Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Abends zu Basel im lieben Schorndorfischen Hause gesund
und glücklich an; da es aber in der Gegend von Burgdorf
noch immer unruhig war, so schrieb Stilling an den Pfarrer
König, er sey in Basel, und erwartete von ihm Nachricht,
wann er sicher kommen könne? Bis diese Nachricht kam, waren
sie Beide ruhig und vergnügt in Basel; er diente einigen Augen-
kranken, und operirte auch zwei Blinde.

Am folgenden Tage, Mittwochs den 22. September, hatte
Stilling eine große Freude: in Basel lebt ein sehr geschickter
Maler, Marquard Wocher, ein Mann vom edelsten Herzen
und christlichen Gesinnungen; dieser hatte Stillingen auf der
ersten Schweizerreise zu einem dortigen angesehenen Mann, Herr
Reber, geführt, der eine sehr prächtige Gemäldesammlung hat:
hier zog ein ecce homo Gemälde Stillings ganze Aufmerk-
samkeit auf sich. Bei der längern Betrachtung dieses leidenden
Christusbildes kamen ihm die Thränen in die Augen; Wocher
bemerkte dieß, und fragte: Gefällt Ihnen dieß Stück? -- Stil-
ling
antwortete: Ausnehmend! Ach, wenn ich nur eine treue
Kopie davon hätte; aber ich kann sie nicht bezahlen. -- Die sollen
sie haben, erwiederte Wocher, ich mache ihnen ein Präsent damit.

Jetzt heute brachte Wocher dieß prächtige Stück zum Will-
komm, alle Kenner bewundern es.

Hier ist nun auch der Ort, wo ich einer außerordentlichen
Wohlthat Gottes gedenken muß -- wer kann sie Alle erzählen? --
aber eine und andere, die mit dieser Geschichte in Verbindung
steht, kann doch nicht übergangen werden.

Meine Leser werden sich des Meister Isaacs zu Waldstädt
erinnern, wie er Stilling so liebevoll in der höchsten Tiefe
seines Elends aufnahm, und von Haupt bis zu Fuß kleidete;
nun hatte ihm zwar Stilling, als er bei Spanier war, die
baaren Auslagen wieder ersetzt, aber es drückte ihn doch oft, daß
er der braven Familie dieses edlen Mannes jene Liebe auf keine
Weise vergelten könne. Jetzt kam es zu dieser Vergeltung, und
zwar auf eine herrliche, Gottgeziemende Weise.

Der älteste Sohn des Meister Isaacs hatte auch das Schnei-
derhandwerk gelernt, war dann auf seiner Wanderschaft nach
Basel gekommen, hatte sich einige Jahre dort aufgehalten, und

Abends zu Baſel im lieben Schorndorfiſchen Hauſe geſund
und gluͤcklich an; da es aber in der Gegend von Burgdorf
noch immer unruhig war, ſo ſchrieb Stilling an den Pfarrer
Koͤnig, er ſey in Baſel, und erwartete von ihm Nachricht,
wann er ſicher kommen koͤnne? Bis dieſe Nachricht kam, waren
ſie Beide ruhig und vergnuͤgt in Baſel; er diente einigen Augen-
kranken, und operirte auch zwei Blinde.

Am folgenden Tage, Mittwochs den 22. September, hatte
Stilling eine große Freude: in Baſel lebt ein ſehr geſchickter
Maler, Marquard Wocher, ein Mann vom edelſten Herzen
und chriſtlichen Geſinnungen; dieſer hatte Stillingen auf der
erſten Schweizerreiſe zu einem dortigen angeſehenen Mann, Herr
Reber, gefuͤhrt, der eine ſehr praͤchtige Gemaͤldeſammlung hat:
hier zog ein ecce homo Gemaͤlde Stillings ganze Aufmerk-
ſamkeit auf ſich. Bei der laͤngern Betrachtung dieſes leidenden
Chriſtusbildes kamen ihm die Thraͤnen in die Augen; Wocher
bemerkte dieß, und fragte: Gefaͤllt Ihnen dieß Stuͤck? — Stil-
ling
antwortete: Ausnehmend! Ach, wenn ich nur eine treue
Kopie davon haͤtte; aber ich kann ſie nicht bezahlen. — Die ſollen
ſie haben, erwiederte Wocher, ich mache ihnen ein Praͤſent damit.

Jetzt heute brachte Wocher dieß praͤchtige Stuͤck zum Will-
komm, alle Kenner bewundern es.

Hier iſt nun auch der Ort, wo ich einer außerordentlichen
Wohlthat Gottes gedenken muß — wer kann ſie Alle erzaͤhlen? —
aber eine und andere, die mit dieſer Geſchichte in Verbindung
ſteht, kann doch nicht uͤbergangen werden.

