Gang an Stillings Seite, allein nebst Vater Coings Se- gen, wird ihr Vater Wilhelm noch eine besondere Gnade vom Herrn erbitten.
Das 1802. Jahr wurde mit einem angenehmen Besuch be- schlossen; Stillings nächster Blutsverwandter und vertrauter Jugendfreund von der Wiege an, der Oberbergmeister von Dil- lenburg, besuchte ihn auf einige Tage; er ist Johann Stil- lings zweiter Sohn, und ein rechtschaffener geschickter Mann, Beide erneuerten ihren Bruderbund und schieden dann wieder von einander.
Im Anfange des 1803. Jahres trug sich etwas zu, das auf Stillings endliche Bestimmung einen wichtigen Einfluß hatte: es kam nämlich ein Rescript von Kassel an die Marbur- ger Universität, des Inhalts: Daß kein Schriftsteller in Marburg seine Geistesproducte dem Druck übergeben sollte, bis sie vom Prorector und dem Decan der Facultät, in deren Fach die Abhand- lung gehöre, geprüft worden sey.
Diese Einschränkung der Preßfreiheit, die nicht etwa das ganze Land oder alle gelehrte Schulen und Gelehrten in Hessen, son- dern blos und allein Marburg betraf, that allen dortigen Pro- fessoren, die sich im geringsten nichts Böses bewußt waren, un- gemein wehe: denn wie sehr dadurch ein ehrlicher Mann allen nur möglichen Neckereien ausgesetzt wird, wenn zwei seiner Kolle- gen das Recht haben, seine Arbeiten zu prüfen, das können nur Gelehrte, eigentlich nur Professoren beurtheilen, die das ohnehin so schwere Kollegialverhältniß auf Universitäten kennen.
Stilling dachte hin und her -- und das that wohl jeder Marburger Professor -- was doch wohl die Veranlassung zu diesem so sehr harten Rescript gewesen seyn möchte? -- Jetzt war, außer den gewöhnlichen akademischen Schriften, Pro- grammen, Dissertationen und dgl. nichts von einem Marbur- ger Verfasser herausgekommen, als der graue Mann von Stilling, und dann die theologische Annalen von Wachler; Einer von Beiden mußte also wahrscheinlicher Weise verdächtig gemacht worden seyn. Stilling durchdachte die letzten Hefte des grauen Mannes, und fand nicht das geringste
Gang an Stillings Seite, allein nebſt Vater Coings Se- gen, wird ihr Vater Wilhelm noch eine beſondere Gnade vom Herrn erbitten.
Das 1802. Jahr wurde mit einem angenehmen Beſuch be- ſchloſſen; Stillings naͤchſter Blutsverwandter und vertrauter Jugendfreund von der Wiege an, der Oberbergmeiſter von Dil- lenburg, beſuchte ihn auf einige Tage; er iſt Johann Stil- lings zweiter Sohn, und ein rechtſchaffener geſchickter Mann, Beide erneuerten ihren Bruderbund und ſchieden dann wieder von einander.
Im Anfange des 1803. Jahres trug ſich etwas zu, das auf Stillings endliche Beſtimmung einen wichtigen Einfluß hatte: es kam naͤmlich ein Reſcript von Kaſſel an die Marbur- ger Univerſitaͤt, des Inhalts: Daß kein Schriftſteller in Marburg ſeine Geiſtesproducte dem Druck uͤbergeben ſollte, bis ſie vom Prorector und dem Decan der Facultaͤt, in deren Fach die Abhand- lung gehoͤre, gepruͤft worden ſey.
