Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

nem freien Belieben; endlich trat Kraft auf die Kanzel --
der Offizier sah hinauf, so wie man eben sieht, wenn man
nicht weiß, ob man gesehen hat. Kraft betete -- der Offi-
zier sah ein paarmal hinauf, ließ es aber doch dabei bewen-
den. Kraft predigte, aber nun wurde endlich der Kopf des
Offiziers beweglich, seine Augen waren starr auf den Prediger
gerichtet, und der Mund war weit offen, um Alles zu ver-
schlingen, was Kraft aus dem guten Schatz seines Herzens
vorbrachte; so wie er Amen sagte, wandte sich der Offizier
zu mir und sagte: So habe ich in meinem Leben nicht Pre-
gen hören!

Kraft war ein mit Weisheit begabter Mann, und in al-
len seinen Handlungen konsequent -- er war ein unaussprech-
licher warmer Liebhaber des Erlösers, und auch ein eben so
treuer Nachfolger desselben. Er war unbeschreiblich wohlthä-
tig und darin war dann auch seine fromme Gattin seine treue
Gehülfin; wenn es darauf ankam, und wohl angewendet war,
so konnte er mit Freuden hundert Gulden hingeben, und das
auf eine so angenehme Art, daß es heraus kam, als ob man
ihm den größten Gefallen erzeigte, wenn man's ihm abnähme.
In seinen Studenten-Jahren sprach ihn ein armer Mann um
ein Almosen an, er hatte kein Geld bei sich, flugs nahm er
seine silberne Schnallen von den Schuhen, und gab sie dem
Armen. Ohnerachtet er sehr orthodox war, so war er doch
der toleranteste Mann von der Welt, höflich und gastfrei im
höchsten Grade.

In Gesellschaften war Kraft munter, angenehm, scherzhaft
und witzig; als er im Jahr 1792 auf Ostern Stilling
besuchte, und dieser an einem Abend eine Gesellschaft guter
Freunde zum Essen gebeten hatte, so gerieth das Gespräch auf
die Rentkammern der deutschen Fürsten, und auf die verderb-
lichen Grundsätze, welche hin und wieder zum größten Nach-
theil der Regenten und ihrer Unterthanen, darin herrschend
würden; endlich fing Kraft, der bisher geschwiegen hatte,
mit seinem gewöhnlichen Pathos an, und sagte: Wenn
sie auch sagen werden, Christus sey in der Kam-
mer, so sollt ihr ihnen nicht glauben
.


nem freien Belieben; endlich trat Kraft auf die Kanzel —
der Offizier ſah hinauf, ſo wie man eben ſieht, wenn man
nicht weiß, ob man geſehen hat. Kraft betete — der Offi-
zier ſah ein paarmal hinauf, ließ es aber doch dabei bewen-
den. Kraft predigte, aber nun wurde endlich der Kopf des
Offiziers beweglich, ſeine Augen waren ſtarr auf den Prediger
gerichtet, und der Mund war weit offen, um Alles zu ver-
ſchlingen, was Kraft aus dem guten Schatz ſeines Herzens
vorbrachte; ſo wie er Amen ſagte, wandte ſich der Offizier
zu mir und ſagte: So habe ich in meinem Leben nicht Pre-
gen hoͤren!

Kraft war ein mit Weisheit begabter Mann, und in al-
len ſeinen Handlungen konſequent — er war ein unausſprech-
licher warmer Liebhaber des Erloͤſers, und auch ein eben ſo
treuer Nachfolger deſſelben. Er war unbeſchreiblich wohlthaͤ-
tig und darin war dann auch ſeine fromme Gattin ſeine treue
Gehuͤlfin; wenn es darauf ankam, und wohl angewendet war,
ſo konnte er mit Freuden hundert Gulden hingeben, und das
auf eine ſo angenehme Art, daß es heraus kam, als ob man
ihm den groͤßten Gefallen erzeigte, wenn man’s ihm abnaͤhme.
In ſeinen Studenten-Jahren ſprach ihn ein armer Mann um
ein Almoſen an, er hatte kein Geld bei ſich, flugs nahm er
ſeine ſilberne Schnallen von den Schuhen, und gab ſie dem
Armen. Ohnerachtet er ſehr orthodox war, ſo war er doch
der toleranteſte Mann von der Welt, hoͤflich und gaſtfrei im
hoͤchſten Grade.

