Ersuchen, um neun Uhr zu Ihm zu kommen, und den Mittag zur Tafel zu bleiben.
Diesem Befehl zufolge, und so vorbereitet, ging also Stil- ling um neun Uhr ins Schloß: er wurde augenblicklich vor- gelassen, und sehr gnädig empfangen. Nach einigen Wortwechse- lungen fühlte Stilling die Freimüthigkeit in sich, seinen Sohn zu empfehlen; er machte vorher die Vorbereitung, daß er sagte: es sey nichts schwerer für ihn, als Fürsten, die Gnade für ihn hätten, Anträge von der Art zu machen, allein seine Umstände und seine Lage drängten ihn so, daß er jetzt einmal eine Aus- nahme von der Regel machen mußte. Hierauf schilderte er nun seinen Sohn nach der Wahrheit, und erbot sich zu den gültigsten schriftlichsten Beweisen, nämlich den Zeugnissen der Marbur- ger Regierung; endlich bat er dann, Se. Durchlaucht möch- ten ihn nur von der Pike auf dienen lassen, und ihn dann so befördern, wie er es verdiene: wenn er nur so viel bekäme, daß er bei gehöriger Sparsamkeit leben könne, so würde er das als eine große Gnade ansehen; dann schloß er mit den Worten: Ew. Durchlaucht nehmen mir diese erste und letzte Empfehlung nicht ungnädig. Der Kurfürst äußerte sich gnädig, und sagte: Er wolle bei der Organisation der Pfalz sehen, ob Er ihn un- terbringen könne; reden Sie doch auch, setzte der vortreffliche Fürst hinzu, mit den Ministern und geheimen Räthen, damit sie von der Sache wissen, wenn sie zur Sprache kommt! -- Daß das Stilling versprach, und auch das Versprechen hielt, das versteht sich.
Diese Vorbereitung hatte nun Veranlassung gegeben, von Stillings eigener Lage zu reden: der Kurfürst flößte Stil- ling ein solches Zutrauen ein, daß er sich gerade aus so erklärte, wie es in seinem Innern lag; hierauf sagte der große und edle Fürst: "Ich hoffe, Gott wird mir Gelegenheit ver- schaffen, Sie aus dieser drückenden Lage heraus- zubringen und so zu setzen, daß Sie bloß Ihrer religiösen Schriftstellerei und Ihrer Augenku- ren warten können; Sie müssen von allen irdi- schen Geschäften und Verhältnissen ganz frei ge- macht werden."
Erſuchen, um neun Uhr zu Ihm zu kommen, und den Mittag zur Tafel zu bleiben.
Dieſem Befehl zufolge, und ſo vorbereitet, ging alſo Stil- ling um neun Uhr ins Schloß: er wurde augenblicklich vor- gelaſſen, und ſehr gnaͤdig empfangen. Nach einigen Wortwechſe- lungen fuͤhlte Stilling die Freimuͤthigkeit in ſich, ſeinen Sohn zu empfehlen; er machte vorher die Vorbereitung, daß er ſagte: es ſey nichts ſchwerer fuͤr ihn, als Fuͤrſten, die Gnade fuͤr ihn haͤtten, Antraͤge von der Art zu machen, allein ſeine Umſtaͤnde und ſeine Lage draͤngten ihn ſo, daß er jetzt einmal eine Aus- nahme von der Regel machen mußte. Hierauf ſchilderte er nun ſeinen Sohn nach der Wahrheit, und erbot ſich zu den guͤltigſten ſchriftlichſten Beweiſen, naͤmlich den Zeugniſſen der Marbur- ger Regierung; endlich bat er dann, Se. Durchlaucht moͤch- ten ihn nur von der Pike auf dienen laſſen, und ihn dann ſo befoͤrdern, wie er es verdiene: wenn er nur ſo viel bekaͤme, daß er bei gehoͤriger Sparſamkeit leben koͤnne, ſo wuͤrde er das als eine große Gnade anſehen; dann ſchloß er mit den Worten: Ew. Durchlaucht nehmen mir dieſe erſte und letzte Empfehlung nicht ungnaͤdig. Der Kurfuͤrſt aͤußerte ſich gnaͤdig, und ſagte: Er wolle bei der Organiſation der Pfalz ſehen, ob Er ihn un- terbringen koͤnne; reden Sie doch auch, ſetzte der vortreffliche Fuͤrſt hinzu, mit den Miniſtern und geheimen Raͤthen, damit ſie von der Sache wiſſen, wenn ſie zur Sprache kommt! — Daß das Stilling verſprach, und auch das Verſprechen hielt, das verſteht ſich.
