chen, Lubeka, an den Folgen der Rötheln, und im Verfolg kamen noch bitterere Leiden hinzu.
Den folgenden Sommer im Julius schrieb ihm Lava- ter, daß er auf seiner Rückreise von Kopenhagen durch Marburg kommen und ihn besuchen würde; dieß erfüllte ihn mit wahrer Freude: er hatte diesen Freund seines Her- zens gerade vor zwanzig Jahren in Elberfeld, und also in seinem Leben nur einmal gesehen, aber doch zu Zeiten ver- trauliche Briefe mit ihm gewechselt. Es war ihm äußerst wichtig, sich mit diesem merkwürdigen Zeugen der Wahrheit einmal wieder mündlich zu unterhalten, und über Vieles mit ihm auszure- den, das für Briefe zu beschwerlich und zu weitläufig ist. La- vater kam mit seiner frommen, liebenswürdigen Tochter, der jetzigen Frau Pfarrerin Geßner in Zürich, an einem Sonn- tag Nachmittag in Marburg an. Stilling ging ihm ungefähr eine Stunde weit entgegen. Lavater blieb da bis des andern Morgens früh, wo er dann seine Reise fortsetzte.
Man wird sich schwerlich aus der ganzen Geschichte eines Gelehrten erinnern, der so viel Aufsehen erregte, und so weniges doch erregen wollte, als Lavater: als am Abend in Stil- lings Haus gespeist wurde, so war der Platz vor dem Hause gedrängt voller Menschen und auswärts an den Fenstern ein Kopf am andern. Er war aber auch in mancher Rücksicht ein merkwürdiger Mann, ein großer Zeuge der Wahrheit von Jesu Christo. Zwischen Lavater und Stilling wurde nun das Bruderband noch enger geknüpft; sie stärkten sich einer am andern, und beschloßen, sich weder durch Tod, noch durch Leben, weder durch Schmach, noch durch Schande, von dem jetzt so verachteten und gehaßten Christus abwendig machen zu lassen.
Bald nachher erfolgte dann das bittere Leiden, dessen ich oben gedacht habe; es war eine heiße Prüfung: Stilling hatte den Gebrauch, daß er in den Pfingstferien mit seinen Zuhörern nach Cassel ging, um ihnen auf Wilhelms- höhe die ausländischen Holzarten zu zeigen. Dieß geschah vorzüglich um derer willen, die die Forstwissenschaft studirten; indessen gingen auch viele Andere mit, um auch die übrigen
chen, Lubeka, an den Folgen der Roͤtheln, und im Verfolg kamen noch bitterere Leiden hinzu.
Den folgenden Sommer im Julius ſchrieb ihm Lava- ter, daß er auf ſeiner Ruͤckreiſe von Kopenhagen durch Marburg kommen und ihn beſuchen wuͤrde; dieß erfuͤllte ihn mit wahrer Freude: er hatte dieſen Freund ſeines Her- zens gerade vor zwanzig Jahren in Elberfeld, und alſo in ſeinem Leben nur einmal geſehen, aber doch zu Zeiten ver- trauliche Briefe mit ihm gewechſelt. Es war ihm aͤußerſt wichtig, ſich mit dieſem merkwuͤrdigen Zeugen der Wahrheit einmal wieder muͤndlich zu unterhalten, und uͤber Vieles mit ihm auszure- den, das fuͤr Briefe zu beſchwerlich und zu weitlaͤufig iſt. La- vater kam mit ſeiner frommen, liebenswuͤrdigen Tochter, der jetzigen Frau Pfarrerin Geßner in Zuͤrich, an einem Sonn- tag Nachmittag in Marburg an. Stilling ging ihm ungefaͤhr eine Stunde weit entgegen. Lavater blieb da bis des andern Morgens fruͤh, wo er dann ſeine Reiſe fortſetzte.
