gen, welche diese Nachricht in Stillings Seele hervorbrachte, einige Betrachtungen anstelle:
König Ludwig der Vierzehnte von Frankreich, nach ihm der Herzog Regent von Orleans, und endlich Lud- wig der Fünfzehnte, hatten in einer Reihe von hundert Jah- ren die französische Nation zu einem beispiellosen Luxus ver- leitet; eine Nation, die in der Wollust versunken ist, und deren Nerven durch alle Arten der Ueppigkeit geschwächt sind, nimmt die witzigen Spöttereien eines Voltaire als Philosophie, und die sophistischen Träume eines Rousseau als Religion an; dadurch entsteht dann natürlicher Weise ein Nationalcha- rakter, der für den sinnlichen Menschen äußerst hinreißend, angenehm und gefällig ist; und da er zugleich das Blendende eines Systems, und eine äußere Politur hat, so macht er sich auch dem Denker interessant, und erwirbt sich daher den Beifall aller cultivirten Nationen.
Daher kam es denn auch, daß unser deutscher hoher und niederer Adel, Frankreich für die hohe Schule der feinen Lebensart, des Wohlstandes und -- der Sittlichkeit, -- hielt. Man schämte sich der Kraftsprache der Deutschen und sprach französisch; man wählte französische Abentheurer, Fri- seurs, und genug, wenn er ein Franzose war, zu Erziehern künftiger Regenten, und gar oft französische Putzmacherinnen zu Gouvernanten unserer Prinzessinnen, Comtessen und Fräu- leins. Der deutsche Nationalcharakter, und mit ihm die Re- ligion, geriethen ins alte Eisen und in die Rumpelkammer.
Jetzt wollten nun die Gelehrten, und besonders die Theo- logen, rathen und helfen, und dazu wählten sie -- den Weg der Accommodation, sie wollten zwischen Christo und Be- lial Frieden stiften, jeder solle etwas nachgeben, Christus solle die Dogmen der Glaubenslehren aufheben und Belial die groben Laster verbieten, und beide sollten nun weiter nichts zum Religions-Grundgesetz anerkennen, als die Moral; denn darin sey man sich einig, daß sie müsse geglaubt und gelehrt werden; was das Thun betrifft, das überläßt man der Frei- heit eines jeden einzelnen Menschen, die heilig gehalten und keineswegs gekränkt werden darf. Dieses Christo-Belial-
gen, welche dieſe Nachricht in Stillings Seele hervorbrachte, einige Betrachtungen anſtelle:
Koͤnig Ludwig der Vierzehnte von Frankreich, nach ihm der Herzog Regent von Orleans, und endlich Lud- wig der Fuͤnfzehnte, hatten in einer Reihe von hundert Jah- ren die franzoͤſiſche Nation zu einem beiſpielloſen Luxus ver- leitet; eine Nation, die in der Wolluſt verſunken iſt, und deren Nerven durch alle Arten der Ueppigkeit geſchwaͤcht ſind, nimmt die witzigen Spoͤttereien eines Voltaire als Philoſophie, und die ſophiſtiſchen Traͤume eines Rouſſeau als Religion an; dadurch entſteht dann natuͤrlicher Weiſe ein Nationalcha- rakter, der fuͤr den ſinnlichen Menſchen aͤußerſt hinreißend, angenehm und gefaͤllig iſt; und da er zugleich das Blendende eines Syſtems, und eine aͤußere Politur hat, ſo macht er ſich auch dem Denker intereſſant, und erwirbt ſich daher den Beifall aller cultivirten Nationen.
Daher kam es denn auch, daß unſer deutſcher hoher und niederer Adel, Frankreich fuͤr die hohe Schule der feinen Lebensart, des Wohlſtandes und — der Sittlichkeit, — hielt. Man ſchaͤmte ſich der Kraftſprache der Deutſchen und ſprach franzoͤſiſch; man waͤhlte franzoͤſiſche Abentheurer, Fri- ſeurs, und genug, wenn er ein Franzoſe war, zu Erziehern kuͤnftiger Regenten, und gar oft franzoͤſiſche Putzmacherinnen zu Gouvernanten unſerer Prinzeſſinnen, Comteſſen und Fraͤu- leins. Der deutſche Nationalcharakter, und mit ihm die Re- ligion, geriethen ins alte Eiſen und in die Rumpelkammer.
