Schwiegerlöchtern der Frau Frey ein ewiges und enges Schwesterbündniß.
Stilling operirte diese liebe Frau des folgenden Tages vollkommen glücklich, sie bekam hernach eine Entzündung an's rechte Auge, aber mit dem linken sieht sie, Gott Lob! recht gut.
Stillings Aufenthalt in Winterthur war außeror- dentlich gedrängt voll von Geschäften: täglich machte er meh- rere Operationen, und Hunderte von Leidenden kamen, um sich bei ihm Raths zu erholen; dazu kam nun noch sein un- endlich quälender Magenkrampf, wodurch ihm jeder Genuß jeder Art auf das bitterste versalzen wurde. Indessen kam doch Frei- tags den 10. April ein Besuch, der auf eine kurze Zeit den Magenkrampf überwog: Lavaters frommer Bruder, der Rathsherr Diethelm Lavater, ein sehr geschickter Arzt, dann der liebe christlichfrohe Geßner, Lavaters Schwie- gersohn, und Louise, die unermüdete Pflegerin und Wär- terin ihres verklärten Vaters, und dann noch eine erhabene Kreuzträgerin, eine Wittwe Fueßli von Zürich, die nun auch schon unter den Harfenspielern am Kristallmeer ins Halle- lujah mit einstimmt. Diese vier Lieben traten in Stil- lings Zimmer. So wird es uns dereinst seyn, wenn wir überwunden haben und in den Lichtgefilden des Reichs Got- tes anlangen; die Seligen der Vorzeit, unsere lieben Voran- gegangenen, und alle die großen Heiligen, die wir hienieden so sehr wünschten gekannt zu haben, werden zu unserer Um- armung herbeieilen und dann den Herrn selbst -- mit seinen strahlenden Wunden zu sehen --! -- die Feder entfällt mir.
Diese Lieben blieben über Mittwoch da, und reisten dann wieder nach Zürich zurück.
Montags, den 13. April, reiste Stilling in Sulzers, des jungen Kirchhofers von Schaffhausen, und oben- gedachter Frau Fueßli Begleitung nach Zürich, um die dortigen Freunde, und dann auch einen Staarblinden zu be- sehen, der ihn erwartete; dieser war der berühmte Fabrikant und Handelsmann Eßlinger, dessen fromme und wohlthä- tige Gesinnung allgemein bekannt ist, und nun auch schon droben im Reich des Lichts ihre Vergeltung empfängt. Eß-
Stilling's sämmtl. Schriften. I. Baud. 35
Schwiegerloͤchtern der Frau Frey ein ewiges und enges Schweſterbuͤndniß.
Stilling operirte dieſe liebe Frau des folgenden Tages vollkommen gluͤcklich, ſie bekam hernach eine Entzuͤndung an’s rechte Auge, aber mit dem linken ſieht ſie, Gott Lob! recht gut.
Stillings Aufenthalt in Winterthur war außeror- dentlich gedraͤngt voll von Geſchaͤften: taͤglich machte er meh- rere Operationen, und Hunderte von Leidenden kamen, um ſich bei ihm Raths zu erholen; dazu kam nun noch ſein un- endlich quaͤlender Magenkrampf, wodurch ihm jeder Genuß jeder Art auf das bitterſte verſalzen wurde. Indeſſen kam doch Frei- tags den 10. April ein Beſuch, der auf eine kurze Zeit den Magenkrampf uͤberwog: Lavaters frommer Bruder, der Rathsherr Diethelm Lavater, ein ſehr geſchickter Arzt, dann der liebe chriſtlichfrohe Geßner, Lavaters Schwie- gerſohn, und Louiſe, die unermuͤdete Pflegerin und Waͤr- terin ihres verklaͤrten Vaters, und dann noch eine erhabene Kreuztraͤgerin, eine Wittwe Fueßli von Zuͤrich, die nun auch ſchon unter den Harfenſpielern am Kriſtallmeer ins Halle- lujah mit einſtimmt. Dieſe vier Lieben traten in Stil- lings Zimmer. So wird es uns dereinſt ſeyn, wenn wir uͤberwunden haben und in den Lichtgefilden des Reichs Got- tes anlangen; die Seligen der Vorzeit, unſere lieben Voran- gegangenen, und alle die großen Heiligen, die wir hienieden ſo ſehr wuͤnſchten gekannt zu haben, werden zu unſerer Um- armung herbeieilen und dann den Herrn ſelbſt — mit ſeinen ſtrahlenden Wunden zu ſehen —! — die Feder entfaͤllt mir.