Dieſe Einſchraͤnkung der Preßfreiheit, die nicht etwa das ganze Land oder alle gelehrte Schulen und Gelehrten in Heſſen, ſon- dern blos und allein Marburg betraf, that allen dortigen Pro- feſſoren, die ſich im geringſten nichts Boͤſes bewußt waren, un- gemein wehe: denn wie ſehr dadurch ein ehrlicher Mann allen nur moͤglichen Neckereien ausgeſetzt wird, wenn zwei ſeiner Kolle- gen das Recht haben, ſeine Arbeiten zu pruͤfen, das koͤnnen nur Gelehrte, eigentlich nur Profeſſoren beurtheilen, die das ohnehin ſo ſchwere Kollegialverhaͤltniß auf Univerſitaͤten kennen.
Stilling dachte hin und her — und das that wohl jeder Marburger Profeſſor — was doch wohl die Veranlaſſung zu dieſem ſo ſehr harten Reſcript geweſen ſeyn moͤchte? — Jetzt war, außer den gewoͤhnlichen akademiſchen Schriften, Pro- grammen, Diſſertationen und dgl. nichts von einem Marbur- ger Verfaſſer herausgekommen, als der graue Mann von Stilling, und dann die theologiſche Annalen von Wachler; Einer von Beiden mußte alſo wahrſcheinlicher Weiſe verdaͤchtig gemacht worden ſeyn. Stilling durchdachte die letzten Hefte des grauen Mannes, und fand nicht das geringſte
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Gang an Stillings Seite, allein nebſt Vater Coings Se-
gen, wird ihr Vater Wilhelm noch eine beſondere Gnade
vom Herrn erbitten.
Das 1802. Jahr wurde mit einem angenehmen Beſuch be-
ſchloſſen; Stillings naͤchſter Blutsverwandter und vertrauter
Jugendfreund von der Wiege an, der Oberbergmeiſter von Dil-
lenburg, beſuchte ihn auf einige Tage; er iſt Johann Stil-
lings zweiter Sohn, und ein rechtſchaffener geſchickter Mann,
Beide erneuerten ihren Bruderbund und ſchieden dann wieder
von einander.
Im Anfange des 1803. Jahres trug ſich etwas zu, das auf
Stillings endliche Beſtimmung einen wichtigen Einfluß hatte:
es kam naͤmlich ein Reſcript von Kaſſel an die Marbur-
ger Univerſitaͤt, des Inhalts: Daß kein Schriftſteller
in Marburg ſeine Geiſtesproducte dem Druck
uͤbergeben ſollte, bis ſie vom Prorector und dem
Decan der Facultaͤt, in deren Fach die Abhand-
lung gehoͤre, gepruͤft worden ſey.
Dieſe Einſchraͤnkung der Preßfreiheit, die nicht etwa das ganze
Land oder alle gelehrte Schulen und Gelehrten in Heſſen, ſon-
dern blos und allein Marburg betraf, that allen dortigen Pro-
feſſoren, die ſich im geringſten nichts Boͤſes bewußt waren, un-
gemein wehe: denn wie ſehr dadurch ein ehrlicher Mann allen
nur moͤglichen Neckereien ausgeſetzt wird, wenn zwei ſeiner Kolle-
gen das Recht haben, ſeine Arbeiten zu pruͤfen, das koͤnnen nur
Gelehrte, eigentlich nur Profeſſoren beurtheilen, die das ohnehin
ſo ſchwere Kollegialverhaͤltniß auf Univerſitaͤten kennen.
Stilling dachte hin und her — und das that wohl jeder
Marburger Profeſſor — was doch wohl die Veranlaſſung zu
dieſem ſo ſehr harten Reſcript geweſen ſeyn moͤchte? —
Jetzt war, außer den gewoͤhnlichen akademiſchen Schriften, Pro-
grammen, Diſſertationen und dgl. nichts von einem Marbur-
ger Verfaſſer herausgekommen, als der graue Mann von
Stilling, und dann die theologiſche Annalen von
Wachler; Einer von Beiden mußte alſo wahrſcheinlicher
Weiſe verdaͤchtig gemacht worden ſeyn. Stilling durchdachte
die letzten Hefte des grauen Mannes, und fand nicht das geringſte
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/578>, abgerufen am 22.11.2024.
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