Jetzt wollten nun die Gelehrten, und beſonders die Theo- logen, rathen und helfen, und dazu waͤhlten ſie — den Weg der Accommodation, ſie wollten zwiſchen Chriſto und Be- lial Frieden ſtiften, jeder ſolle etwas nachgeben, Chriſtus ſolle die Dogmen der Glaubenslehren aufheben und Belial die groben Laſter verbieten, und beide ſollten nun weiter nichts zum Religions-Grundgeſetz anerkennen, als die Moral; denn darin ſey man ſich einig, daß ſie muͤſſe geglaubt und gelehrt werden; was das Thun betrifft, das uͤberlaͤßt man der Frei- heit eines jeden einzelnen Menſchen, die heilig gehalten und keineswegs gekraͤnkt werden darf. Dieſes Chriſto-Belial-
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gen, welche dieſe Nachricht in Stillings Seele hervorbrachte,
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Koͤnig Ludwig der Vierzehnte von Frankreich, nach
ihm der Herzog Regent von Orleans, und endlich Lud-
wig der Fuͤnfzehnte, hatten in einer Reihe von hundert Jah-
ren die franzoͤſiſche Nation zu einem beiſpielloſen Luxus ver-
leitet; eine Nation, die in der Wolluſt verſunken iſt, und deren
Nerven durch alle Arten der Ueppigkeit geſchwaͤcht ſind, nimmt
die witzigen Spoͤttereien eines Voltaire als Philoſophie,
und die ſophiſtiſchen Traͤume eines Rouſſeau als Religion
an; dadurch entſteht dann natuͤrlicher Weiſe ein Nationalcha-
rakter, der fuͤr den ſinnlichen Menſchen aͤußerſt hinreißend,
angenehm und gefaͤllig iſt; und da er zugleich das Blendende
eines Syſtems, und eine aͤußere Politur hat, ſo macht er
ſich auch dem Denker intereſſant, und erwirbt ſich daher den
Beifall aller cultivirten Nationen.
Daher kam es denn auch, daß unſer deutſcher hoher und
niederer Adel, Frankreich fuͤr die hohe Schule der feinen
Lebensart, des Wohlſtandes und — der Sittlichkeit, —
hielt. Man ſchaͤmte ſich der Kraftſprache der Deutſchen und
ſprach franzoͤſiſch; man waͤhlte franzoͤſiſche Abentheurer, Fri-
ſeurs, und genug, wenn er ein Franzoſe war, zu Erziehern
kuͤnftiger Regenten, und gar oft franzoͤſiſche Putzmacherinnen
zu Gouvernanten unſerer Prinzeſſinnen, Comteſſen und Fraͤu-
leins. Der deutſche Nationalcharakter, und mit ihm die Re-
ligion, geriethen ins alte Eiſen und in die Rumpelkammer.
Jetzt wollten nun die Gelehrten, und beſonders die Theo-
logen, rathen und helfen, und dazu waͤhlten ſie — den Weg
der Accommodation, ſie wollten zwiſchen Chriſto und Be-
lial Frieden ſtiften, jeder ſolle etwas nachgeben, Chriſtus
ſolle die Dogmen der Glaubenslehren aufheben und Belial
die groben Laſter verbieten, und beide ſollten nun weiter nichts
zum Religions-Grundgeſetz anerkennen, als die Moral; denn
darin ſey man ſich einig, daß ſie muͤſſe geglaubt und gelehrt
werden; was das Thun betrifft, das uͤberlaͤßt man der Frei-
heit eines jeden einzelnen Menſchen, die heilig gehalten und
keineswegs gekraͤnkt werden darf. Dieſes Chriſto-Belial-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/482>, abgerufen am 22.11.2024.
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