hierin sein treu erkämpftes Eigenthum zu besitzen. Wie sein Glaube von Anfang fest stand, davon ist sein Stillingsbuch das wahrste und lauteste Bekenntniß. So stellte ihn seine tiefe und kräftige Natur in einen fortsiegenden Tugendkampf, und so machte ihn die Gotteskraft des Evangeliums zu einem Glaubenshelden, der wohl zehnmal Märtyrer geworden wäre. Er lebte sich gleich- sam in die ersten Zeiten des Christenthums, wo ihn die Verkün- digung des Herrn und die Schmach für den Herrn zu einem apostolischen Streiter würde gemacht haben; weßhalb er auch bei der Apokalypse, als Siegsgeschichte des Christenthums, so gerne weilte. Ueberhaupt zeigte sich in seinem gewaltigen Geistesleben, daß man die Meinung, das Christenthum sey eine Religion der Schwachen, sehr falsch versteht, wenn man nicht hinzu setzt: und darum noch mehr der Starken.
Bei solchem innern Leben und unter solchen Schicksalen -- beides verhält sich ja bei großen Menschen zu einander wie die innere Natur eines Planeten zu seiner Geschichte -- mußte ihm auch das Christenthum hauptsächlich von der Seite entgegen leuchten, wie sich dasselbe bei seinem Eintreten in die Welt offen- bart hatte, nämlich in seinem Kampfe. Hiernach betrachtete er beständig die Weltlage, und er äußerte manches wegen der Zukunft, das wie ein prophetisches Wort nach 10 oder 20 Jah- ren nur zu sehr eintraf. Am stärksten war aber dieses in Be- ziehung auf sein eigenes Innere. Wer die menschliche Sünd- haftigkeit mit christlicher Selbsterkenntniß einsieht, kann unmög- lich sich selbst den Sieg zuschreiben; er weiß es gar wohl, daß die Kraft von oben kommt. So rief Stilling überall den Bei- stand Gottes an, und fühlte lobpreißend die Nähe des Herrn. Wir würden ihn mit einem Augustinus vergleichen, wenn er, wie dieser, von einer lasterhaften Verdorbenheit sich erst in spä- tern Zeiten loszukämpfen gehabt hätte; und wenn ihm nicht das tolle, lege! durch die Frömmigkeit, die von seinem Kindesalter an mit ihm erwachsen war, wäre erspart worden. Ich habe ihm manchmal meine Gedanken geäußert, wie jener innere Kampf, womit man in das Gottesreich eintritt, Wiederge- burt genannt, auch als stetig in der Zeit sich entwickelnd statt finden könne, so daß von Kindheit auf das innere Leben durch-
hierin ſein treu erkaͤmpftes Eigenthum zu beſitzen. Wie ſein Glaube von Anfang feſt ſtand, davon iſt ſein Stillingsbuch das wahrſte und lauteſte Bekenntniß. So ſtellte ihn ſeine tiefe und kraͤftige Natur in einen fortſiegenden Tugendkampf, und ſo machte ihn die Gotteskraft des Evangeliums zu einem Glaubenshelden, der wohl zehnmal Maͤrtyrer geworden waͤre. Er lebte ſich gleich- ſam in die erſten Zeiten des Chriſtenthums, wo ihn die Verkuͤn- digung des Herrn und die Schmach fuͤr den Herrn zu einem apoſtoliſchen Streiter wuͤrde gemacht haben; weßhalb er auch bei der Apokalypſe, als Siegsgeſchichte des Chriſtenthums, ſo gerne weilte. Ueberhaupt zeigte ſich in ſeinem gewaltigen Geiſtesleben, daß man die Meinung, das Chriſtenthum ſey eine Religion der Schwachen, ſehr falſch verſteht, wenn man nicht hinzu ſetzt: und darum noch mehr der Starken.
