der von Heidelberg kam und in Miegs Hause gewesen war, konnte Lisettchen nicht genug rühmen; ihr ganzer Charakter war Religiosität und ein ruhiger, stiller Frohsinn; abgeschieden von allen rauschenden Lustbarkeiten, lebte ihr gan- zes Wesen nur in der höheren Sphäre, und ihre bedeutende Seele hing von ganzem Herzen an ihrem Erbarmer. Diese Tochter nun einmal wieder ans Herz zu drücken, war reine und hohe Elternfreude.
Lisette hatte aber auch mit einer solchen Sehnsucht ihre Eltern erwartet, daß man sie am Abend, als Jene etwas spät ankamen, mit Wein laben mußte. Um halb neun Uhr des Abends hielten sie vor Miegs Thür; der Willkomm war unbeschreiblich. Den Montag blieben sie in Heidelberg, und den Dienstag fuhren sie bis Heilbronn; des Mitt- wochs setzten sie ihre Reise fort und kamen gegen Mittag nach Ludwigsburg; hier trafen sie im Waisenhause Stutt- garter Freunde an, die ihnen entgegen gekommen waren: nämlich den Minister von Seckendorf, mit dem Stilling seit vielen Jahren in einem christlichen Freundschafts-Verhält- niß steht; den Hofmedikus Doktor Reuß, den Regierungs- oder Hofrath Walther von Gaildorf; einen französischen Compagnie-Chirurgus, Namens Oberlin, ein Sohn des theuern Gottesmannes Oberlin im Steinthal im Elsaß, und vielleicht noch Andere mehr, deren ich mich nicht mehr erinnere; besonders aber freute sich Stilling, auch seinen alten Freund, den Waisen-Schullehrer Israel Hartmann wieder zu se- hen, von dem Lavater sagte: wenn jetzt Christus als Mensch unter uns wandelte, so würde Er ihn zum Apostel wählen. Die ganze Gesellschaft speiste zusammen im Wai- senhause, es war Jedem innig wohl: es ist etwas Großes um eine Gesellschaft lauter guter Menschen -- Elise setzte sich neben den ehrwürdigen Greis Hartmann, sie konnte sich nicht satt an ihm sehen und ihm nicht genug zuhören, sie fand Aehnlichkeit zwischen ihm und dem seligen Vater Coing. Zwischen dem Hofmedikus Reuß, seiner Gattin, Stilling und Elisen knüpfte sich ein genaues Freund- schaftsband auf Zeit und Ewigkeit. Den Nachmittag fuhren
der von Heidelberg kam und in Miegs Hauſe geweſen war, konnte Liſettchen nicht genug ruͤhmen; ihr ganzer Charakter war Religioſitaͤt und ein ruhiger, ſtiller Frohſinn; abgeſchieden von allen rauſchenden Luſtbarkeiten, lebte ihr gan- zes Weſen nur in der hoͤheren Sphaͤre, und ihre bedeutende Seele hing von ganzem Herzen an ihrem Erbarmer. Dieſe Tochter nun einmal wieder ans Herz zu druͤcken, war reine und hohe Elternfreude.