Meine Leſer werden ſich des Meiſter Iſaacs zu Waldſtaͤdt
erinnern, wie er Stilling ſo liebevoll in der hoͤchſten Tiefe
ſeines Elends aufnahm, und von Haupt bis zu Fuß kleidete;
nun hatte ihm zwar Stilling, als er bei Spanier war, die
baaren Auslagen wieder erſetzt, aber es druͤckte ihn doch oft, daß
er der braven Familie dieſes edlen Mannes jene Liebe auf keine
Weiſe vergelten koͤnne. Jetzt kam es zu dieſer Vergeltung, und
zwar auf eine herrliche, Gottgeziemende Weiſe.

Der aͤlteſte Sohn des Meiſter Iſaacs hatte auch das Schnei-
derhandwerk gelernt, war dann auf ſeiner Wanderſchaft nach
Baſel gekommen, hatte ſich einige Jahre dort aufgehalten, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0571" n="563"/>
Abends zu <hi rendition="#g">Ba&#x017F;el</hi> im lieben <hi rendition="#g">Schorndorfi&#x017F;chen</hi> Hau&#x017F;e ge&#x017F;und<lb/>
und glu&#x0364;cklich an; da es aber in der Gegend von <hi rendition="#g">Burgdorf</hi><lb/>
noch immer unruhig war, &#x017F;o &#x017F;chrieb <hi rendition="#g">Stilling</hi> an den Pfarrer<lb/><hi rendition="#g">Ko&#x0364;nig</hi>, er &#x017F;ey in <hi rendition="#g">Ba&#x017F;el</hi>, und erwartete von ihm Nachricht,<lb/>
wann er &#x017F;icher kommen ko&#x0364;nne? Bis die&#x017F;e Nachricht kam, waren<lb/>
&#x017F;ie Beide ruhig und vergnu&#x0364;gt in <hi rendition="#g">Ba&#x017F;el</hi>; er diente einigen Augen-<lb/>
kranken, und operirte auch zwei Blinde.</p><lb/>
            <p>Am folgenden Tage, Mittwochs den 22. September, hatte<lb/><hi rendition="#g">Stilling</hi> eine große Freude: in <hi rendition="#g">Ba&#x017F;el</hi> lebt ein &#x017F;ehr ge&#x017F;chickter<lb/>
Maler, <hi rendition="#g">Marquard Wocher</hi>, ein Mann vom edel&#x017F;ten Herzen<lb/>
und chri&#x017F;tlichen Ge&#x017F;innungen; die&#x017F;er hatte <hi rendition="#g">Stillingen</hi> auf der<lb/>
er&#x017F;ten Schweizerrei&#x017F;e zu einem dortigen ange&#x017F;ehenen Mann, Herr<lb/><hi rendition="#g">Reber</hi>, gefu&#x0364;hrt, der eine &#x017F;ehr pra&#x0364;chtige Gema&#x0364;lde&#x017F;ammlung hat:<lb/>
hier zog ein <hi rendition="#aq">ecce homo</hi> Gema&#x0364;lde <hi rendition="#g">Stillings</hi> ganze Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit auf &#x017F;ich. Bei der la&#x0364;ngern Betrachtung die&#x017F;es leidenden<lb/>
Chri&#x017F;tusbildes kamen ihm die Thra&#x0364;nen in die Augen; <hi rendition="#g">Wocher</hi><lb/>
bemerkte dieß, und fragte: Gefa&#x0364;llt Ihnen dieß Stu&#x0364;ck? &#x2014; <hi rendition="#g">Stil-<lb/>
ling</hi> antwortete: Ausnehmend! Ach, wenn ich nur eine treue<lb/>
Kopie davon ha&#x0364;tte; aber ich kann &#x017F;ie nicht bezahlen. &#x2014; Die &#x017F;ollen<lb/>
&#x017F;ie haben, erwiederte <hi rendition="#g">Wocher</hi>, ich mache ihnen ein Pra&#x0364;&#x017F;ent damit.</p><lb/>
            <p>Jetzt heute brachte <hi rendition="#g">Wocher</hi> dieß pra&#x0364;chtige Stu&#x0364;ck zum Will-<lb/>
komm, alle Kenner bewundern es.</p><lb/>
            <p>Hier i&#x017F;t nun auch der Ort, wo ich einer außerordentlichen<lb/>
Wohlthat Gottes gedenken muß &#x2014; wer kann &#x017F;ie Alle erza&#x0364;hlen? &#x2014;<lb/>
aber eine und andere, die mit die&#x017F;er Ge&#x017F;chichte in Verbindung<lb/>
&#x017F;teht, kann doch nicht u&#x0364;bergangen werden.</p><lb/>
            <p>Meine Le&#x017F;er werden &#x017F;ich des Mei&#x017F;ter <hi rendition="#g">I&#x017F;aacs</hi> zu <hi rendition="#g">Wald&#x017F;ta&#x0364;dt</hi><lb/>
