etwas Orientalisches in seinem Wesen. Nirgends war er Schwäch- ling, jedes seiner Worte war Kraft, jeder seiner Gedanken ein starkes Kind seiner Seele, jedes Bild seiner lebenvollen Phan- tasie trat in scharfen Umrissen hervor und war in brennende Farben getaucht; selbst die Handzeichnungen, womit er sich manchmal in Erholungsstunden versuchte, hatten daher etwas Grelles. So nahm er auch nichts leicht. Sein Naturell neigte vielmehr sich zu einer gewissen Schwermuth hin. Daher die Feierlichkeit in seinem Wesen, und der oft für Andere etwas drük- kende Ernst, womit er Dinge aufnahm, über die man wohl leich- ter hinsehen konnte; ihm stellte sich alles, was er vernahm, sogleich in eine Beziehung auf seine Religion. Dieser feierliche Ernst war die strengste Gewissenhaftigkeit; eine sowohl innere als äußere Wahrheit, wie sie uns selten genug scheint. Eben damit hing sein Humor zusammen, wie man ihn bekanntlich an gefühlvollen und großen Seelen manchmal bemerkt. Steht ihnen und ihrem Kreise das Wichtige und Heilige fest, so ist bei ihrem reinen Bewußtseyn ein leichter Scherz seinem Spiel frei- gegeben, und der Geist kann sich auch bei dem kühnsten Contrast auf das Herz verlassen. Dagegen nahm er alles, was die Re- ligion und Sittlichkeit, und wenn auch durch Nebendinge bedrohte, sehr ernsthaft. Er konnte weder ein ungünstiges Urtheil, noch einen gefährlichen Scherz über jemand, der ihm von einer guten Seite bekannt war, geschweige über Freunde, ohne eine zurück- weisende Gegenerinnerung und, wenn er nichts dagegen ver- mochte, doch mit einem Seufzer anhören.
Nichts entrüstete ihn mehr, als das Bespötteln und Verhöhnen, selbst wenn es nicht grade das Heilige angriff: und dagegen welche Milde, womit er Beleidigungen aufnahm, selbst wenn sie in Grobheit gegen ihn ausbrachen! Dieser tiefe Ernst zeigt sich in seiner Wahrheitsliebe bei Religionszweifel von Jugend auf. Sein ganzer Geist war alsdann in Bewegung: oft kämpfte er bis auf's Blut, um sich Licht und Gewißheit zu erringen. Ja es war, als wenn ein innerer Feind ihm alles Wahre, das ihm heilig blieb, und alles Gute, worin er lebte, von dem Entstehen an streitig gemacht hätte, und ihm, immer neckend, anfocht, und als ob er alles Schritt vor Schritt erringen müsse, um
etwas Orientaliſches in ſeinem Weſen. Nirgends war er Schwaͤch- ling, jedes ſeiner Worte war Kraft, jeder ſeiner Gedanken ein ſtarkes Kind ſeiner Seele, jedes Bild ſeiner lebenvollen Phan- taſie trat in ſcharfen Umriſſen hervor und war in brennende Farben getaucht; ſelbſt die Handzeichnungen, womit er ſich manchmal in Erholungsſtunden verſuchte, hatten daher etwas Grelles. So nahm er auch nichts leicht. Sein Naturell neigte vielmehr ſich zu einer gewiſſen Schwermuth hin. Daher die Feierlichkeit in ſeinem Weſen, und der oft fuͤr Andere etwas druͤk- kende Ernſt, womit er Dinge aufnahm, uͤber die man wohl leich- ter hinſehen konnte; ihm ſtellte ſich alles, was er vernahm, ſogleich in eine Beziehung auf ſeine Religion. Dieſer feierliche Ernſt war die ſtrengſte Gewiſſenhaftigkeit; eine ſowohl innere als aͤußere Wahrheit, wie ſie uns ſelten genug ſcheint. Eben damit hing ſein Humor zuſammen, wie man ihn bekanntlich an gefuͤhlvollen und großen Seelen manchmal bemerkt. Steht ihnen und ihrem Kreiſe das Wichtige und Heilige feſt, ſo iſt bei ihrem reinen Bewußtſeyn ein leichter Scherz ſeinem Spiel frei- gegeben, und der Geiſt kann ſich auch bei dem kuͤhnſten Contraſt auf das Herz verlaſſen. Dagegen nahm er alles, was die Re- ligion und Sittlichkeit, und wenn auch durch Nebendinge bedrohte, ſehr ernſthaft. Er konnte weder ein unguͤnſtiges Urtheil, noch einen gefaͤhrlichen Scherz uͤber jemand, der ihm von einer guten Seite bekannt war, geſchweige uͤber Freunde, ohne eine zuruͤck- weiſende Gegenerinnerung und, wenn er nichts dagegen ver- mochte, doch mit einem Seufzer anhoͤren.