Liſette hatte aber auch mit einer ſolchen Sehnſucht ihre Eltern erwartet, daß man ſie am Abend, als Jene etwas ſpaͤt ankamen, mit Wein laben mußte. Um halb neun Uhr des Abends hielten ſie vor Miegs Thuͤr; der Willkomm war unbeſchreiblich. Den Montag blieben ſie in Heidelberg, und den Dienſtag fuhren ſie bis Heilbronn; des Mitt- wochs ſetzten ſie ihre Reiſe fort und kamen gegen Mittag nach Ludwigsburg; hier trafen ſie im Waiſenhauſe Stutt- garter Freunde an, die ihnen entgegen gekommen waren: naͤmlich den Miniſter von Seckendorf, mit dem Stilling ſeit vielen Jahren in einem chriſtlichen Freundſchafts-Verhaͤlt- niß ſteht; den Hofmedikus Doktor Reuß, den Regierungs- oder Hofrath Walther von Gaildorf; einen franzoͤſiſchen Compagnie-Chirurgus, Namens Oberlin, ein Sohn des theuern Gottesmannes Oberlin im Steinthal im Elſaß, und vielleicht noch Andere mehr, deren ich mich nicht mehr erinnere; beſonders aber freute ſich Stilling, auch ſeinen alten Freund, den Waiſen-Schullehrer Iſrael Hartmann wieder zu ſe- hen, von dem Lavater ſagte: wenn jetzt Chriſtus als Menſch unter uns wandelte, ſo wuͤrde Er ihn zum Apoſtel waͤhlen. Die ganze Geſellſchaft ſpeiste zuſammen im Wai- ſenhauſe, es war Jedem innig wohl: es iſt etwas Großes um eine Geſellſchaft lauter guter Menſchen — Eliſe ſetzte ſich neben den ehrwuͤrdigen Greis Hartmann, ſie konnte ſich nicht ſatt an ihm ſehen und ihm nicht genug zuhoͤren, ſie fand Aehnlichkeit zwiſchen ihm und dem ſeligen Vater Coing. Zwiſchen dem Hofmedikus Reuß, ſeiner Gattin, Stilling und Eliſen knuͤpfte ſich ein genaues Freund- ſchaftsband auf Zeit und Ewigkeit. Den Nachmittag fuhren
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0537"n="529"/>
der von <hirendition="#g">Heidelberg</hi> kam und in <hirendition="#g">Miegs</hi> Hauſe geweſen<lb/>
war, konnte <hirendition="#g">Liſettchen</hi> nicht genug ruͤhmen; ihr ganzer<lb/>
Charakter war Religioſitaͤt und ein ruhiger, ſtiller Frohſinn;<lb/>
abgeſchieden von allen rauſchenden Luſtbarkeiten, lebte ihr gan-<lb/>
zes Weſen nur in der hoͤheren Sphaͤre, und ihre bedeutende<lb/>
Seele hing von ganzem Herzen an ihrem Erbarmer. Dieſe<lb/>
Tochter nun einmal wieder ans Herz zu druͤcken, war reine<lb/>
und hohe Elternfreude.</p><lb/><p><hirendition="#g">Liſette</hi> hatte aber auch mit einer ſolchen Sehnſucht ihre<lb/>
Eltern erwartet, daß man ſie am Abend, als Jene etwas ſpaͤt<lb/>
ankamen, mit Wein laben mußte. Um halb neun Uhr des<lb/>
Abends hielten ſie vor <hirendition="#g">Miegs Thuͤr</hi>; der Willkomm war<lb/>
unbeſchreiblich. Den Montag blieben ſie in <hirendition="#g">Heidelberg</hi>,<lb/>
und den Dienſtag fuhren ſie bis <hirendition="#g">Heilbronn</hi>; des Mitt-<lb/>
wochs ſetzten ſie ihre Reiſe fort und kamen gegen Mittag nach<lb/><hirendition="#g">Ludwigsburg</hi>; hier trafen ſie im Waiſenhauſe <hirendition="#g">Stutt-<lb/>
garter</hi> Freunde an, die ihnen entgegen gekommen waren:<lb/>
naͤmlich den Miniſter von <hirendition="#g">Seckendorf</hi>, mit dem <hirendition="#g">Stilling</hi><lb/>ſeit vielen Jahren in einem chriſtlichen Freundſchafts-Verhaͤlt-<lb/>
niß ſteht; den Hofmedikus Doktor <hirendition="#g">Reuß</hi>, den Regierungs-<lb/>
oder Hofrath <hirendition="#g">Walther</hi> von <hirendition="#g">Gaildorf</hi>; einen franzoͤſiſchen<lb/>
Compagnie-Chirurgus, Namens <hirendition="#g">Oberlin</hi>, ein Sohn des theuern<lb/>
