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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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halten; er sahe also zu seinem größten Leidwesen, daß ein guter
Schulmeister an mir verdorben war; dadurch wurde er also
natürlicher Weise noch ernsthafter und unfreundlicher gegen mich,
und als er nun noch gar eine weltlich gesinnte, gefühllose Frau
bekommen hatte, welche forderte, daß ihr Stiefsohn mit ins Feld
gehen, alle Bauernarbeit, auch die schwerste verrichten, Hacken,
Mähen und Dreschen sollte, so stieg mein Jammer auf's höchste,
dazu waren meine Glieder von Jugend auf nicht angewöhnt wor-
den, jetzt litt ich erschrecklich. Von den rauhen Werkzeugen wur-
den die Hände immer voller Blasen, und die Haut blieb am
Hackenstiel kleben: wenn ich die Grassense oder den Dreschflegel
schwang, so krachten mir Rippen und Hüften; Tage und Wochen
schienen mir eine Ewigkeit zu seyn, und über das Alles war die
Zukunft finster, ich konnte mir keine Rettung aus dieser Lage
denken, auch berief man mich nicht mehr zu Schulämtern, es
bleib mir also nichts mehr übrig, als auf dem Lande umher bei
Schneidermeistern als Geselle zu arbeiten, dazu fand sich dann
auch Gelegenheit; aber bei dem Allem kam ich so in Kleidern
und Wäsche zurück, daß ich von Jedermann als ein Taugenichts
und verlorner Mensch betrachtet wurde. Mein religiöser Grund-
trieb glänzte mir aus der Ferne entgegen; wenn ich mir Spe-
ner, Franke
und überhaupt so recht fromme Prediger dachte,
und mir dann vorstellte, welch eine Seligkeit es für mich seyn
würde, so ein Mann zu werden, und daß es doch in meiner Lage
unmöglich wäre, so brach mir das Herz.

Die Absichten, warum mich die Vorsehung in diese entsetzlich
traurige Lage führte, waren zweifach: erstlich, um meine über
alle Vorstellung gehende Sinnlichkeit und den unbändigen Leicht-
sinn zu bekämpfen. -- Diese Absicht merkte ich wohl, und
dann, um mich aus meinem Vaterland zu brin-
gen, weil sie in demselben ihren Plan mit mir
nicht ausführen konnte
; diesen Zweck aber merkte ich
ganz und gar nicht, ich war dergestalt in mein Vaterland ver-
liebt, daß mich nur die äußerste Nothwendigkeit hinausbannen
konnte, und dazu kam es dann auch; ich ging fort.

Man merke hier wohl, daß dieser erste Schritt
zu meiner künftigen Bestimmung schlechterdings

halten; er ſahe alſo zu ſeinem groͤßten Leidweſen, daß ein guter
Schulmeiſter an mir verdorben war; dadurch wurde er alſo
natuͤrlicher Weiſe noch ernſthafter und unfreundlicher gegen mich,
und als er nun noch gar eine weltlich geſinnte, gefuͤhlloſe Frau
bekommen hatte, welche forderte, daß ihr Stiefſohn mit ins Feld
gehen, alle Bauernarbeit, auch die ſchwerſte verrichten, Hacken,
Maͤhen und Dreſchen ſollte, ſo ſtieg mein Jammer auf’s hoͤchſte,
dazu waren meine Glieder von Jugend auf nicht angewoͤhnt wor-
den, jetzt litt ich erſchrecklich. Von den rauhen Werkzeugen wur-
den die Haͤnde immer voller Blaſen, und die Haut blieb am
Hackenſtiel kleben: wenn ich die Grasſenſe oder den Dreſchflegel
ſchwang, ſo krachten mir Rippen und Huͤften; Tage und Wochen
ſchienen mir eine Ewigkeit zu ſeyn, und uͤber das Alles war die
Zukunft finſter, ich konnte mir keine Rettung aus dieſer Lage
denken, auch berief man mich nicht mehr zu Schulaͤmtern, es
bleib mir alſo nichts mehr uͤbrig, als auf dem Lande umher bei
Schneidermeiſtern als Geſelle zu arbeiten, dazu fand ſich dann
auch Gelegenheit; aber bei dem Allem kam ich ſo in Kleidern
und Waͤſche zuruͤck, daß ich von Jedermann als ein Taugenichts
und verlorner Menſch betrachtet wurde. Mein religioͤſer Grund-
trieb glaͤnzte mir aus der Ferne entgegen; wenn ich mir Spe-
ner, Franke
und uͤberhaupt ſo recht fromme Prediger dachte,
und mir dann vorſtellte, welch eine Seligkeit es fuͤr mich ſeyn
wuͤrde, ſo ein Mann zu werden, und daß es doch in meiner Lage
unmoͤglich waͤre, ſo brach mir das Herz.