erinnern, wie er <hi rendition="#g">Stilling</hi> &#x017F;o liebevoll in der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Tiefe<lb/>
&#x017F;eines Elends aufnahm, und von Haupt bis zu Fuß kleidete;<lb/>
nun hatte ihm zwar <hi rendition="#g">Stilling</hi>, als er bei <hi rendition="#g">Spanier</hi> war, die<lb/>
baaren Auslagen wieder er&#x017F;etzt, aber es dru&#x0364;ckte ihn doch oft, daß<lb/>
er der braven Familie die&#x017F;es edlen Mannes jene Liebe auf keine<lb/>
Wei&#x017F;e vergelten ko&#x0364;nne. Jetzt kam es zu die&#x017F;er Vergeltung, und<lb/>
zwar auf eine herrliche, Gottgeziemende Wei&#x017F;e.</p><lb/>
            <p>Der a&#x0364;lte&#x017F;te Sohn des Mei&#x017F;ter <hi rendition="#g">I&#x017F;aacs</hi> hatte auch das Schnei-<lb/>
derhandwerk gelernt, war dann auf &#x017F;einer Wander&#x017F;chaft nach<lb/><hi rendition="#g">Ba&#x017F;el</hi> gekommen, hatte &#x017F;ich einige Jahre dort aufgehalten, und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[563/0571] Abends zu Baſel im lieben Schorndorfiſchen Hauſe geſund und gluͤcklich an; da es aber in der Gegend von Burgdorf noch immer unruhig war, ſo ſchrieb Stilling an den Pfarrer Koͤnig, er ſey in Baſel, und erwartete von ihm Nachricht, wann er ſicher kommen koͤnne? Bis dieſe Nachricht kam, waren ſie Beide ruhig und vergnuͤgt in Baſel; er diente einigen Augen- kranken, und operirte auch zwei Blinde. Am folgenden Tage, Mittwochs den 22. September, hatte Stilling eine große Freude: in Baſel lebt ein ſehr geſchickter Maler, Marquard Wocher, ein Mann vom edelſten Herzen und chriſtlichen Geſinnungen; dieſer hatte Stillingen auf der erſten Schweizerreiſe zu einem dortigen angeſehenen Mann, Herr Reber, gefuͤhrt, der eine ſehr praͤchtige Gemaͤldeſammlung hat: hier zog ein ecce homo Gemaͤlde Stillings ganze Aufmerk- ſamkeit auf ſich. Bei der laͤngern Betrachtung dieſes leidenden Chriſtusbildes kamen ihm die Thraͤnen in die Augen; Wocher bemerkte dieß, und fragte: Gefaͤllt Ihnen dieß Stuͤck? — Stil- ling antwortete: Ausnehmend! Ach, wenn ich nur eine treue Kopie davon haͤtte; aber ich kann ſie nicht bezahlen. — Die ſollen ſie haben, erwiederte Wocher, ich mache ihnen ein Praͤſent damit. Jetzt heute brachte Wocher dieß praͤchtige Stuͤck zum Will- komm, alle Kenner bewundern es. Hier iſt nun auch der Ort, wo ich einer außerordentlichen Wohlthat Gottes gedenken muß — wer kann ſie Alle erzaͤhlen? — aber eine und andere, die mit dieſer Geſchichte in Verbindung ſteht, kann doch nicht uͤbergangen werden. Meine Leſer werden ſich des Meiſter Iſaacs zu Waldſtaͤdt erinnern, wie er Stilling ſo liebevoll in der hoͤchſten Tiefe ſeines Elends aufnahm, und von Haupt bis zu Fuß kleidete; nun hatte ihm zwar Stilling, als er bei Spanier war, die baaren Auslagen wieder erſetzt, aber es druͤckte ihn doch oft, daß er der braven Familie dieſes edlen Mannes jene Liebe auf keine Weiſe vergelten koͤnne. Jetzt kam es zu dieſer Vergeltung, und zwar auf eine herrliche, Gottgeziemende Weiſe. Der aͤlteſte Sohn des Meiſter Iſaacs hatte auch das Schnei- derhandwerk gelernt, war dann auf ſeiner Wanderſchaft nach Baſel gekommen, hatte ſich einige Jahre dort aufgehalten, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/571
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/571>, abgerufen am 12.06.2024.