In Geſellſchaften war Kraft munter, angenehm, ſcherzhaft
und witzig; als er im Jahr 1792 auf Oſtern Stilling
beſuchte, und dieſer an einem Abend eine Geſellſchaft guter
Freunde zum Eſſen gebeten hatte, ſo gerieth das Geſpraͤch auf
die Rentkammern der deutſchen Fuͤrſten, und auf die verderb-
lichen Grundſaͤtze, welche hin und wieder zum groͤßten Nach-
theil der Regenten und ihrer Unterthanen, darin herrſchend
wuͤrden; endlich fing Kraft, der bisher geſchwiegen hatte,
mit ſeinem gewoͤhnlichen Pathos an, und ſagte: Wenn
ſie auch ſagen werden, Chriſtus ſey in der Kam-
mer, ſo ſollt ihr ihnen nicht glauben
.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0501" n="493"/>
nem freien Belieben; endlich trat <hi rendition="#g">Kraft</hi> auf die Kanzel &#x2014;<lb/>
der Offizier &#x017F;ah hinauf, &#x017F;o wie man eben &#x017F;ieht, wenn man<lb/>
nicht weiß, ob man ge&#x017F;ehen hat. <hi rendition="#g">Kraft</hi> betete &#x2014; der Offi-<lb/>
zier &#x017F;ah ein paarmal hinauf, ließ es aber doch dabei bewen-<lb/>
den. <hi rendition="#g">Kraft</hi> predigte, aber nun wurde endlich der Kopf des<lb/>
Offiziers beweglich, &#x017F;eine Augen waren &#x017F;tarr auf den Prediger<lb/>
gerichtet, und der Mund war weit offen, um Alles zu ver-<lb/>
&#x017F;chlingen, was <hi rendition="#g">Kraft</hi> aus dem guten Schatz &#x017F;eines Herzens<lb/>
vorbrachte; &#x017F;o wie er Amen &#x017F;agte, wandte &#x017F;ich der Offizier<lb/>
zu mir und &#x017F;agte: So habe ich in meinem Leben nicht Pre-<lb/>
gen ho&#x0364;ren!</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Kraft</hi> war ein mit Weisheit begabter Mann, und in al-<lb/>
len &#x017F;einen Handlungen kon&#x017F;equent &#x2014; er war ein unaus&#x017F;prech-<lb/>
licher warmer Liebhaber des Erlo&#x0364;&#x017F;ers, und auch ein eben &#x017F;o<lb/>
treuer Nachfolger de&#x017F;&#x017F;elben. Er war unbe&#x017F;chreiblich wohltha&#x0364;-<lb/>
tig und darin war dann auch &#x017F;eine fromme Gattin &#x017F;eine treue<lb/>
Gehu&#x0364;lfin; wenn es darauf ankam, und wohl angewendet war,<lb/>
&#x017F;o konnte er mit Freuden hundert Gulden hingeben, und das<lb/>
auf eine &#x017F;o angenehme Art, daß es heraus kam, als ob man<lb/>
ihm den gro&#x0364;ßten Gefallen erzeigte, wenn man&#x2019;s ihm abna&#x0364;hme.<lb/>
In &#x017F;einen Studenten-Jahren &#x017F;prach ihn ein armer Mann um<lb/>
ein Almo&#x017F;en an, er hatte kein Geld bei &#x017F;ich, flugs nahm er<lb/>
&#x017F;eine &#x017F;ilberne Schnallen von den Schuhen, und gab &#x017F;ie dem<lb/>
Armen. Ohnerachtet er &#x017F;ehr orthodox war, &#x017F;o war er doch<lb/>
der tolerante&#x017F;te Mann von der Welt, ho&#x0364;flich und ga&#x017F;tfrei im<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;ten Grade.</p><lb/>
            <p>In Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften war <hi rendition="#g">Kraft</hi> munter, angenehm, &#x017F;cherzhaft<lb/>
und witzig; als er im Jahr 1792 auf O&#x017F;tern <hi rendition="#g">Stilling</hi><lb/>
