Jahre lang auf der hohen Schule zu unterhalten. Es mußte also bei dem Schulmeister und Schneider bleiben, und mein Grundtrieb begnügte sich mit unersättlichem Lesen und For- schen in allen Fächern von Wissenschaften: denn da mein Geist nun einmal Geschmack an geistigen Vorstellungen und Wissen- schaften, oder ein ästhetisches Gefühl bekommen hatte, so lief er nun diese Bahn unaufhaltbar fort, und suchte nur immer Gelegenheit, zu lesen und auf den Büchern zu brüten. Das, was ich also in den Fächern der Wissenschaften an Kenntnissen errungen habe, das könnte man allenfalls meinem Fleiß und meiner Thätigkeit zuschreiben; und so viel ist auch wahr, daß es der Herr nebenher zu einem Vorbereitungsmittel gebraucht habe, aber zur Entwicklung meiner wahren Bestimmung hat es gerade zu nichts geholfen.
Immerfort an der Nadel zu sitzen und den Leuten Kleider zu machen, das war mir in der Seele zuwider, und die Knaben und Mädchen immer und ewig im A B C, im Buchstabiren, im Lesen und im Schreiben zu unterrichten, das war mir eben so langweilig; nach und nach dachte ich mir die Bestimmung, Schneider und Schulmeister zu seyn, als etwas Höchsttrauriges, und damit sing auch mein inneres Leiden an: denn ich sah keine Möglichkeit, Prediger, oder sonst Etwas zu werden.
Die strenge Zucht meines Vaters blieb immer; ich wurde frei- lich nun nicht mehr alle Tage geschlagen, aber in seiner Nähe war mir nie wohl. Seine unerbittliche Strenge bei jedem kleinen Fehler, weckte den unwiderstehlichen Trieb in mir, mich so oft und so lange wie möglich von ihm zu entfernen, und dieß auch noch um deßwillen, weil ich bei ihm von früh Morgens bis in die späte Nacht an der Nadel sitzen mußte, daher kams denn, daß ich jeden Ruf zu einer Schulstelle mit größter Freude annahm; da ich aber nicht mit Lust, sondern bloß aus Pflicht Kinder un- terrichtete, und dann auch außer den Schulstunden auf den Bü- chern brütete, so war ich im Grunde kein guter Schullehrer, und mit dem Schneiderhandwerk Etwas nebenher zu verdienen, daran dachte mein Herz nicht; zudem brachte mich mein gutmüthiger Leichtsinn um das Bischen Lohn, das ich als Schullehrer bekam, folglich mußte mich mein Vater immer neu kleiden und unter-
Jahre lang auf der hohen Schule zu unterhalten. Es mußte alſo bei dem Schulmeiſter und Schneider bleiben, und mein Grundtrieb begnuͤgte ſich mit unerſaͤttlichem Leſen und For- ſchen in allen Faͤchern von Wiſſenſchaften: denn da mein Geiſt nun einmal Geſchmack an geiſtigen Vorſtellungen und Wiſſen- ſchaften, oder ein aͤſthetiſches Gefuͤhl bekommen hatte, ſo lief er nun dieſe Bahn unaufhaltbar fort, und ſuchte nur immer Gelegenheit, zu leſen und auf den Buͤchern zu bruͤten. Das, was ich alſo in den Faͤchern der Wiſſenſchaften an Kenntniſſen errungen habe, das koͤnnte man allenfalls meinem Fleiß und meiner Thaͤtigkeit zuſchreiben; und ſo viel iſt auch wahr, daß es der Herr nebenher zu einem Vorbereitungsmittel gebraucht habe, aber zur Entwicklung meiner wahren Beſtimmung hat es gerade zu nichts geholfen.
Immerfort an der Nadel zu ſitzen und den Leuten Kleider zu machen, das war mir in der Seele zuwider, und die Knaben und Maͤdchen immer und ewig im A B C, im Buchſtabiren, im Leſen und im Schreiben zu unterrichten, das war mir eben ſo langweilig; nach und nach dachte ich mir die Beſtimmung, Schneider und Schulmeiſter zu ſeyn, als etwas Hoͤchſttrauriges, und damit ſing auch mein inneres Leiden an: denn ich ſah keine Moͤglichkeit, Prediger, oder ſonſt Etwas zu werden.
