schreiblich zu Muthe: auf der einen Seite nunmehr solche Er- wartungen in der Nähe, die die höchsten Wünsche des Chri- sten übersteigen, und auf der andern auch Erwartungen von nie erhörten Trübsalen und Leiden, die der bevorstehende große Kampf unvermeidlich mit sich bringen würde. Ja, wahrlich! eine Gemüthsverfassung, deren Gewalt einen Mann, der in seinem Leben so viel gearbeitet hatte, und noch arbeitete, leicht hätte zu Boden drücken können, wenn ihn nicht die Vorsehung zu wichtigen Zwecken hätte aufbewahren wollen!
Man sollte denken, das sey nun schon Schmelzfeuer genug gewesen, allein gerade jetzt in dieser Angstzeit kam noch eine besondere Glut hinzu, die der große Schmelzer, aus ihm allein bekannten Ursachen, zu veranstalten nöthig fand; ich habe oben erinnert, daß Elise durch Schrecken, in einem durch Krankheit geschwächten Zustand, ein Zucken des Kopfs nach der rechten Seite bekommen habe; bis daher war dieß Uebel nicht sehr bedeutend gewesen, aber jetzt wurde es für die gute Seele und ihren Mann fürchterlich und schrecklich: denn des andern Tages ihrer Anwesenheit in Frankfurt entstand ein schreckenvoller Allarm, die Franzosen seyen im Anmarsch -- der Magistrat versammelte sich auf dem Rö- mer, Wassertonen wurden gefüllt, um bei dem Bombarde- ment den Brand löschen zu können, u. s. w., mit Einem Wort: der allgemeine Schrecken war unbeschreiblich; für Elise kam aber nun noch ein besonderer Umstand hinzu; die Universität Marburg ist ein Hessischer Landstand, Stil- ling war ihr Prorector, und ihr Landesherr im Krieg mit Frankreich. Es war also nichts wahrscheinlicher, als daß die Franzosen bei ihrem Einfall in Frankfurt, Stilling als Geißel nach Frankreich schicken würden. Dieß war für Elise, die ihren Mann zärtlich liebte, zu viel; jetzt zuckte der Kopf beständig nach der rechten Schulter, und der ganze obere Körper wurde dadurch verzogen -- Elise litt sehr da- bei, und Stilling glaubte in all' dem Jammer vergehen zu müssen; Elise hatte einen geraden, schönen Wuchs, und nun die drückende Leidensgestalt -- es war kaum auszuhal- ten; bei allem dem war es schlechterdings unmöglich, aus
ſchreiblich zu Muthe: auf der einen Seite nunmehr ſolche Er- wartungen in der Naͤhe, die die hoͤchſten Wuͤnſche des Chri- ſten uͤberſteigen, und auf der andern auch Erwartungen von nie erhoͤrten Truͤbſalen und Leiden, die der bevorſtehende große Kampf unvermeidlich mit ſich bringen wuͤrde. Ja, wahrlich! eine Gemuͤthsverfaſſung, deren Gewalt einen Mann, der in ſeinem Leben ſo viel gearbeitet hatte, und noch arbeitete, leicht haͤtte zu Boden druͤcken koͤnnen, wenn ihn nicht die Vorſehung zu wichtigen Zwecken haͤtte aufbewahren wollen!
