Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

nur frei zu handeln, im Grund aber wirke er doch maschi-
nenmäßig
, ist das, was man Determinismus nennt.
Es ist hier der Ort nicht, diesen schrecklichen Unsinn zu wider-
legen, wenn es aber verlangt wird, so kann ichs, Gottlob! un-
widersprechlich.

Ich nehme also hier als ausgemacht an, daß Gott die Welt
mit unendlicher Weisheit regiere, doch so, daß die Menschen als
freie Wesen mit einwirken, und dieß um deßwillen, weil der Deter-
minismus auf meinen gegenwärtigen Zweck keinen Einfluß hat.

Es liegt schon im Begriff des Worts: blindes Ohnge-
fähr
! daß dieß Unding keine vorher bedachten Plane entwerfen,
mit großer Weisheit die Mittel zur Ausführung von Ferne vor-
bereiten, und hernach mit Kraft ausführen könne; wo man also
dieß Alles, wie in meiner Lebensgeschichte, mit der höchsten
Evidenz wahrnimmt, da wäre es Unsinn, an ein blindes Ohn-
gefähr zu denken; und da auch in den Schicksalen eines jeden
Menschen, folglich auch bei mir, unzählich viele andere Men-
schen mit zum Ziel wirken, so können alle diese mitwirkende
Wesen unmöglich unter der Leitung eines blinden Ohngefährs
stehen: ich setze also den Schluß fest: daß nichts von ohn-
gefähr geschehe, und geschehen könne
.

Daß der Mensch -- durchgehends genommen, zum Theil Mei-
ster seines Schicksals seyn könne, und auch gewöhnlich sein Glück
oder Unglück größtentheils sich selbst zuzuschreiben habe, das
wird wohl keiner meiner Leser bezweifeln, er müßte denn ein De-
terminist seyn; mit diesem aber komme ich hier gar nicht in
Collision; ob ich aber zu meiner Führung mitge-
wirkt habe, -- ob ich auch nur auf die entfernteste
Art, zu irgend Einem meiner entscheidenden
Schicksale auch nur das Geringste planmäßig bei-
getragen habe? das ist eine Frage, worauf hier
Alles ankommt
-- denn, kann ich beweisen, daß das
nicht der Fall ist, so entstehen Folgen daraus, die ins Große
und Ganze gehen, und von der äußersten Wichtigkeit für un-
sere Zeitgenossen sind.

Es gibt Menschen, welche von Jugend auf einen gewissen
Grundtrieb in sich empfinden; diesen fassen und behalten sie im

nur frei zu handeln, im Grund aber wirke er doch maſchi-
nenmaͤßig
, iſt das, was man Determinismus nennt.
Es iſt hier der Ort nicht, dieſen ſchrecklichen Unſinn zu wider-
legen, wenn es aber verlangt wird, ſo kann ichs, Gottlob! un-
widerſprechlich.

Ich nehme alſo hier als ausgemacht an, daß Gott die Welt
mit unendlicher Weisheit regiere, doch ſo, daß die Menſchen als
freie Weſen mit einwirken, und dieß um deßwillen, weil der Deter-
minismus auf meinen gegenwaͤrtigen Zweck keinen Einfluß hat.

Es liegt ſchon im Begriff des Worts: blindes Ohnge-
faͤhr
! daß dieß Unding keine vorher bedachten Plane entwerfen,
mit großer Weisheit die Mittel zur Ausfuͤhrung von Ferne vor-
bereiten, und hernach mit Kraft ausfuͤhren koͤnne; wo man alſo
dieß Alles, wie in meiner Lebensgeſchichte, mit der hoͤchſten
Evidenz wahrnimmt, da waͤre es Unſinn, an ein blindes Ohn-
gefaͤhr zu denken; und da auch in den Schickſalen eines jeden
Menſchen, folglich auch bei mir, unzaͤhlich viele andere Men-
ſchen mit zum Ziel wirken, ſo koͤnnen alle dieſe mitwirkende
Weſen unmoͤglich unter der Leitung eines blinden Ohngefaͤhrs
ſtehen: ich ſetze alſo den Schluß feſt: daß nichts von ohn-
gefaͤhr geſchehe, und geſchehen koͤnne
.

