des würdigen Conrector Kirchhofers in Schaffhausen, in der Mitte der 90ger Jahre in Marburg Theologie stu- dirt, und war in Stillings Haus so wie in seinem elter- lichen behandelt worden; jetzt war er nun Prediger zu Schlatt in seinem vaterländischen Kanton; durch dieß Verhältniß hatte sich ein inniges Freundschaftsband zwischen der Kirchhoferi- schen und der Stilling'schen Familie gebildet; die vier christlichgesinnten und sehr gebildeten Schwestern des jungen Kirchhofers, die eine große Bekanntschaft mit den wah- ren Verehrern und Verehrerinnen des Herrn durch die ganze Schweiz haben, und fleißig Briefe mit ihnen wechseln, tra- ten nun auch mit Stilling in Correspondenz, und verschaff- ten ihm eine noch größere und sehr interessante Bekanntschaft. Dieß alles bereitete nun die Reise vor, welche in Stillings bisherigem Leben bei weitem die wichtigste und bedeutendste war.
Im März dieses 1801sten Jahres bekam er ganz unerwar- tet einen Brief von seinem Herzensfreund, dem Pfarrer Sul- zer aus Winterthur, der ein Bruders-Sohn des berühmten Berliner Gelehrten dieses Namens ist; in welchem er ge- fragt wurde: ob er wohl dieses Frühjahr nach Winterthur kommen, und eine sehr ehrwürdige Matrone, welche staarblind sey, operiren wollte? denn sie wünsche von Stilling, den sie schätzte und liebte, unter Gottes Beistand das Gesicht zu erhalten; Reisekosten und Versäumniß sollten ihm erstattet werden. Dieß Anerbieten erfüllte Stillings Seele mit Freude; und die Kinder, besonders Jakob, ahnten Glück von der Reise; bei allem dem glaubte doch Stilling, daß bei einer so großen und kostbaren Reise Vorsicht nöthig sey; er schrieb also Sulzern wieder, daß er zwar gerne kommen wolle, allein Elise müsse ihn begleiten, und weil der Postwa- gen auch die Nacht durch ginge, so könnten sie wegen Schwäch- lichkeit sich dieser Gelegenheit nicht bedienen, sondern sie müß- ten Extrapost nehmen, und dieß würde Etwas kostbar werden. Sulzer anwortete nur kurz, das Alles würde berichtiget wer- den, sie sollten nur kommen.
Jetzt hielt nun Stilling bei dem Kurfürsten um Urlaub an, und er und seine Elise rüsteten sich zu dieser äußerst
des wuͤrdigen Conrector Kirchhofers in Schaffhauſen, in der Mitte der 90ger Jahre in Marburg Theologie ſtu- dirt, und war in Stillings Haus ſo wie in ſeinem elter- lichen behandelt worden; jetzt war er nun Prediger zu Schlatt in ſeinem vaterlaͤndiſchen Kanton; durch dieß Verhaͤltniß hatte ſich ein inniges Freundſchaftsband zwiſchen der Kirchhoferi- ſchen und der Stilling’ſchen Familie gebildet; die vier chriſtlichgeſinnten und ſehr gebildeten Schweſtern des jungen Kirchhofers, die eine große Bekanntſchaft mit den wah- ren Verehrern und Verehrerinnen des Herrn durch die ganze Schweiz haben, und fleißig Briefe mit ihnen wechſeln, tra- ten nun auch mit Stilling in Correſpondenz, und verſchaff- ten ihm eine noch groͤßere und ſehr intereſſante Bekanntſchaft. Dieß alles bereitete nun die Reiſe vor, welche in Stillings bisherigem Leben bei weitem die wichtigſte und bedeutendſte war.
