sagte einige Male: "Es geht keines weg!" So rang der ehr- würdige Greis mehrere Stunden um seine Vollendung, und es war, als wenn fernher Strahlen vom Reiche des Lichts sein erhabenes Antlitz umleuchteten, und ihm Kraft im Kampfe zu- führten. Sah er uns dann trauernd um sich her stehen, und bemerkte er unser Leiden um ihn, so sagte er: "Habt Geduld!" Später am Vormittage sah er einen befreundeten Geistlichen durch die Thüre blicken, den er mit einem freundlichen Blicke begrüßte, und der an sein Bett trat, und seine Gedanken aussprach, als: "Derjenige, der dort am Kreuze litt, hilft Ihnen überwinden!" worauf er erwiederte: "Ja wohl, daran zweifle ich nicht!" Und als jener folgende Worte ausgesprochen:
"Wie wird mir dann, Erlöser! seyn, Wenn ich mich deiner ganz zu freun, Dich dort anbeten werde."
antwortete er mit: "Ja und Amen!"
Aber es nahete allgemach der ernste traurige Augenblick heran. Der weitgeförderte Christ sollte den Kelch der Prüfungen gleich seinem Erlöser, zum herrlichen Glaubenszeugnisse vor der Welt, bis auf die Hefe trinken. -- Und es war die Mitte der heiligen Woche. Mit seinem Heilande ging er dem Tode und der Vollen- dung entgegen. Da, sein von Liebe und Würde strahlendes Angesicht schauend, konnte man rufen: Tod, wo ist dein Sta- chel! Hölle, wo ist dein Sieg! Gott aber sey Dank, der ihm den Sieg verliehen durch seinen Herrn Jesum Christum!"
Immer suchte er uns, das Eine nach dem Andern, mit sei- nem lieblichen feierlichen Blicke, und rief einmal: "Haltet an im Gebet!" und wir unterließen es nicht.
Noch einige Male labte sich sein lechzender Gaumen durch kühlendes Getränke, bis er zuletzt sagte: "Laß gut seyn, es geht "nicht mehr hinunter!" Mehrmals stammelte er in seinem krampf- haften Zustande Flehensworte zu dem Vollbringer, als: "Herr schneide den Lebensfaden ab!" dann: "Vater, nimm meinen Geist auf!" und jetzt glaubten wir den letzten Athemzug zu hö- ren. Jedoch seine starke Natur ermannte sich noch ein wenig- er bereitete sich auf den bevorstehenden Stoß durch eine gestreckte
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ſagte einige Male: „Es geht keines weg!“ So rang der ehr- wuͤrdige Greis mehrere Stunden um ſeine Vollendung, und es war, als wenn fernher Strahlen vom Reiche des Lichts ſein erhabenes Antlitz umleuchteten, und ihm Kraft im Kampfe zu- fuͤhrten. Sah er uns dann trauernd um ſich her ſtehen, und bemerkte er unſer Leiden um ihn, ſo ſagte er: „Habt Geduld!“ Spaͤter am Vormittage ſah er einen befreundeten Geiſtlichen durch die Thuͤre blicken, den er mit einem freundlichen Blicke begruͤßte, und der an ſein Bett trat, und ſeine Gedanken ausſprach, als: „Derjenige, der dort am Kreuze litt, hilft Ihnen uͤberwinden!“ worauf er erwiederte: „Ja wohl, daran zweifle ich nicht!“ Und als jener folgende Worte ausgeſprochen:
„Wie wird mir dann, Erloͤſer! ſeyn, Wenn ich mich deiner ganz zu freun, Dich dort anbeten werde.“
antwortete er mit: „Ja und Amen!“
Aber es nahete allgemach der ernſte traurige Augenblick heran. Der weitgefoͤrderte Chriſt ſollte den Kelch der Pruͤfungen gleich ſeinem Erloͤſer, zum herrlichen Glaubenszeugniſſe vor der Welt, bis auf die Hefe trinken. — Und es war die Mitte der heiligen Woche. Mit ſeinem Heilande ging er dem Tode und der Vollen- dung entgegen. Da, ſein von Liebe und Wuͤrde ſtrahlendes Angeſicht ſchauend, konnte man rufen: Tod, wo iſt dein Sta- chel! Hoͤlle, wo iſt dein Sieg! Gott aber ſey Dank, der ihm den Sieg verliehen durch ſeinen Herrn Jeſum Chriſtum!“
Immer ſuchte er uns, das Eine nach dem Andern, mit ſei- nem lieblichen feierlichen Blicke, und rief einmal: „Haltet an im Gebet!“ und wir unterließen es nicht.