Bei ſolchem innern Leben und unter ſolchen Schickſalen — beides verhaͤlt ſich ja bei großen Menſchen zu einander wie die innere Natur eines Planeten zu ſeiner Geſchichte — mußte ihm auch das Chriſtenthum hauptſaͤchlich von der Seite entgegen leuchten, wie ſich daſſelbe bei ſeinem Eintreten in die Welt offen- bart hatte, naͤmlich in ſeinem Kampfe. Hiernach betrachtete er beſtaͤndig die Weltlage, und er aͤußerte manches wegen der Zukunft, das wie ein prophetiſches Wort nach 10 oder 20 Jah- ren nur zu ſehr eintraf. Am ſtaͤrkſten war aber dieſes in Be- ziehung auf ſein eigenes Innere. Wer die menſchliche Suͤnd- haftigkeit mit chriſtlicher Selbſterkenntniß einſieht, kann unmoͤg- lich ſich ſelbſt den Sieg zuſchreiben; er weiß es gar wohl, daß die Kraft von oben kommt. So rief Stilling uͤberall den Bei- ſtand Gottes an, und fuͤhlte lobpreißend die Naͤhe des Herrn. Wir wuͤrden ihn mit einem Auguſtinus vergleichen, wenn er, wie dieſer, von einer laſterhaften Verdorbenheit ſich erſt in ſpaͤ- tern Zeiten loszukaͤmpfen gehabt haͤtte; und wenn ihm nicht das tolle, lege! durch die Froͤmmigkeit, die von ſeinem Kindesalter an mit ihm erwachſen war, waͤre erſpart worden. Ich habe ihm manchmal meine Gedanken geaͤußert, wie jener innere Kampf, womit man in das Gottesreich eintritt, Wiederge- burt genannt, auch als ſtetig in der Zeit ſich entwickelnd ſtatt finden koͤnne, ſo daß von Kindheit auf das innere Leben durch-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0662"n="654"/>
hierin ſein treu erkaͤmpftes Eigenthum zu beſitzen. Wie ſein<lb/>
Glaube von Anfang feſt ſtand, davon iſt ſein Stillingsbuch das<lb/>
wahrſte und lauteſte Bekenntniß. So ſtellte ihn ſeine tiefe und<lb/>
kraͤftige Natur in einen fortſiegenden Tugendkampf, und ſo machte<lb/>
ihn die Gotteskraft des Evangeliums zu einem Glaubenshelden,<lb/>
der wohl zehnmal Maͤrtyrer geworden waͤre. Er lebte ſich gleich-<lb/>ſam in die erſten Zeiten des Chriſtenthums, wo ihn die Verkuͤn-<lb/>
digung des Herrn und die Schmach fuͤr den Herrn zu einem<lb/>
apoſtoliſchen Streiter wuͤrde gemacht haben; weßhalb er auch bei<lb/>
der Apokalypſe, als Siegsgeſchichte des Chriſtenthums, ſo gerne<lb/>
weilte. Ueberhaupt zeigte ſich in ſeinem gewaltigen Geiſtesleben,<lb/>
daß man die Meinung, das Chriſtenthum ſey eine Religion der<lb/><hirendition="#g">Schwachen</hi>, ſehr falſch verſteht, wenn man nicht hinzu ſetzt:<lb/>
und darum noch mehr der Starken.</p><lb/><p>Bei ſolchem innern Leben und unter ſolchen Schickſalen —<lb/>
beides verhaͤlt ſich ja bei großen Menſchen zu einander wie die<lb/>
innere Natur eines Planeten zu ſeiner Geſchichte — mußte ihm<lb/>
auch das Chriſtenthum hauptſaͤchlich von <hirendition="#g">der</hi> Seite entgegen<lb/>
leuchten, wie ſich daſſelbe bei ſeinem Eintreten in die Welt offen-<lb/>
bart hatte, naͤmlich in ſeinem Kampfe. Hiernach betrachtete<lb/>
er beſtaͤndig die Weltlage, und er aͤußerte manches wegen der<lb/>
Zukunft, das wie ein prophetiſches Wort nach 10 oder 20 Jah-<lb/>
ren nur zu ſehr eintraf. Am ſtaͤrkſten war aber dieſes in Be-<lb/>
ziehung auf ſein eigenes Innere. Wer die menſchliche Suͤnd-<lb/>
haftigkeit mit chriſtlicher Selbſterkenntniß einſieht, kann unmoͤg-<lb/>
lich ſich ſelbſt den Sieg zuſchreiben; er weiß es gar wohl, daß<lb/>