Die ſtrenge Zucht meines Vaters blieb immer; ich wurde frei- lich nun nicht mehr alle Tage geſchlagen, aber in ſeiner Naͤhe war mir nie wohl. Seine unerbittliche Strenge bei jedem kleinen Fehler, weckte den unwiderſtehlichen Trieb in mir, mich ſo oft und ſo lange wie moͤglich von ihm zu entfernen, und dieß auch noch um deßwillen, weil ich bei ihm von fruͤh Morgens bis in die ſpaͤte Nacht an der Nadel ſitzen mußte, daher kams denn, daß ich jeden Ruf zu einer Schulſtelle mit groͤßter Freude annahm; da ich aber nicht mit Luſt, ſondern bloß aus Pflicht Kinder un- terrichtete, und dann auch außer den Schulſtunden auf den Buͤ- chern bruͤtete, ſo war ich im Grunde kein guter Schullehrer, und mit dem Schneiderhandwerk Etwas nebenher zu verdienen, daran dachte mein Herz nicht; zudem brachte mich mein gutmuͤthiger Leichtſinn um das Bischen Lohn, das ich als Schullehrer bekam, folglich mußte mich mein Vater immer neu kleiden und unter-
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Jahre lang auf der hohen Schule zu unterhalten. Es mußte
alſo bei dem Schulmeiſter und Schneider bleiben, und mein
Grundtrieb begnuͤgte ſich mit unerſaͤttlichem Leſen und For-
ſchen in allen Faͤchern von Wiſſenſchaften: denn da mein Geiſt
nun einmal Geſchmack an geiſtigen Vorſtellungen und Wiſſen-
ſchaften, oder ein aͤſthetiſches Gefuͤhl bekommen hatte, ſo lief
er nun dieſe Bahn unaufhaltbar fort, und ſuchte nur immer
Gelegenheit, zu leſen und auf den Buͤchern zu bruͤten. Das,
was ich alſo in den Faͤchern der Wiſſenſchaften an Kenntniſſen
errungen habe, das koͤnnte man allenfalls meinem Fleiß und
meiner Thaͤtigkeit zuſchreiben; und ſo viel iſt auch wahr, daß
es der Herr nebenher zu einem Vorbereitungsmittel gebraucht
habe, aber zur Entwicklung meiner wahren Beſtimmung hat es
gerade zu nichts geholfen.
Immerfort an der Nadel zu ſitzen und den Leuten Kleider zu
machen, das war mir in der Seele zuwider, und die Knaben
und Maͤdchen immer und ewig im A B C, im Buchſtabiren,
im Leſen und im Schreiben zu unterrichten, das war mir eben
ſo langweilig; nach und nach dachte ich mir die Beſtimmung,
Schneider und Schulmeiſter zu ſeyn, als etwas Hoͤchſttrauriges,
und damit ſing auch mein inneres Leiden an: denn ich ſah
keine Moͤglichkeit, Prediger, oder ſonſt Etwas zu werden.
Die ſtrenge Zucht meines Vaters blieb immer; ich wurde frei-
lich nun nicht mehr alle Tage geſchlagen, aber in ſeiner Naͤhe war
mir nie wohl. Seine unerbittliche Strenge bei jedem kleinen
Fehler, weckte den unwiderſtehlichen Trieb in mir, mich ſo oft
und ſo lange wie moͤglich von ihm zu entfernen, und dieß auch
noch um deßwillen, weil ich bei ihm von fruͤh Morgens bis in
die ſpaͤte Nacht an der Nadel ſitzen mußte, daher kams denn,
daß ich jeden Ruf zu einer Schulſtelle mit groͤßter Freude annahm;
da ich aber nicht mit Luſt, ſondern bloß aus Pflicht Kinder un-
terrichtete, und dann auch außer den Schulſtunden auf den Buͤ-
chern bruͤtete, ſo war ich im Grunde kein guter Schullehrer, und
mit dem Schneiderhandwerk Etwas nebenher zu verdienen, daran
dachte mein Herz nicht; zudem brachte mich mein gutmuͤthiger
Leichtſinn um das Bischen Lohn, das ich als Schullehrer bekam,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/598>, abgerufen am 22.11.2024.
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