"in seinem Blute, welches für Euch und für Viele -- und am "Ende für Alle vergossen worden ist zur Vergebung der Sün- "den!" und als er zuletzt genommen, streckte er seine Hände zum Segen aus, und rief: "Der Herr sey mit Euch!"
Und nachdem er diese feierliche, erhabene Handlung, welche er ohne Noth nicht unternommen hätte, weil er in Allem Ord- nung, Brauch und Sitte ehrte und befolgte, nach rein evange- lischen Grundsätzen als christlicher Patriarch auf dem Sterbebette beendigt, legte er sich zum Schlummer nieder, und es zeigte sich auf seinem schon damals verklärten Antlitze des Glaubens- helden erhabener Seelenfriede. Auch mochte er mit uns zwei- feln, ob er noch den Tagesanbruch dieses Charmittwochs erlebte.
Von nun an stieg seine Schwäche mehr und mehr, und krampf- hafte Empfindungen stellten sich ein, so daß wir öfters den Au- genblick des Erstickens wahrzunehmen glaubten. Herzzerreißend war der Anblick des ehrwürdigen Greises, wenn ihm der Athem stockte, er seine Hände faltete, und seinen Blick zum Himmel hob, meinend, er werde nun der Lebensluft nie mehr genießen. Mehrmals hatten wir diesen ängstenden, für uns so schrecklichen Anblick des Erstickens; und wir konnten nur beten, Gott möge ihm den Heimgang erleichtern. Wenn sich dann der harte An- fall wiederholte, rief er aus: "Herr nimm mich auf in deine "ewige Hütte!" oder einmal, da es ihm schwer ward, das Ath- men vor dem Wasser in der Brust zu erringen, breitete er die Arme nach oben, und rief: "Fort, fort!" Unterdessen ward sein lechzender trockener Gaumen durch labende Getränke fortwährend erquickt, und seine Liebe zur Reinlichkeit und Ordnung war bis ans Ende wahrzunehmen. Ein anderes Mal rief er in dem quälenden Krampfe: "Du Todesüberwinder, Kraft!" Alles dieß rief er aber mit schwacher jedoch bewegter Stimme; und mit seinen Blicken weilte er auf allen den Seinigen, die um sein Bett herstanden, und die sein hohes Beispiel der Geduld und des Gei- stes in diesem anhaltenden Todeskampfe nur zum Gebete an- treiben konnte. Und wo sich das Eine oder das Andere von uns durch Dienstleistungen genöthigt fand, wegzugehen, und be- sorgt war, dem sterbenden Vater noch jegliches erquickende und stärkende Mittel darzureichen, sah er ihm ängstlich nach, und
„in ſeinem Blute, welches fuͤr Euch und fuͤr Viele — und am „Ende fuͤr Alle vergoſſen worden iſt zur Vergebung der Suͤn- „den!“ und als er zuletzt genommen, ſtreckte er ſeine Haͤnde zum Segen aus, und rief: „Der Herr ſey mit Euch!“
Und nachdem er dieſe feierliche, erhabene Handlung, welche er ohne Noth nicht unternommen haͤtte, weil er in Allem Ord- nung, Brauch und Sitte ehrte und befolgte, nach rein evange- liſchen Grundſaͤtzen als chriſtlicher Patriarch auf dem Sterbebette beendigt, legte er ſich zum Schlummer nieder, und es zeigte ſich auf ſeinem ſchon damals verklaͤrten Antlitze des Glaubens- helden erhabener Seelenfriede. Auch mochte er mit uns zwei- feln, ob er noch den Tagesanbruch dieſes Charmittwochs erlebte.