Nichts entruͤſtete ihn mehr, als das Beſpoͤtteln und Verhoͤhnen, ſelbſt wenn es nicht grade das Heilige angriff: und dagegen welche Milde, womit er Beleidigungen aufnahm, ſelbſt wenn ſie in Grobheit gegen ihn ausbrachen! Dieſer tiefe Ernſt zeigt ſich in ſeiner Wahrheitsliebe bei Religionszweifel von Jugend auf. Sein ganzer Geiſt war alsdann in Bewegung: oft kaͤmpfte er bis auf’s Blut, um ſich Licht und Gewißheit zu erringen. Ja es war, als wenn ein innerer Feind ihm alles Wahre, das ihm heilig blieb, und alles Gute, worin er lebte, von dem Entſtehen an ſtreitig gemacht haͤtte, und ihm, immer neckend, anfocht, und als ob er alles Schritt vor Schritt erringen muͤſſe, um
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etwas Orientaliſches in ſeinem Weſen. Nirgends war er Schwaͤch-
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taſie trat in ſcharfen Umriſſen hervor und war in brennende
Farben getaucht; ſelbſt die Handzeichnungen, womit er ſich
manchmal in Erholungsſtunden verſuchte, hatten daher etwas
Grelles. So nahm er auch nichts leicht. Sein Naturell neigte
vielmehr ſich zu einer gewiſſen Schwermuth hin. Daher die
Feierlichkeit in ſeinem Weſen, und der oft fuͤr Andere etwas druͤk-
kende Ernſt, womit er Dinge aufnahm, uͤber die man wohl leich-
ter hinſehen konnte; ihm ſtellte ſich alles, was er vernahm,
ſogleich in eine Beziehung auf ſeine Religion. Dieſer feierliche
Ernſt war die ſtrengſte Gewiſſenhaftigkeit; eine ſowohl innere
als aͤußere Wahrheit, wie ſie uns ſelten genug ſcheint. Eben
damit hing ſein Humor zuſammen, wie man ihn bekanntlich
an gefuͤhlvollen und großen Seelen manchmal bemerkt. Steht
ihnen und ihrem Kreiſe das Wichtige und Heilige feſt, ſo iſt bei
ihrem reinen Bewußtſeyn ein leichter Scherz ſeinem Spiel frei-
gegeben, und der Geiſt kann ſich auch bei dem kuͤhnſten Contraſt
auf das Herz verlaſſen. Dagegen nahm er alles, was die Re-
ligion und Sittlichkeit, und wenn auch durch Nebendinge bedrohte,
ſehr ernſthaft. Er konnte weder ein unguͤnſtiges Urtheil, noch
einen gefaͤhrlichen Scherz uͤber jemand, der ihm von einer guten
Seite bekannt war, geſchweige uͤber Freunde, ohne eine zuruͤck-
weiſende Gegenerinnerung und, wenn er nichts dagegen ver-
mochte, doch mit einem Seufzer anhoͤren.
Nichts entruͤſtete ihn mehr, als das Beſpoͤtteln und Verhoͤhnen,
ſelbſt wenn es nicht grade das Heilige angriff: und dagegen
welche Milde, womit er Beleidigungen aufnahm, ſelbſt wenn ſie
in Grobheit gegen ihn ausbrachen! Dieſer tiefe Ernſt zeigt ſich
in ſeiner Wahrheitsliebe bei Religionszweifel von Jugend auf.
Sein ganzer Geiſt war alsdann in Bewegung: oft kaͤmpfte er
bis auf’s Blut, um ſich Licht und Gewißheit zu erringen. Ja
es war, als wenn ein innerer Feind ihm alles Wahre, das ihm
heilig blieb, und alles Gute, worin er lebte, von dem Entſtehen
an ſtreitig gemacht haͤtte, und ihm, immer neckend, anfocht,
und als ob er alles Schritt vor Schritt erringen muͤſſe, um
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/661>, abgerufen am 16.02.2025.
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