Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

etwas Orientalisches in seinem Wesen. Nirgends war er Schwäch-
ling, jedes seiner Worte war Kraft, jeder seiner Gedanken ein
starkes Kind seiner Seele, jedes Bild seiner lebenvollen Phan-
tasie trat in scharfen Umrissen hervor und war in brennende
Farben getaucht; selbst die Handzeichnungen, womit er sich
manchmal in Erholungsstunden versuchte, hatten daher etwas
Grelles. So nahm er auch nichts leicht. Sein Naturell neigte
vielmehr sich zu einer gewissen Schwermuth hin. Daher die
Feierlichkeit in seinem Wesen, und der oft für Andere etwas drük-
kende Ernst, womit er Dinge aufnahm, über die man wohl leich-
ter hinsehen konnte; ihm stellte sich alles, was er vernahm,
sogleich in eine Beziehung auf seine Religion. Dieser feierliche
Ernst war die strengste Gewissenhaftigkeit; eine sowohl innere
als äußere Wahrheit, wie sie uns selten genug scheint. Eben
damit hing sein Humor zusammen, wie man ihn bekanntlich
an gefühlvollen und großen Seelen manchmal bemerkt. Steht
ihnen und ihrem Kreise das Wichtige und Heilige fest, so ist bei
ihrem reinen Bewußtseyn ein leichter Scherz seinem Spiel frei-
gegeben, und der Geist kann sich auch bei dem kühnsten Contrast
auf das Herz verlassen. Dagegen nahm er alles, was die Re-
ligion und Sittlichkeit, und wenn auch durch Nebendinge bedrohte,
sehr ernsthaft. Er konnte weder ein ungünstiges Urtheil, noch
einen gefährlichen Scherz über jemand, der ihm von einer guten
Seite bekannt war, geschweige über Freunde, ohne eine zurück-
weisende Gegenerinnerung und, wenn er nichts dagegen ver-
mochte, doch mit einem Seufzer anhören.

Nichts entrüstete ihn mehr, als das Bespötteln und Verhöhnen,
selbst wenn es nicht grade das Heilige angriff: und dagegen
welche Milde, womit er Beleidigungen aufnahm, selbst wenn sie
in Grobheit gegen ihn ausbrachen! Dieser tiefe Ernst zeigt sich
in seiner Wahrheitsliebe bei Religionszweifel von Jugend auf.
Sein ganzer Geist war alsdann in Bewegung: oft kämpfte er
bis auf's Blut, um sich Licht und Gewißheit zu erringen. Ja
es war, als wenn ein innerer Feind ihm alles Wahre, das ihm
heilig blieb, und alles Gute, worin er lebte, von dem Entstehen
an streitig gemacht hätte, und ihm, immer neckend, anfocht,
und als ob er alles Schritt vor Schritt erringen müsse, um

etwas Orientaliſches in ſeinem Weſen. Nirgends war er Schwaͤch-
ling, jedes ſeiner Worte war Kraft, jeder ſeiner Gedanken ein
ſtarkes Kind ſeiner Seele, jedes Bild ſeiner lebenvollen Phan-
taſie trat in ſcharfen Umriſſen hervor und war in brennende
Farben getaucht; ſelbſt die Handzeichnungen, womit er ſich
manchmal in Erholungsſtunden verſuchte, hatten daher etwas
Grelles. So nahm er auch nichts leicht. Sein Naturell neigte
vielmehr ſich zu einer gewiſſen Schwermuth hin. Daher die
Feierlichkeit in ſeinem Weſen, und der oft fuͤr Andere etwas druͤk-
kende Ernſt, womit er Dinge aufnahm, uͤber die man wohl leich-
ter hinſehen konnte; ihm ſtellte ſich alles, was er vernahm,
ſogleich in eine Beziehung auf ſeine Religion. Dieſer feierliche
Ernſt war die ſtrengſte Gewiſſenhaftigkeit; eine ſowohl innere
als aͤußere Wahrheit, wie ſie uns ſelten genug ſcheint. Eben
damit hing ſein Humor zuſammen, wie man ihn bekanntlich
an gefuͤhlvollen und großen Seelen manchmal bemerkt. Steht
ihnen und ihrem Kreiſe das Wichtige und Heilige feſt, ſo iſt bei
ihrem reinen Bewußtſeyn ein leichter Scherz ſeinem Spiel frei-
gegeben, und der Geiſt kann ſich auch bei dem kuͤhnſten Contraſt
auf das Herz verlaſſen. Dagegen nahm er alles, was die Re-
ligion und Sittlichkeit, und wenn auch durch Nebendinge bedrohte,
ſehr ernſthaft. Er konnte weder ein unguͤnſtiges Urtheil, noch
einen gefaͤhrlichen Scherz uͤber jemand, der ihm von einer guten
Seite bekannt war, geſchweige uͤber Freunde, ohne eine zuruͤck-
weiſende Gegenerinnerung und, wenn er nichts dagegen ver-
mochte, doch mit einem Seufzer anhoͤren.