Von nun an ſtieg ſeine Schwaͤche mehr und mehr, und krampf- hafte Empfindungen ſtellten ſich ein, ſo daß wir oͤfters den Au- genblick des Erſtickens wahrzunehmen glaubten. Herzzerreißend war der Anblick des ehrwuͤrdigen Greiſes, wenn ihm der Athem ſtockte, er ſeine Haͤnde faltete, und ſeinen Blick zum Himmel hob, meinend, er werde nun der Lebensluft nie mehr genießen. Mehrmals hatten wir dieſen aͤngſtenden, fuͤr uns ſo ſchrecklichen Anblick des Erſtickens; und wir konnten nur beten, Gott moͤge ihm den Heimgang erleichtern. Wenn ſich dann der harte An- fall wiederholte, rief er aus: „Herr nimm mich auf in deine „ewige Huͤtte!“ oder einmal, da es ihm ſchwer ward, das Ath- men vor dem Waſſer in der Bruſt zu erringen, breitete er die Arme nach oben, und rief: „Fort, fort!“ Unterdeſſen ward ſein lechzender trockener Gaumen durch labende Getraͤnke fortwaͤhrend erquickt, und ſeine Liebe zur Reinlichkeit und Ordnung war bis ans Ende wahrzunehmen. Ein anderes Mal rief er in dem quaͤlenden Krampfe: „Du Todesuͤberwinder, Kraft!“ Alles dieß rief er aber mit ſchwacher jedoch bewegter Stimme; und mit ſeinen Blicken weilte er auf allen den Seinigen, die um ſein Bett herſtanden, und die ſein hohes Beiſpiel der Geduld und des Gei- ſtes in dieſem anhaltenden Todeskampfe nur zum Gebete an- treiben konnte. Und wo ſich das Eine oder das Andere von uns durch Dienſtleiſtungen genoͤthigt fand, wegzugehen, und be- ſorgt war, dem ſterbenden Vater noch jegliches erquickende und ſtaͤrkende Mittel darzureichen, ſah er ihm aͤngſtlich nach, und
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„in ſeinem Blute, welches fuͤr Euch und fuͤr Viele — und am
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„den!“ und als er zuletzt genommen, ſtreckte er ſeine Haͤnde
zum Segen aus, und rief: „Der Herr ſey mit Euch!“
Und nachdem er dieſe feierliche, erhabene Handlung, welche
er ohne Noth nicht unternommen haͤtte, weil er in Allem Ord-
nung, Brauch und Sitte ehrte und befolgte, nach rein evange-
liſchen Grundſaͤtzen als chriſtlicher Patriarch auf dem Sterbebette
beendigt, legte er ſich zum Schlummer nieder, und es zeigte
ſich auf ſeinem ſchon damals verklaͤrten Antlitze des Glaubens-
helden erhabener Seelenfriede. Auch mochte er mit uns zwei-
feln, ob er noch den Tagesanbruch dieſes Charmittwochs erlebte.
Von nun an ſtieg ſeine Schwaͤche mehr und mehr, und krampf-
hafte Empfindungen ſtellten ſich ein, ſo daß wir oͤfters den Au-
genblick des Erſtickens wahrzunehmen glaubten. Herzzerreißend
war der Anblick des ehrwuͤrdigen Greiſes, wenn ihm der Athem
ſtockte, er ſeine Haͤnde faltete, und ſeinen Blick zum Himmel
hob, meinend, er werde nun der Lebensluft nie mehr genießen.
Mehrmals hatten wir dieſen aͤngſtenden, fuͤr uns ſo ſchrecklichen
Anblick des Erſtickens; und wir konnten nur beten, Gott moͤge
ihm den Heimgang erleichtern. Wenn ſich dann der harte An-
fall wiederholte, rief er aus: „Herr nimm mich auf in deine
„ewige Huͤtte!“ oder einmal, da es ihm ſchwer ward, das Ath-
men vor dem Waſſer in der Bruſt zu erringen, breitete er die
Arme nach oben, und rief: „Fort, fort!“ Unterdeſſen ward ſein
lechzender trockener Gaumen durch labende Getraͤnke fortwaͤhrend
erquickt, und ſeine Liebe zur Reinlichkeit und Ordnung war bis
ans Ende wahrzunehmen. Ein anderes Mal rief er in dem
quaͤlenden Krampfe: „Du Todesuͤberwinder, Kraft!“ Alles dieß
rief er aber mit ſchwacher jedoch bewegter Stimme; und mit
ſeinen Blicken weilte er auf allen den Seinigen, die um ſein Bett
herſtanden, und die ſein hohes Beiſpiel der Geduld und des Gei-
ſtes in dieſem anhaltenden Todeskampfe nur zum Gebete an-
treiben konnte. Und wo ſich das Eine oder das Andere von
uns durch Dienſtleiſtungen genoͤthigt fand, wegzugehen, und be-
ſorgt war, dem ſterbenden Vater noch jegliches erquickende und
ſtaͤrkende Mittel darzureichen, ſah er ihm aͤngſtlich nach, und
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1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 646. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/654>, abgerufen am 24.11.2024.
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