Dieſe Lieben blieben uͤber Mittwoch da, und reisten dann wieder nach Zuͤrich zuruͤck.
Montags, den 13. April, reiste Stilling in Sulzers, des jungen Kirchhofers von Schaffhauſen, und oben- gedachter Frau Fueßli Begleitung nach Zuͤrich, um die dortigen Freunde, und dann auch einen Staarblinden zu be- ſehen, der ihn erwartete; dieſer war der beruͤhmte Fabrikant und Handelsmann Eßlinger, deſſen fromme und wohlthaͤ- tige Geſinnung allgemein bekannt iſt, und nun auch ſchon droben im Reich des Lichts ihre Vergeltung empfaͤngt. Eß-
Stilling’s ſämmtl. Schriften. I. Baud. 35
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Schwiegerloͤchtern der Frau Frey ein ewiges und enges
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Stilling operirte dieſe liebe Frau des folgenden Tages
vollkommen gluͤcklich, ſie bekam hernach eine Entzuͤndung an’s
rechte Auge, aber mit dem linken ſieht ſie, Gott Lob! recht gut.
Stillings Aufenthalt in Winterthur war außeror-
dentlich gedraͤngt voll von Geſchaͤften: taͤglich machte er meh-
rere Operationen, und Hunderte von Leidenden kamen, um
ſich bei ihm Raths zu erholen; dazu kam nun noch ſein un-
endlich quaͤlender Magenkrampf, wodurch ihm jeder Genuß jeder
Art auf das bitterſte verſalzen wurde. Indeſſen kam doch Frei-
tags den 10. April ein Beſuch, der auf eine kurze Zeit den
Magenkrampf uͤberwog: Lavaters frommer Bruder, der
Rathsherr Diethelm Lavater, ein ſehr geſchickter Arzt,
dann der liebe chriſtlichfrohe Geßner, Lavaters Schwie-
gerſohn, und Louiſe, die unermuͤdete Pflegerin und Waͤr-
terin ihres verklaͤrten Vaters, und dann noch eine erhabene
Kreuztraͤgerin, eine Wittwe Fueßli von Zuͤrich, die nun auch
ſchon unter den Harfenſpielern am Kriſtallmeer ins Halle-
lujah mit einſtimmt. Dieſe vier Lieben traten in Stil-
lings Zimmer. So wird es uns dereinſt ſeyn, wenn wir
uͤberwunden haben und in den Lichtgefilden des Reichs Got-
tes anlangen; die Seligen der Vorzeit, unſere lieben Voran-
gegangenen, und alle die großen Heiligen, die wir hienieden
ſo ſehr wuͤnſchten gekannt zu haben, werden zu unſerer Um-
armung herbeieilen und dann den Herrn ſelbſt — mit ſeinen
ſtrahlenden Wunden zu ſehen —! — die Feder entfaͤllt mir.
Dieſe Lieben blieben uͤber Mittwoch da, und reisten dann
wieder nach Zuͤrich zuruͤck.
Montags, den 13. April, reiste Stilling in Sulzers,
des jungen Kirchhofers von Schaffhauſen, und oben-
gedachter Frau Fueßli Begleitung nach Zuͤrich, um die
dortigen Freunde, und dann auch einen Staarblinden zu be-
ſehen, der ihn erwartete; dieſer war der beruͤhmte Fabrikant
und Handelsmann Eßlinger, deſſen fromme und wohlthaͤ-
tige Geſinnung allgemein bekannt iſt, und nun auch ſchon
droben im Reich des Lichts ihre Vergeltung empfaͤngt. Eß-
Stilling’s ſämmtl. Schriften. I. Baud. 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/541>, abgerufen am 22.11.2024.
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