die Kraft von oben kommt. So rief Stilling uͤberall den Bei-<lb/>ſtand Gottes an, und fuͤhlte lobpreißend die Naͤhe des Herrn.<lb/>
Wir wuͤrden ihn mit einem Auguſtinus vergleichen, wenn er,<lb/>
wie dieſer, von einer laſterhaften Verdorbenheit ſich erſt in ſpaͤ-<lb/>
tern Zeiten loszukaͤmpfen gehabt haͤtte; und wenn ihm nicht das<lb/><hirendition="#aq">tolle, lege</hi>! durch die Froͤmmigkeit, die von ſeinem Kindesalter<lb/>
an mit ihm erwachſen war, waͤre erſpart worden. Ich habe<lb/>
ihm manchmal meine Gedanken geaͤußert, wie jener innere<lb/>
Kampf, womit man in das Gottesreich eintritt, <hirendition="#g">Wiederge-<lb/>
burt</hi> genannt, auch als ſtetig in der Zeit ſich entwickelnd ſtatt<lb/>
finden koͤnne, ſo daß von Kindheit auf das innere Leben durch-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[654/0662]
hierin ſein treu erkaͤmpftes Eigenthum zu beſitzen. Wie ſein
Glaube von Anfang feſt ſtand, davon iſt ſein Stillingsbuch das
wahrſte und lauteſte Bekenntniß. So ſtellte ihn ſeine tiefe und
kraͤftige Natur in einen fortſiegenden Tugendkampf, und ſo machte
ihn die Gotteskraft des Evangeliums zu einem Glaubenshelden,
der wohl zehnmal Maͤrtyrer geworden waͤre. Er lebte ſich gleich-
ſam in die erſten Zeiten des Chriſtenthums, wo ihn die Verkuͤn-
digung des Herrn und die Schmach fuͤr den Herrn zu einem
apoſtoliſchen Streiter wuͤrde gemacht haben; weßhalb er auch bei
der Apokalypſe, als Siegsgeſchichte des Chriſtenthums, ſo gerne
weilte. Ueberhaupt zeigte ſich in ſeinem gewaltigen Geiſtesleben,
daß man die Meinung, das Chriſtenthum ſey eine Religion der
Schwachen, ſehr falſch verſteht, wenn man nicht hinzu ſetzt:
und darum noch mehr der Starken.
Bei ſolchem innern Leben und unter ſolchen Schickſalen —
beides verhaͤlt ſich ja bei großen Menſchen zu einander wie die
innere Natur eines Planeten zu ſeiner Geſchichte — mußte ihm
auch das Chriſtenthum hauptſaͤchlich von der Seite entgegen
leuchten, wie ſich daſſelbe bei ſeinem Eintreten in die Welt offen-
bart hatte, naͤmlich in ſeinem Kampfe. Hiernach betrachtete
er beſtaͤndig die Weltlage, und er aͤußerte manches wegen der
Zukunft, das wie ein prophetiſches Wort nach 10 oder 20 Jah-
ren nur zu ſehr eintraf. Am ſtaͤrkſten war aber dieſes in Be-
ziehung auf ſein eigenes Innere. Wer die menſchliche Suͤnd-
haftigkeit mit chriſtlicher Selbſterkenntniß einſieht, kann unmoͤg-
lich ſich ſelbſt den Sieg zuſchreiben; er weiß es gar wohl, daß
die Kraft von oben kommt. So rief Stilling uͤberall den Bei-
ſtand Gottes an, und fuͤhlte lobpreißend die Naͤhe des Herrn.
Wir wuͤrden ihn mit einem Auguſtinus vergleichen, wenn er,
wie dieſer, von einer laſterhaften Verdorbenheit ſich erſt in ſpaͤ-
tern Zeiten loszukaͤmpfen gehabt haͤtte; und wenn ihm nicht das
tolle, lege! durch die Froͤmmigkeit, die von ſeinem Kindesalter
an mit ihm erwachſen war, waͤre erſpart worden. Ich habe
ihm manchmal meine Gedanken geaͤußert, wie jener innere
Kampf, womit man in das Gottesreich eintritt, Wiederge-
burt genannt, auch als ſtetig in der Zeit ſich entwickelnd ſtatt
finden koͤnne, ſo daß von Kindheit auf das innere Leben durch-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 654. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/662>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.