht merklich. Sie reis- ten nun nach Hauſe und warteten ihres Berufs.
Jetzt nahten nun wieder die Herbſtferien; der Oheim Kraft in Frankfurt ſchrieb, daß dort eine reiche blinde Juͤdin ſey, welche wuͤnſche, von Stilling operirt zu werden, ſie wolle gern die Reiſekoſten bezahlen, wenn er kommen und ihr helfen wolle. Stilling war dazu willig, allein er mußte ſich erſt zu Kaſſel die Erlaubniß auswirken, weil der Mar- burger Prorector keine Nacht außer der Stadt zubringen darf. Dieſe Erlaubniß erhielt er, folglich uͤbertrug er nun ſein Amt dem Exprorector, und trat in Begleitung ſeiner Eliſe die Reiſe nach Frankfurt an. Als ſie gegen Abend zu Vilbel, einem ſchoͤnen Dorfe an der Nidda, zwo Stunden von Frankfurt, ankamen, und vor einem Wirthshaus ſtill hielten, um den Pferden Brod zu geben, ſo kam die Wirthin heraus an die Kutſche, und mit aͤngſtlicher Miene ſagte ſie: Ach, wiſſen Sie denn auch, daß Franzoſen ins Reich eingefallen ſind, und ſchon Speyer einge- nommen haben? — Dieſe Nachricht fuhr wie ein electri- ſcher Schlag durch Stillings ganze Exiſtenz, indeſſen hoffte er noch, daß es ein leeres Geruͤchte, und nicht ſo arg ſeyn moͤchte; er ſetzte alſo mit ſeiner Begleitung die Reiſe nach Frankfurt fort, und kehrte dort bei Kraft ein; hier erfuhr er nun, daß die Nachricht leider! in ihrem ganzen Umfange wahr, und die ganze Stadt in Furcht und Unruhe ſey. Es iſt durchaus noͤthig, daß ich hier uͤber die ſonderbaren Wirkun-
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an den Meiſtbietenden verſteigern muß. Die beiden Freunde
Rieß und Stilling traten alſo dieſe Reiſe an, und letzte-
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Zerſtreuung zu verſchaffen: denn ihre Krankheit, und beſonders
des Vaters ploͤtzlicher Tod, hatte ihr zugeſetzt. Nach verrich-
teten Amtsgeſchaͤften ging Stilling mit ihr uͤber Kaſſel
wieder zuruͤck nach Marburg. In Kaſſel, und ſchon etwas
fruͤher, fing Eliſe an, eine unangenehme Empfindung inwen-
dig im Halſe zu bemerken; in Kaſſel wurde dieſe Empfin-
dung ſtaͤrker, und in der rechten Seite ihres Halſes entſtand
ein unwillkuͤhrliches und abwechſelndes Zucken des Kopfs nach
der rechten Seite, doch war es noch nicht merklich. Sie reis-
ten nun nach Hauſe und warteten ihres Berufs.
Jetzt nahten nun wieder die Herbſtferien; der Oheim Kraft
in Frankfurt ſchrieb, daß dort eine reiche blinde Juͤdin
ſey, welche wuͤnſche, von Stilling operirt zu werden, ſie
wolle gern die Reiſekoſten bezahlen, wenn er kommen und ihr
helfen wolle. Stilling war dazu willig, allein er mußte
ſich erſt zu Kaſſel die Erlaubniß auswirken, weil der Mar-
burger Prorector keine Nacht außer der Stadt zubringen
darf. Dieſe Erlaubniß erhielt er, folglich uͤbertrug er nun ſein
Amt dem Exprorector, und trat in Begleitung ſeiner Eliſe
die Reiſe nach Frankfurt an. Als ſie gegen Abend zu
Vilbel, einem ſchoͤnen Dorfe an der Nidda, zwo Stunden
von Frankfurt, ankamen, und vor einem Wirthshaus ſtill
hielten, um den Pferden Brod zu geben, ſo kam die Wirthin
heraus an die Kutſche, und mit aͤngſtlicher Miene ſagte ſie:
Ach, wiſſen Sie denn auch, daß Franzoſen ins
Reich eingefallen ſind, und ſchon Speyer einge-
nommen haben? — Dieſe Nachricht fuhr wie ein electri-
ſcher Schlag durch Stillings ganze Exiſtenz, indeſſen hoffte
er noch, daß es ein leeres Geruͤchte, und nicht ſo arg ſeyn
moͤchte; er ſetzte alſo mit ſeiner Begleitung die Reiſe nach
Frankfurt fort, und kehrte dort bei Kraft ein; hier erfuhr
er nun, daß die Nachricht leider! in ihrem ganzen Umfange
wahr, und die ganze Stadt in Furcht und Unruhe ſey. Es
iſt durchaus noͤthig, daß ich hier uͤber die ſonderbaren Wirkun-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/481>, abgerufen am 24.11.2024.
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