be&#x017F;uchte, und die&#x017F;er an einem Abend eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft guter<lb/>
Freunde zum E&#x017F;&#x017F;en gebeten hatte, &#x017F;o gerieth das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch auf<lb/>
die Rentkammern der deut&#x017F;chen Fu&#x0364;r&#x017F;ten, und auf die verderb-<lb/>
lichen Grund&#x017F;a&#x0364;tze, welche hin und wieder zum gro&#x0364;ßten Nach-<lb/>
theil der Regenten und ihrer Unterthanen, darin herr&#x017F;chend<lb/>
wu&#x0364;rden; endlich fing <hi rendition="#g">Kraft</hi>, der bisher ge&#x017F;chwiegen hatte,<lb/>
mit &#x017F;einem gewo&#x0364;hnlichen <hi rendition="#g">Pathos</hi> an, und &#x017F;agte: <hi rendition="#g">Wenn<lb/>
&#x017F;ie auch &#x017F;agen werden, Chri&#x017F;tus &#x017F;ey in der Kam-<lb/>
mer, &#x017F;o &#x017F;ollt ihr ihnen nicht glauben</hi>.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[493/0501] nem freien Belieben; endlich trat Kraft auf die Kanzel — der Offizier ſah hinauf, ſo wie man eben ſieht, wenn man nicht weiß, ob man geſehen hat. Kraft betete — der Offi- zier ſah ein paarmal hinauf, ließ es aber doch dabei bewen- den. Kraft predigte, aber nun wurde endlich der Kopf des Offiziers beweglich, ſeine Augen waren ſtarr auf den Prediger gerichtet, und der Mund war weit offen, um Alles zu ver- ſchlingen, was Kraft aus dem guten Schatz ſeines Herzens vorbrachte; ſo wie er Amen ſagte, wandte ſich der Offizier zu mir und ſagte: So habe ich in meinem Leben nicht Pre- gen hoͤren! Kraft war ein mit Weisheit begabter Mann, und in al- len ſeinen Handlungen konſequent — er war ein unausſprech- licher warmer Liebhaber des Erloͤſers, und auch ein eben ſo treuer Nachfolger deſſelben. Er war unbeſchreiblich wohlthaͤ- tig und darin war dann auch ſeine fromme Gattin ſeine treue Gehuͤlfin; wenn es darauf ankam, und wohl angewendet war, ſo konnte er mit Freuden hundert Gulden hingeben, und das auf eine ſo angenehme Art, daß es heraus kam, als ob man ihm den groͤßten Gefallen erzeigte, wenn man’s ihm abnaͤhme. In ſeinen Studenten-Jahren ſprach ihn ein armer Mann um ein Almoſen an, er hatte kein Geld bei ſich, flugs nahm er ſeine ſilberne Schnallen von den Schuhen, und gab ſie dem Armen. Ohnerachtet er ſehr orthodox war, ſo war er doch der toleranteſte Mann von der Welt, hoͤflich und gaſtfrei im hoͤchſten Grade. In Geſellſchaften war Kraft munter, angenehm, ſcherzhaft und witzig; als er im Jahr 1792 auf Oſtern Stilling beſuchte, und dieſer an einem Abend eine Geſellſchaft guter Freunde zum Eſſen gebeten hatte, ſo gerieth das Geſpraͤch auf die Rentkammern der deutſchen Fuͤrſten, und auf die verderb- lichen Grundſaͤtze, welche hin und wieder zum groͤßten Nach- theil der Regenten und ihrer Unterthanen, darin herrſchend wuͤrden; endlich fing Kraft, der bisher geſchwiegen hatte, mit ſeinem gewoͤhnlichen Pathos an, und ſagte: Wenn ſie auch ſagen werden, Chriſtus ſey in der Kam- mer, ſo ſollt ihr ihnen nicht glauben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/501
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/501>, abgerufen am 29.05.2024.