Daß der Menſch — durchgehends genommen, zum Theil Mei-
ſter ſeines Schickſals ſeyn koͤnne, und auch gewoͤhnlich ſein Gluͤck
oder Ungluͤck groͤßtentheils ſich ſelbſt zuzuſchreiben habe, das
wird wohl keiner meiner Leſer bezweifeln, er muͤßte denn ein De-
terminiſt ſeyn; mit dieſem aber komme ich hier gar nicht in
Colliſion; ob ich aber zu meiner Fuͤhrung mitge-
wirkt habe, — ob ich auch nur auf die entfernteſte
Art, zu irgend Einem meiner entſcheidenden
Schickſale auch nur das Geringſte planmaͤßig bei-
getragen habe? das iſt eine Frage, worauf hier
Alles ankommt
— denn, kann ich beweiſen, daß das
nicht der Fall iſt, ſo entſtehen Folgen daraus, die ins Große
und Ganze gehen, und von der aͤußerſten Wichtigkeit fuͤr un-
ſere Zeitgenoſſen ſind.

Es gibt Menſchen, welche von Jugend auf einen gewiſſen
Grundtrieb in ſich empfinden; dieſen faſſen und behalten ſie im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0593" n="585"/>
nur frei zu handeln, im Grund aber <hi rendition="#g">wirke er doch ma&#x017F;chi-<lb/>
nenma&#x0364;ßig</hi>, i&#x017F;t das, was man <hi rendition="#g">Determinismus</hi> nennt.<lb/>
Es i&#x017F;t hier der Ort nicht, die&#x017F;en &#x017F;chrecklichen Un&#x017F;inn zu wider-<lb/>
legen, wenn es aber verlangt wird, &#x017F;o kann ichs, Gottlob! un-<lb/>
wider&#x017F;prechlich.</p><lb/>
          <p>Ich nehme al&#x017F;o hier als ausgemacht an, daß Gott die Welt<lb/>
mit unendlicher Weisheit regiere, doch &#x017F;o, daß die Men&#x017F;chen als<lb/>
freie We&#x017F;en mit einwirken, und dieß um deßwillen, weil der Deter-<lb/>
minismus auf meinen gegenwa&#x0364;rtigen Zweck keinen Einfluß hat.</p><lb/>
          <p>Es liegt &#x017F;chon im Begriff des Worts: <hi rendition="#g">blindes Ohnge-<lb/>
fa&#x0364;hr</hi>! daß dieß Unding keine vorher bedachten Plane entwerfen,<lb/>
mit großer Weisheit die Mittel zur Ausfu&#x0364;hrung von Ferne vor-<lb/>
bereiten, und hernach mit Kraft ausfu&#x0364;hren ko&#x0364;nne; wo man al&#x017F;o<lb/>
dieß Alles, wie in meiner Lebensge&#x017F;chichte, mit der ho&#x0364;ch&#x017F;ten<lb/>
Evidenz wahrnimmt, da wa&#x0364;re es Un&#x017F;inn, an ein blindes Ohn-<lb/>
gefa&#x0364;hr zu denken; und da auch in den Schick&#x017F;alen eines <hi rendition="#g">jeden</hi><lb/>
Men&#x017F;chen, folglich auch bei mir, unza&#x0364;hlich viele andere Men-<lb/>
&#x017F;chen mit zum Ziel wirken, &#x017F;o ko&#x0364;nnen alle die&#x017F;e mitwirkende<lb/>
We&#x017F;en unmo&#x0364;glich unter der Leitung eines blinden Ohngefa&#x0364;hrs<lb/>
&#x017F;tehen: ich &#x017F;etze al&#x017F;o den Schluß fe&#x017F;t: <hi rendition="#g">daß nichts von ohn-<lb/>
gefa&#x0364;hr ge&#x017F;chehe, und ge&#x017F;chehen ko&#x0364;nne</hi>.</p><lb/>
          <p>Daß der Men&#x017F;ch &#x2014; durchgehends genommen, zum Theil Mei-<lb/>
&#x017F;ter &#x017F;eines Schick&#x017F;als &#x017F;eyn ko&#x0364;nne, und auch gewo&#x0364;hnlich &#x017F;ein Glu&#x0364;ck<lb/>
oder Unglu&#x0364;ck gro&#x0364;ßtentheils &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zuzu&#x017F;chreiben habe, <hi rendition="#g">das</hi><lb/>
wird wohl keiner meiner Le&#x017F;er bezweifeln, er mu&#x0364;ßte denn ein De-<lb/><hi rendition="#g">termini&#x017F;t</hi> &#x017F;eyn; mit die&#x017F;em aber komme ich hier gar nicht in<lb/>