Man wird ſich ſchwerlich aus der ganzen Geſchichte eines Gelehrten erinnern, der ſo viel Aufſehen erregte, und ſo weniges doch erregen wollte, als Lavater: als am Abend in Stil- lings Haus geſpeist wurde, ſo war der Platz vor dem Hauſe gedraͤngt voller Menſchen und auswaͤrts an den Fenſtern ein Kopf am andern. Er war aber auch in mancher Ruͤckſicht ein merkwuͤrdiger Mann, ein großer Zeuge der Wahrheit von Jeſu Chriſto. Zwiſchen Lavater und Stilling wurde nun das Bruderband noch enger geknuͤpft; ſie ſtaͤrkten ſich einer am andern, und beſchloßen, ſich weder durch Tod, noch durch Leben, weder durch Schmach, noch durch Schande, von dem jetzt ſo verachteten und gehaßten Chriſtus abwendig machen zu laſſen.
Bald nachher erfolgte dann das bittere Leiden, deſſen ich oben gedacht habe; es war eine heiße Pruͤfung: Stilling hatte den Gebrauch, daß er in den Pfingſtferien mit ſeinen Zuhoͤrern nach Caſſel ging, um ihnen auf Wilhelms- hoͤhe die auslaͤndiſchen Holzarten zu zeigen. Dieß geſchah vorzuͤglich um derer willen, die die Forſtwiſſenſchaft ſtudirten; indeſſen gingen auch viele Andere mit, um auch die uͤbrigen
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chen, Lubeka, an den Folgen der Roͤtheln, und im Verfolg
kamen noch bitterere Leiden hinzu.
Den folgenden Sommer im Julius ſchrieb ihm Lava-
ter, daß er auf ſeiner Ruͤckreiſe von Kopenhagen durch
Marburg kommen und ihn beſuchen wuͤrde; dieß erfuͤllte
ihn mit wahrer Freude: er hatte dieſen Freund ſeines Her-
zens gerade vor zwanzig Jahren in Elberfeld, und alſo in
ſeinem Leben nur einmal geſehen, aber doch zu Zeiten ver-
trauliche Briefe mit ihm gewechſelt. Es war ihm aͤußerſt wichtig,
ſich mit dieſem merkwuͤrdigen Zeugen der Wahrheit einmal wieder
muͤndlich zu unterhalten, und uͤber Vieles mit ihm auszure-
den, das fuͤr Briefe zu beſchwerlich und zu weitlaͤufig iſt. La-
vater kam mit ſeiner frommen, liebenswuͤrdigen Tochter, der
jetzigen Frau Pfarrerin Geßner in Zuͤrich, an einem Sonn-
tag Nachmittag in Marburg an. Stilling ging ihm
ungefaͤhr eine Stunde weit entgegen. Lavater blieb da bis
des andern Morgens fruͤh, wo er dann ſeine Reiſe fortſetzte.
Man wird ſich ſchwerlich aus der ganzen Geſchichte eines
Gelehrten erinnern, der ſo viel Aufſehen erregte, und ſo weniges
doch erregen wollte, als Lavater: als am Abend in Stil-
lings Haus geſpeist wurde, ſo war der Platz vor dem Hauſe
gedraͤngt voller Menſchen und auswaͤrts an den Fenſtern ein
Kopf am andern. Er war aber auch in mancher Ruͤckſicht
ein merkwuͤrdiger Mann, ein großer Zeuge der Wahrheit von
Jeſu Chriſto. Zwiſchen Lavater und Stilling wurde
nun das Bruderband noch enger geknuͤpft; ſie ſtaͤrkten ſich
einer am andern, und beſchloßen, ſich weder durch Tod, noch
durch Leben, weder durch Schmach, noch durch Schande, von
dem jetzt ſo verachteten und gehaßten Chriſtus abwendig
machen zu laſſen.
Bald nachher erfolgte dann das bittere Leiden, deſſen ich
oben gedacht habe; es war eine heiße Pruͤfung: Stilling
hatte den Gebrauch, daß er in den Pfingſtferien mit ſeinen
Zuhoͤrern nach Caſſel ging, um ihnen auf Wilhelms-
hoͤhe die auslaͤndiſchen Holzarten zu zeigen. Dieß geſchah
vorzuͤglich um derer willen, die die Forſtwiſſenſchaft ſtudirten;
indeſſen gingen auch viele Andere mit, um auch die uͤbrigen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/496>, abgerufen am 22.11.2024.
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