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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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an den Meistbietenden versteigern muß. Die beiden Freunde
Rieß und Stilling traten also diese Reise an, und letzte-
rer nahm Elise mit, um ihr Aufheiterung, Erholung und
Zerstreuung zu verschaffen: denn ihre Krankheit, und besonders
des Vaters plötzlicher Tod, hatte ihr zugesetzt. Nach verrich-
teten Amtsgeschäften ging Stilling mit ihr über Kassel
wieder zurück nach Marburg. In Kassel, und schon etwas
früher, fing Elise an, eine unangenehme Empfindung inwen-
dig im Halse zu bemerken; in Kassel wurde diese Empfin-
dung stärker, und in der rechten Seite ihres Halses entstand
ein unwillkührliches und abwechselndes Zucken des Kopfs nach
der rechten Seite, doch war es noch nicht merklich. Sie reis-
ten nun nach Hause und warteten ihres Berufs.

Jetzt nahten nun wieder die Herbstferien; der Oheim Kraft
in Frankfurt schrieb, daß dort eine reiche blinde Jüdin
sey, welche wünsche, von Stilling operirt zu werden, sie
wolle gern die Reisekosten bezahlen, wenn er kommen und ihr
helfen wolle. Stilling war dazu willig, allein er mußte
sich erst zu Kassel die Erlaubniß auswirken, weil der Mar-
burger
Prorector keine Nacht außer der Stadt zubringen
darf. Diese Erlaubniß erhielt er, folglich übertrug er nun sein
Amt dem Exprorector, und trat in Begleitung seiner Elise
die Reise nach Frankfurt an. Als sie gegen Abend zu
Vilbel, einem schönen Dorfe an der Nidda, zwo Stunden
von Frankfurt, ankamen, und vor einem Wirthshaus still
hielten, um den Pferden Brod zu geben, so kam die Wirthin
heraus an die Kutsche, und mit ängstlicher Miene sagte sie:
Ach, wissen Sie denn auch, daß Franzosen ins
Reich eingefallen sind, und schon Speyer einge-
nommen haben
? -- Diese Nachricht fuhr wie ein electri-
scher Schlag durch Stillings ganze Existenz, indessen hoffte
er noch, daß es ein leeres Gerüchte, und nicht so arg seyn
möchte; er setzte also mit seiner Begleitung die Reise nach
Frankfurt fort, und kehrte dort bei Kraft ein; hier erfuhr
er nun, daß die Nachricht leider! in ihrem ganzen Umfange
wahr, und die ganze Stadt in Furcht und Unruhe sey. Es
ist durchaus nöthig, daß ich hier über die sonderbaren Wirkun-

an den Meiſtbietenden verſteigern muß. Die beiden Freunde
Rieß und Stilling traten alſo dieſe Reiſe an, und letzte-
rer nahm Eliſe mit, um ihr Aufheiterung, Erholung und
Zerſtreuung zu verſchaffen: denn ihre Krankheit, und beſonders
des Vaters ploͤtzlicher Tod, hatte ihr zugeſetzt. Nach verrich-
teten Amtsgeſchaͤften ging Stilling mit ihr uͤber Kaſſel
wieder zuruͤck nach Marburg. In Kaſſel, und ſchon etwas
fruͤher, fing Eliſe an, eine unangenehme Empfindung inwen-
dig im Halſe zu bemerken; in Kaſſel wurde dieſe Empfin-
dung ſtaͤrker, und in der rechten Seite ihres Halſes entſtand
ein unwillkuͤhrliches und abwechſelndes Zucken des Kopfs nach
der rechten Seite, doch war es noch nicht merklich. Sie reis-
ten nun nach Hauſe und warteten ihres Berufs.