Gottesmannes <hirendition="#g">Oberlin</hi> im <hirendition="#g">Steinthal</hi> im <hirendition="#g">Elſaß</hi>, und<lb/>
vielleicht noch Andere mehr, deren ich mich nicht mehr erinnere;<lb/>
beſonders aber freute ſich <hirendition="#g">Stilling</hi>, auch ſeinen alten Freund,<lb/>
den Waiſen-Schullehrer <hirendition="#g">Iſrael Hartmann</hi> wieder zu ſe-<lb/>
hen, von dem <hirendition="#g">Lavater</hi>ſagte: wenn jetzt <hirendition="#g">Chriſtus</hi> als<lb/>
Menſch unter uns wandelte, ſo wuͤrde Er ihn zum Apoſtel<lb/>
waͤhlen. Die ganze Geſellſchaft ſpeiste zuſammen im Wai-<lb/>ſenhauſe, es war Jedem innig wohl: es iſt etwas Großes<lb/>
um eine Geſellſchaft lauter guter Menſchen —<hirendition="#g">Eliſe</hi>ſetzte<lb/>ſich neben den ehrwuͤrdigen Greis <hirendition="#g">Hartmann</hi>, ſie konnte<lb/>ſich nicht ſatt an ihm ſehen und ihm nicht genug zuhoͤren,<lb/>ſie fand Aehnlichkeit zwiſchen ihm und dem ſeligen Vater<lb/><hirendition="#g">Coing</hi>. Zwiſchen dem Hofmedikus <hirendition="#g">Reuß</hi>, ſeiner Gattin,<lb/><hirendition="#g">Stilling</hi> und <hirendition="#g">Eliſen</hi> knuͤpfte ſich ein genaues Freund-<lb/>ſchaftsband auf Zeit und Ewigkeit. Den Nachmittag fuhren<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[529/0537]
der von Heidelberg kam und in Miegs Hauſe geweſen
war, konnte Liſettchen nicht genug ruͤhmen; ihr ganzer
Charakter war Religioſitaͤt und ein ruhiger, ſtiller Frohſinn;
abgeſchieden von allen rauſchenden Luſtbarkeiten, lebte ihr gan-
zes Weſen nur in der hoͤheren Sphaͤre, und ihre bedeutende
Seele hing von ganzem Herzen an ihrem Erbarmer. Dieſe
Tochter nun einmal wieder ans Herz zu druͤcken, war reine
und hohe Elternfreude.
Liſette hatte aber auch mit einer ſolchen Sehnſucht ihre
Eltern erwartet, daß man ſie am Abend, als Jene etwas ſpaͤt
ankamen, mit Wein laben mußte. Um halb neun Uhr des
Abends hielten ſie vor Miegs Thuͤr; der Willkomm war
unbeſchreiblich. Den Montag blieben ſie in Heidelberg,
und den Dienſtag fuhren ſie bis Heilbronn; des Mitt-
wochs ſetzten ſie ihre Reiſe fort und kamen gegen Mittag nach
Ludwigsburg; hier trafen ſie im Waiſenhauſe Stutt-
garter Freunde an, die ihnen entgegen gekommen waren:
naͤmlich den Miniſter von Seckendorf, mit dem Stilling
ſeit vielen Jahren in einem chriſtlichen Freundſchafts-Verhaͤlt-
niß ſteht; den Hofmedikus Doktor Reuß, den Regierungs-
oder Hofrath Walther von Gaildorf; einen franzoͤſiſchen
Compagnie-Chirurgus, Namens Oberlin, ein Sohn des theuern
Gottesmannes Oberlin im Steinthal im Elſaß, und
vielleicht noch Andere mehr, deren ich mich nicht mehr erinnere;
beſonders aber freute ſich Stilling, auch ſeinen alten Freund,
den Waiſen-Schullehrer Iſrael Hartmann wieder zu ſe-
hen, von dem Lavater ſagte: wenn jetzt Chriſtus als
Menſch unter uns wandelte, ſo wuͤrde Er ihn zum Apoſtel
waͤhlen. Die ganze Geſellſchaft ſpeiste zuſammen im Wai-
ſenhauſe, es war Jedem innig wohl: es iſt etwas Großes
um eine Geſellſchaft lauter guter Menſchen — Eliſe ſetzte
ſich neben den ehrwuͤrdigen Greis Hartmann, ſie konnte
ſich nicht ſatt an ihm ſehen und ihm nicht genug zuhoͤren,
ſie fand Aehnlichkeit zwiſchen ihm und dem ſeligen Vater
Coing. Zwiſchen dem Hofmedikus Reuß, ſeiner Gattin,
Stilling und Eliſen knuͤpfte ſich ein genaues Freund-
ſchaftsband auf Zeit und Ewigkeit. Den Nachmittag fuhren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/537>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.