Dieſe Vorbereitung hatte nun Veranlaſſung gegeben, von Stillings eigener Lage zu reden: der Kurfuͤrſt floͤßte Stil- ling ein ſolches Zutrauen ein, daß er ſich gerade aus ſo erklaͤrte, wie es in ſeinem Innern lag; hierauf ſagte der große und edle Fuͤrſt: „Ich hoffe, Gott wird mir Gelegenheit ver- ſchaffen, Sie aus dieſer druͤckenden Lage heraus- zubringen und ſo zu ſetzen, daß Sie bloß Ihrer religioͤſen Schriftſtellerei und Ihrer Augenku- ren warten koͤnnen; Sie muͤſſen von allen irdi- ſchen Geſchaͤften und Verhaͤltniſſen ganz frei ge- macht werden.“
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Erſuchen, um neun Uhr zu Ihm zu kommen, und den Mittag
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Dieſem Befehl zufolge, und ſo vorbereitet, ging alſo Stil-
ling um neun Uhr ins Schloß: er wurde augenblicklich vor-
gelaſſen, und ſehr gnaͤdig empfangen. Nach einigen Wortwechſe-
lungen fuͤhlte Stilling die Freimuͤthigkeit in ſich, ſeinen Sohn
zu empfehlen; er machte vorher die Vorbereitung, daß er ſagte:
es ſey nichts ſchwerer fuͤr ihn, als Fuͤrſten, die Gnade fuͤr ihn
haͤtten, Antraͤge von der Art zu machen, allein ſeine Umſtaͤnde
und ſeine Lage draͤngten ihn ſo, daß er jetzt einmal eine Aus-
nahme von der Regel machen mußte. Hierauf ſchilderte er nun
ſeinen Sohn nach der Wahrheit, und erbot ſich zu den guͤltigſten
ſchriftlichſten Beweiſen, naͤmlich den Zeugniſſen der Marbur-
ger Regierung; endlich bat er dann, Se. Durchlaucht moͤch-
ten ihn nur von der Pike auf dienen laſſen, und ihn dann ſo
befoͤrdern, wie er es verdiene: wenn er nur ſo viel bekaͤme, daß
er bei gehoͤriger Sparſamkeit leben koͤnne, ſo wuͤrde er das als
eine große Gnade anſehen; dann ſchloß er mit den Worten: Ew.
Durchlaucht nehmen mir dieſe erſte und letzte Empfehlung
nicht ungnaͤdig. Der Kurfuͤrſt aͤußerte ſich gnaͤdig, und ſagte:
Er wolle bei der Organiſation der Pfalz ſehen, ob Er ihn un-
terbringen koͤnne; reden Sie doch auch, ſetzte der vortreffliche
Fuͤrſt hinzu, mit den Miniſtern und geheimen Raͤthen, damit ſie
von der Sache wiſſen, wenn ſie zur Sprache kommt! — Daß
das Stilling verſprach, und auch das Verſprechen hielt,
das verſteht ſich.
Dieſe Vorbereitung hatte nun Veranlaſſung gegeben, von
Stillings eigener Lage zu reden: der Kurfuͤrſt floͤßte Stil-
ling ein ſolches Zutrauen ein, daß er ſich gerade aus ſo erklaͤrte,
wie es in ſeinem Innern lag; hierauf ſagte der große und edle
Fuͤrſt: „Ich hoffe, Gott wird mir Gelegenheit ver-
ſchaffen, Sie aus dieſer druͤckenden Lage heraus-
zubringen und ſo zu ſetzen, daß Sie bloß Ihrer
religioͤſen Schriftſtellerei und Ihrer Augenku-
ren warten koͤnnen; Sie muͤſſen von allen irdi-
ſchen Geſchaͤften und Verhaͤltniſſen ganz frei ge-
macht werden.“
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/569>, abgerufen am 22.11.2024.
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