Jetzt nahten nun wieder die Herbſtferien; der Oheim Kraft
in Frankfurt ſchrieb, daß dort eine reiche blinde Juͤdin
ſey, welche wuͤnſche, von Stilling operirt zu werden, ſie
wolle gern die Reiſekoſten bezahlen, wenn er kommen und ihr
helfen wolle. Stilling war dazu willig, allein er mußte
ſich erſt zu Kaſſel die Erlaubniß auswirken, weil der Mar-
burger
Prorector keine Nacht außer der Stadt zubringen
darf. Dieſe Erlaubniß erhielt er, folglich uͤbertrug er nun ſein
Amt dem Exprorector, und trat in Begleitung ſeiner Eliſe
die Reiſe nach Frankfurt an. Als ſie gegen Abend zu
Vilbel, einem ſchoͤnen Dorfe an der Nidda, zwo Stunden
von Frankfurt, ankamen, und vor einem Wirthshaus ſtill
hielten, um den Pferden Brod zu geben, ſo kam die Wirthin
heraus an die Kutſche, und mit aͤngſtlicher Miene ſagte ſie:
Ach, wiſſen Sie denn auch, daß Franzoſen ins
Reich eingefallen ſind, und ſchon Speyer einge-
nommen haben
? — Dieſe Nachricht fuhr wie ein electri-
ſcher Schlag durch Stillings ganze Exiſtenz, indeſſen hoffte
er noch, daß es ein leeres Geruͤchte, und nicht ſo arg ſeyn
moͤchte; er ſetzte alſo mit ſeiner Begleitung die Reiſe nach
Frankfurt fort, und kehrte dort bei Kraft ein; hier erfuhr
er nun, daß die Nachricht leider! in ihrem ganzen Umfange
wahr, und die ganze Stadt in Furcht und Unruhe ſey. Es
iſt durchaus noͤthig, daß ich hier uͤber die ſonderbaren Wirkun-

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[473/0481] an den Meiſtbietenden verſteigern muß. Die beiden Freunde Rieß und Stilling traten alſo dieſe Reiſe an, und letzte- rer nahm Eliſe mit, um ihr Aufheiterung, Erholung und Zerſtreuung zu verſchaffen: denn ihre Krankheit, und beſonders des Vaters ploͤtzlicher Tod, hatte ihr zugeſetzt. Nach verrich- teten Amtsgeſchaͤften ging Stilling mit ihr uͤber Kaſſel wieder zuruͤck nach Marburg. In Kaſſel, und ſchon etwas fruͤher, fing Eliſe an, eine unangenehme Empfindung inwen- dig im Halſe zu bemerken; in Kaſſel wurde dieſe Empfin- dung ſtaͤrker, und in der rechten Seite ihres Halſes entſtand ein unwillkuͤhrliches und abwechſelndes Zucken des Kopfs nach der rechten Seite, doch war es noch nicht merklich. Sie reis- ten nun nach Hauſe und warteten ihres Berufs. Jetzt nahten nun wieder die Herbſtferien; der Oheim Kraft in Frankfurt ſchrieb, daß dort eine reiche blinde Juͤdin ſey, welche wuͤnſche, von Stilling operirt zu werden, ſie wolle gern die Reiſekoſten bezahlen, wenn er kommen und ihr helfen wolle. Stilling war dazu willig, allein er mußte ſich erſt zu Kaſſel die Erlaubniß auswirken, weil der Mar- burger Prorector keine Nacht außer der Stadt zubringen darf. Dieſe Erlaubniß erhielt er, folglich uͤbertrug er nun ſein Amt dem Exprorector, und trat in Begleitung ſeiner Eliſe die Reiſe nach Frankfurt an. Als ſie gegen Abend zu Vilbel, einem ſchoͤnen Dorfe an der Nidda, zwo Stunden von Frankfurt, ankamen, und vor einem Wirthshaus ſtill hielten, um den Pferden Brod zu geben, ſo kam die Wirthin heraus an die Kutſche, und mit aͤngſtlicher Miene ſagte ſie: Ach, wiſſen Sie denn auch, daß Franzoſen ins Reich eingefallen ſind, und ſchon Speyer einge- nommen haben? — Dieſe Nachricht fuhr wie ein electri- ſcher Schlag durch Stillings ganze Exiſtenz, indeſſen hoffte er noch, daß es ein leeres Geruͤchte, und nicht ſo arg ſeyn moͤchte; er ſetzte alſo mit ſeiner Begleitung die Reiſe nach Frankfurt fort, und kehrte dort bei Kraft ein; hier erfuhr er nun, daß die Nachricht leider! in ihrem ganzen Umfange wahr, und die ganze Stadt in Furcht und Unruhe ſey. Es iſt durchaus noͤthig, daß ich hier uͤber die ſonderbaren Wirkun-

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/481>, abgerufen am 24.11.2024.