Im Maͤrz dieſes 1801ſten Jahres bekam er ganz unerwar- tet einen Brief von ſeinem Herzensfreund, dem Pfarrer Sul- zer aus Winterthur, der ein Bruders-Sohn des beruͤhmten Berliner Gelehrten dieſes Namens iſt; in welchem er ge- fragt wurde: ob er wohl dieſes Fruͤhjahr nach Winterthur kommen, und eine ſehr ehrwuͤrdige Matrone, welche ſtaarblind ſey, operiren wollte? denn ſie wuͤnſche von Stilling, den ſie ſchaͤtzte und liebte, unter Gottes Beiſtand das Geſicht zu erhalten; Reiſekoſten und Verſaͤumniß ſollten ihm erſtattet werden. Dieß Anerbieten erfuͤllte Stillings Seele mit Freude; und die Kinder, beſonders Jakob, ahnten Gluͤck von der Reiſe; bei allem dem glaubte doch Stilling, daß bei einer ſo großen und koſtbaren Reiſe Vorſicht noͤthig ſey; er ſchrieb alſo Sulzern wieder, daß er zwar gerne kommen wolle, allein Eliſe muͤſſe ihn begleiten, und weil der Poſtwa- gen auch die Nacht durch ginge, ſo koͤnnten ſie wegen Schwaͤch- lichkeit ſich dieſer Gelegenheit nicht bedienen, ſondern ſie muͤß- ten Extrapoſt nehmen, und dieß wuͤrde Etwas koſtbar werden. Sulzer anwortete nur kurz, das Alles wuͤrde berichtiget wer- den, ſie ſollten nur kommen.
Jetzt hielt nun Stilling bei dem Kurfuͤrſten um Urlaub an, und er und ſeine Eliſe ruͤſteten ſich zu dieſer aͤußerſt
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des wuͤrdigen Conrector Kirchhofers in Schaffhauſen,
in der Mitte der 90ger Jahre in Marburg Theologie ſtu-
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lichen behandelt worden; jetzt war er nun Prediger zu Schlatt
in ſeinem vaterlaͤndiſchen Kanton; durch dieß Verhaͤltniß hatte
ſich ein inniges Freundſchaftsband zwiſchen der Kirchhoferi-
ſchen und der Stilling’ſchen Familie gebildet; die vier
chriſtlichgeſinnten und ſehr gebildeten Schweſtern des jungen
Kirchhofers, die eine große Bekanntſchaft mit den wah-
ren Verehrern und Verehrerinnen des Herrn durch die ganze
Schweiz haben, und fleißig Briefe mit ihnen wechſeln, tra-
ten nun auch mit Stilling in Correſpondenz, und verſchaff-
ten ihm eine noch groͤßere und ſehr intereſſante Bekanntſchaft.
Dieß alles bereitete nun die Reiſe vor, welche in Stillings
bisherigem Leben bei weitem die wichtigſte und bedeutendſte war.
Im Maͤrz dieſes 1801ſten Jahres bekam er ganz unerwar-
tet einen Brief von ſeinem Herzensfreund, dem Pfarrer Sul-
zer aus Winterthur, der ein Bruders-Sohn des beruͤhmten
Berliner Gelehrten dieſes Namens iſt; in welchem er ge-
fragt wurde: ob er wohl dieſes Fruͤhjahr nach Winterthur
kommen, und eine ſehr ehrwuͤrdige Matrone, welche ſtaarblind
ſey, operiren wollte? denn ſie wuͤnſche von Stilling, den
ſie ſchaͤtzte und liebte, unter Gottes Beiſtand das Geſicht zu
erhalten; Reiſekoſten und Verſaͤumniß ſollten ihm erſtattet
werden. Dieß Anerbieten erfuͤllte Stillings Seele mit
Freude; und die Kinder, beſonders Jakob, ahnten Gluͤck von
der Reiſe; bei allem dem glaubte doch Stilling, daß bei
einer ſo großen und koſtbaren Reiſe Vorſicht noͤthig ſey; er
ſchrieb alſo Sulzern wieder, daß er zwar gerne kommen
wolle, allein Eliſe muͤſſe ihn begleiten, und weil der Poſtwa-
gen auch die Nacht durch ginge, ſo koͤnnten ſie wegen Schwaͤch-
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ten Extrapoſt nehmen, und dieß wuͤrde Etwas koſtbar werden.
Sulzer anwortete nur kurz, das Alles wuͤrde berichtiget wer-
den, ſie ſollten nur kommen.
Jetzt hielt nun Stilling bei dem Kurfuͤrſten um Urlaub
an, und er und ſeine Eliſe ruͤſteten ſich zu dieſer aͤußerſt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/535>, abgerufen am 22.11.2024.
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