Colli&#x017F;ion; <hi rendition="#g">ob ich aber zu meiner Fu&#x0364;hrung mitge-<lb/>
wirkt habe, &#x2014; ob ich auch nur auf die entfernte&#x017F;te<lb/>
Art, zu irgend Einem meiner ent&#x017F;cheidenden<lb/>
Schick&#x017F;ale auch nur das Gering&#x017F;te planma&#x0364;ßig bei-<lb/>
getragen habe? das i&#x017F;t eine Frage, worauf hier<lb/>
Alles ankommt</hi> &#x2014; denn, kann ich <hi rendition="#g">bewei&#x017F;en</hi>, daß das<lb/><hi rendition="#g">nicht</hi> der Fall i&#x017F;t, &#x017F;o ent&#x017F;tehen Folgen daraus, die ins <hi rendition="#g">Große</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Ganze</hi> gehen, und von der a&#x0364;ußer&#x017F;ten Wichtigkeit fu&#x0364;r un-<lb/>
&#x017F;ere Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Es gibt Men&#x017F;chen, welche von Jugend auf einen gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Grundtrieb in &#x017F;ich empfinden; die&#x017F;en fa&#x017F;&#x017F;en und behalten &#x017F;ie im<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[585/0593] nur frei zu handeln, im Grund aber wirke er doch maſchi- nenmaͤßig, iſt das, was man Determinismus nennt. Es iſt hier der Ort nicht, dieſen ſchrecklichen Unſinn zu wider- legen, wenn es aber verlangt wird, ſo kann ichs, Gottlob! un- widerſprechlich. Ich nehme alſo hier als ausgemacht an, daß Gott die Welt mit unendlicher Weisheit regiere, doch ſo, daß die Menſchen als freie Weſen mit einwirken, und dieß um deßwillen, weil der Deter- minismus auf meinen gegenwaͤrtigen Zweck keinen Einfluß hat. Es liegt ſchon im Begriff des Worts: blindes Ohnge- faͤhr! daß dieß Unding keine vorher bedachten Plane entwerfen, mit großer Weisheit die Mittel zur Ausfuͤhrung von Ferne vor- bereiten, und hernach mit Kraft ausfuͤhren koͤnne; wo man alſo dieß Alles, wie in meiner Lebensgeſchichte, mit der hoͤchſten Evidenz wahrnimmt, da waͤre es Unſinn, an ein blindes Ohn- gefaͤhr zu denken; und da auch in den Schickſalen eines jeden Menſchen, folglich auch bei mir, unzaͤhlich viele andere Men- ſchen mit zum Ziel wirken, ſo koͤnnen alle dieſe mitwirkende Weſen unmoͤglich unter der Leitung eines blinden Ohngefaͤhrs ſtehen: ich ſetze alſo den Schluß feſt: daß nichts von ohn- gefaͤhr geſchehe, und geſchehen koͤnne. Daß der Menſch — durchgehends genommen, zum Theil Mei- ſter ſeines Schickſals ſeyn koͤnne, und auch gewoͤhnlich ſein Gluͤck oder Ungluͤck groͤßtentheils ſich ſelbſt zuzuſchreiben habe, das wird wohl keiner meiner Leſer bezweifeln, er muͤßte denn ein De- terminiſt ſeyn; mit dieſem aber komme ich hier gar nicht in Colliſion; ob ich aber zu meiner Fuͤhrung mitge- wirkt habe, — ob ich auch nur auf die entfernteſte Art, zu irgend Einem meiner entſcheidenden Schickſale auch nur das Geringſte planmaͤßig bei- getragen habe? das iſt eine Frage, worauf hier Alles ankommt — denn, kann ich beweiſen, daß das nicht der Fall iſt, ſo entſtehen Folgen daraus, die ins Große und Ganze gehen, und von der aͤußerſten Wichtigkeit fuͤr un- ſere Zeitgenoſſen ſind. Es gibt Menſchen, welche von Jugend auf einen gewiſſen Grundtrieb in ſich empfinden; dieſen faſſen und behalten ſie im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/593
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/593>, abgerufen am 22.11.2024.