Man ſollte denken, das ſey nun ſchon Schmelzfeuer genug geweſen, allein gerade jetzt in dieſer Angſtzeit kam noch eine beſondere Glut hinzu, die der große Schmelzer, aus ihm allein bekannten Urſachen, zu veranſtalten noͤthig fand; ich habe oben erinnert, daß Eliſe durch Schrecken, in einem durch Krankheit geſchwaͤchten Zuſtand, ein Zucken des Kopfs nach der rechten Seite bekommen habe; bis daher war dieß Uebel nicht ſehr bedeutend geweſen, aber jetzt wurde es fuͤr die gute Seele und ihren Mann fuͤrchterlich und ſchrecklich: denn des andern Tages ihrer Anweſenheit in Frankfurt entſtand ein ſchreckenvoller Allarm, die Franzoſen ſeyen im Anmarſch — der Magiſtrat verſammelte ſich auf dem Roͤ- mer, Waſſertonen wurden gefuͤllt, um bei dem Bombarde- ment den Brand loͤſchen zu koͤnnen, u. ſ. w., mit Einem Wort: der allgemeine Schrecken war unbeſchreiblich; fuͤr Eliſe kam aber nun noch ein beſonderer Umſtand hinzu; die Univerſitaͤt Marburg iſt ein Heſſiſcher Landſtand, Stil- ling war ihr Prorector, und ihr Landesherr im Krieg mit Frankreich. Es war alſo nichts wahrſcheinlicher, als daß die Franzoſen bei ihrem Einfall in Frankfurt, Stilling als Geißel nach Frankreich ſchicken wuͤrden. Dieß war fuͤr Eliſe, die ihren Mann zaͤrtlich liebte, zu viel; jetzt zuckte der Kopf beſtaͤndig nach der rechten Schulter, und der ganze obere Koͤrper wurde dadurch verzogen — Eliſe litt ſehr da- bei, und Stilling glaubte in all’ dem Jammer vergehen zu muͤſſen; Eliſe hatte einen geraden, ſchoͤnen Wuchs, und nun die druͤckende Leidensgeſtalt — es war kaum auszuhal- ten; bei allem dem war es ſchlechterdings unmoͤglich, aus
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ſchreiblich zu Muthe: auf der einen Seite nunmehr ſolche Er-
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ſten uͤberſteigen, und auf der andern auch Erwartungen von
nie erhoͤrten Truͤbſalen und Leiden, die der bevorſtehende große
Kampf unvermeidlich mit ſich bringen wuͤrde. Ja, wahrlich!
eine Gemuͤthsverfaſſung, deren Gewalt einen Mann, der in
ſeinem Leben ſo viel gearbeitet hatte, und noch arbeitete, leicht
haͤtte zu Boden druͤcken koͤnnen, wenn ihn nicht die Vorſehung
zu wichtigen Zwecken haͤtte aufbewahren wollen!
Man ſollte denken, das ſey nun ſchon Schmelzfeuer genug
geweſen, allein gerade jetzt in dieſer Angſtzeit kam noch eine
beſondere Glut hinzu, die der große Schmelzer, aus ihm
allein bekannten Urſachen, zu veranſtalten noͤthig fand; ich
habe oben erinnert, daß Eliſe durch Schrecken, in einem
durch Krankheit geſchwaͤchten Zuſtand, ein Zucken des Kopfs
nach der rechten Seite bekommen habe; bis daher war dieß
Uebel nicht ſehr bedeutend geweſen, aber jetzt wurde es fuͤr
die gute Seele und ihren Mann fuͤrchterlich und ſchrecklich:
denn des andern Tages ihrer Anweſenheit in Frankfurt
entſtand ein ſchreckenvoller Allarm, die Franzoſen ſeyen im
Anmarſch — der Magiſtrat verſammelte ſich auf dem Roͤ-
mer, Waſſertonen wurden gefuͤllt, um bei dem Bombarde-
ment den Brand loͤſchen zu koͤnnen, u. ſ. w., mit Einem
Wort: der allgemeine Schrecken war unbeſchreiblich; fuͤr
Eliſe kam aber nun noch ein beſonderer Umſtand hinzu;
die Univerſitaͤt Marburg iſt ein Heſſiſcher Landſtand, Stil-
ling war ihr Prorector, und ihr Landesherr im Krieg mit
Frankreich. Es war alſo nichts wahrſcheinlicher, als daß
die Franzoſen bei ihrem Einfall in Frankfurt, Stilling
als Geißel nach Frankreich ſchicken wuͤrden. Dieß war
fuͤr Eliſe, die ihren Mann zaͤrtlich liebte, zu viel; jetzt zuckte
der Kopf beſtaͤndig nach der rechten Schulter, und der ganze
obere Koͤrper wurde dadurch verzogen — Eliſe litt ſehr da-
bei, und Stilling glaubte in all’ dem Jammer vergehen
zu muͤſſen; Eliſe hatte einen geraden, ſchoͤnen Wuchs, und
nun die druͤckende Leidensgeſtalt — es war kaum auszuhal-
ten; bei allem dem war es ſchlechterdings unmoͤglich, aus
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/485>, abgerufen am 22.11.2024.
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