Die Abſichten, warum mich die Vorſehung in dieſe entſetzlich
traurige Lage fuͤhrte, waren zweifach: erſtlich, um meine uͤber
alle Vorſtellung gehende Sinnlichkeit und den unbaͤndigen Leicht-
ſinn zu bekaͤmpfen. — Dieſe Abſicht merkte ich wohl, und
dann, um mich aus meinem Vaterland zu brin-
gen, weil ſie in demſelben ihren Plan mit mir
nicht ausfuͤhren konnte
; dieſen Zweck aber merkte ich
ganz und gar nicht, ich war dergeſtalt in mein Vaterland ver-
liebt, daß mich nur die aͤußerſte Nothwendigkeit hinausbannen
konnte, und dazu kam es dann auch; ich ging fort.

Man merke hier wohl, daß dieſer erſte Schritt
zu meiner kuͤnftigen Beſtimmung ſchlechterdings

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[591/0599] halten; er ſahe alſo zu ſeinem groͤßten Leidweſen, daß ein guter Schulmeiſter an mir verdorben war; dadurch wurde er alſo natuͤrlicher Weiſe noch ernſthafter und unfreundlicher gegen mich, und als er nun noch gar eine weltlich geſinnte, gefuͤhlloſe Frau bekommen hatte, welche forderte, daß ihr Stiefſohn mit ins Feld gehen, alle Bauernarbeit, auch die ſchwerſte verrichten, Hacken, Maͤhen und Dreſchen ſollte, ſo ſtieg mein Jammer auf’s hoͤchſte, dazu waren meine Glieder von Jugend auf nicht angewoͤhnt wor- den, jetzt litt ich erſchrecklich. Von den rauhen Werkzeugen wur- den die Haͤnde immer voller Blaſen, und die Haut blieb am Hackenſtiel kleben: wenn ich die Grasſenſe oder den Dreſchflegel ſchwang, ſo krachten mir Rippen und Huͤften; Tage und Wochen ſchienen mir eine Ewigkeit zu ſeyn, und uͤber das Alles war die Zukunft finſter, ich konnte mir keine Rettung aus dieſer Lage denken, auch berief man mich nicht mehr zu Schulaͤmtern, es bleib mir alſo nichts mehr uͤbrig, als auf dem Lande umher bei Schneidermeiſtern als Geſelle zu arbeiten, dazu fand ſich dann auch Gelegenheit; aber bei dem Allem kam ich ſo in Kleidern und Waͤſche zuruͤck, daß ich von Jedermann als ein Taugenichts und verlorner Menſch betrachtet wurde. Mein religioͤſer Grund- trieb glaͤnzte mir aus der Ferne entgegen; wenn ich mir Spe- ner, Franke und uͤberhaupt ſo recht fromme Prediger dachte, und mir dann vorſtellte, welch eine Seligkeit es fuͤr mich ſeyn wuͤrde, ſo ein Mann zu werden, und daß es doch in meiner Lage unmoͤglich waͤre, ſo brach mir das Herz. Die Abſichten, warum mich die Vorſehung in dieſe entſetzlich traurige Lage fuͤhrte, waren zweifach: erſtlich, um meine uͤber alle Vorſtellung gehende Sinnlichkeit und den unbaͤndigen Leicht- ſinn zu bekaͤmpfen. — Dieſe Abſicht merkte ich wohl, und dann, um mich aus meinem Vaterland zu brin- gen, weil ſie in demſelben ihren Plan mit mir nicht ausfuͤhren konnte; dieſen Zweck aber merkte ich ganz und gar nicht, ich war dergeſtalt in mein Vaterland ver- liebt, daß mich nur die aͤußerſte Nothwendigkeit hinausbannen konnte, und dazu kam es dann auch; ich ging fort. Man merke hier wohl, daß dieſer erſte Schritt zu meiner kuͤnftigen Beſtimmung ſchlechterdings

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/599>, abgerufen am 22.11.2024.