Noch einige Male labte ſich ſein lechzender Gaumen durch kuͤhlendes Getraͤnke, bis er zuletzt ſagte: „Laß gut ſeyn, es geht „nicht mehr hinunter!“ Mehrmals ſtammelte er in ſeinem krampf- haften Zuſtande Flehensworte zu dem Vollbringer, als: „Herr ſchneide den Lebensfaden ab!“ dann: „Vater, nimm meinen Geiſt auf!“ und jetzt glaubten wir den letzten Athemzug zu hoͤ- ren. Jedoch ſeine ſtarke Natur ermannte ſich noch ein wenig- er bereitete ſich auf den bevorſtehenden Stoß durch eine geſtreckte
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ſagte einige Male: „Es geht keines weg!“ So rang der ehr-
wuͤrdige Greis mehrere Stunden um ſeine Vollendung, und es
war, als wenn fernher Strahlen vom Reiche des Lichts ſein
erhabenes Antlitz umleuchteten, und ihm Kraft im Kampfe zu-
fuͤhrten. Sah er uns dann trauernd um ſich her ſtehen, und
bemerkte er unſer Leiden um ihn, ſo ſagte er: „Habt Geduld!“
Spaͤter am Vormittage ſah er einen befreundeten Geiſtlichen durch
die Thuͤre blicken, den er mit einem freundlichen Blicke begruͤßte,
und der an ſein Bett trat, und ſeine Gedanken ausſprach, als:
„Derjenige, der dort am Kreuze litt, hilft Ihnen uͤberwinden!“
worauf er erwiederte: „Ja wohl, daran zweifle ich nicht!“ Und
als jener folgende Worte ausgeſprochen:
„Wie wird mir dann, Erloͤſer! ſeyn,
Wenn ich mich deiner ganz zu freun,
Dich dort anbeten werde.“
antwortete er mit: „Ja und Amen!“
Aber es nahete allgemach der ernſte traurige Augenblick heran.
Der weitgefoͤrderte Chriſt ſollte den Kelch der Pruͤfungen gleich
ſeinem Erloͤſer, zum herrlichen Glaubenszeugniſſe vor der Welt,
bis auf die Hefe trinken. — Und es war die Mitte der heiligen
Woche. Mit ſeinem Heilande ging er dem Tode und der Vollen-
dung entgegen. Da, ſein von Liebe und Wuͤrde ſtrahlendes
Angeſicht ſchauend, konnte man rufen: Tod, wo iſt dein Sta-
chel! Hoͤlle, wo iſt dein Sieg! Gott aber ſey Dank, der ihm
den Sieg verliehen durch ſeinen Herrn Jeſum Chriſtum!“
Immer ſuchte er uns, das Eine nach dem Andern, mit ſei-
nem lieblichen feierlichen Blicke, und rief einmal: „Haltet an
im Gebet!“ und wir unterließen es nicht.
Noch einige Male labte ſich ſein lechzender Gaumen durch
kuͤhlendes Getraͤnke, bis er zuletzt ſagte: „Laß gut ſeyn, es geht
„nicht mehr hinunter!“ Mehrmals ſtammelte er in ſeinem krampf-
haften Zuſtande Flehensworte zu dem Vollbringer, als: „Herr
ſchneide den Lebensfaden ab!“ dann: „Vater, nimm meinen
Geiſt auf!“ und jetzt glaubten wir den letzten Athemzug zu hoͤ-
ren. Jedoch ſeine ſtarke Natur ermannte ſich noch ein wenig-
er bereitete ſich auf den bevorſtehenden Stoß durch eine geſtreckte
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/655>, abgerufen am 21.11.2024.
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