Nichts entruͤſtete ihn mehr, als das Beſpoͤtteln und Verhoͤhnen,
ſelbſt wenn es nicht grade das Heilige angriff: und dagegen
welche Milde, womit er Beleidigungen aufnahm, ſelbſt wenn ſie
in Grobheit gegen ihn ausbrachen! Dieſer tiefe Ernſt zeigt ſich
in ſeiner Wahrheitsliebe bei Religionszweifel von Jugend auf.
Sein ganzer Geiſt war alsdann in Bewegung: oft kaͤmpfte er
bis auf’s Blut, um ſich Licht und Gewißheit zu erringen. Ja
es war, als wenn ein innerer Feind ihm alles Wahre, das ihm
heilig blieb, und alles Gute, worin er lebte, von dem Entſtehen
an ſtreitig gemacht haͤtte, und ihm, immer neckend, anfocht,
und als ob er alles Schritt vor Schritt erringen muͤſſe, um

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0661" n="653"/>
etwas Orientali&#x017F;ches in &#x017F;einem We&#x017F;en. Nirgends war er Schwa&#x0364;ch-<lb/>
ling, jedes &#x017F;einer Worte war Kraft, jeder &#x017F;einer Gedanken ein<lb/>
&#x017F;tarkes Kind &#x017F;einer Seele, jedes Bild &#x017F;einer lebenvollen Phan-<lb/>
ta&#x017F;ie trat in &#x017F;charfen Umri&#x017F;&#x017F;en hervor und war in brennende<lb/>
Farben getaucht; &#x017F;elb&#x017F;t die Handzeichnungen, womit er &#x017F;ich<lb/>
manchmal in Erholungs&#x017F;tunden ver&#x017F;uchte, hatten daher etwas<lb/>
Grelles. So nahm er auch nichts leicht. Sein Naturell neigte<lb/>
vielmehr &#x017F;ich zu einer gewi&#x017F;&#x017F;en Schwermuth hin. Daher die<lb/>
Feierlichkeit in &#x017F;einem We&#x017F;en, und der oft fu&#x0364;r Andere etwas dru&#x0364;k-<lb/>
kende Ern&#x017F;t, womit er Dinge aufnahm, u&#x0364;ber die man wohl leich-<lb/>
ter hin&#x017F;ehen konnte; ihm &#x017F;tellte &#x017F;ich <hi rendition="#g">alles</hi>, was er vernahm,<lb/>
&#x017F;ogleich in eine Beziehung auf &#x017F;eine Religion. Die&#x017F;er feierliche<lb/>
Ern&#x017F;t war die &#x017F;treng&#x017F;te Gewi&#x017F;&#x017F;enhaftigkeit; eine &#x017F;owohl innere<lb/>
als a&#x0364;ußere Wahrheit, wie &#x017F;ie uns &#x017F;elten genug &#x017F;cheint. Eben<lb/>
damit hing &#x017F;ein Humor zu&#x017F;ammen, wie man ihn bekanntlich<lb/>
an gefu&#x0364;hlvollen und großen Seelen manchmal bemerkt. Steht<lb/>
ihnen und ihrem Krei&#x017F;e das Wichtige und Heilige fe&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t bei<lb/>
ihrem reinen Bewußt&#x017F;eyn ein leichter Scherz &#x017F;einem Spiel frei-<lb/>
gegeben, und der Gei&#x017F;t kann &#x017F;ich auch bei dem ku&#x0364;hn&#x017F;ten Contra&#x017F;t<lb/>
auf das Herz verla&#x017F;&#x017F;en. Dagegen nahm er <hi rendition="#g">alles</hi>, was die Re-<lb/>
ligion und Sittlichkeit, und wenn auch durch Nebendinge bedrohte,<lb/>
&#x017F;ehr ern&#x017F;thaft. Er konnte weder ein ungu&#x0364;n&#x017F;tiges Urtheil, noch<lb/>
einen gefa&#x0364;hrlichen Scherz u&#x0364;ber jemand, der ihm von einer guten<lb/>
Seite bekannt war, ge&#x017F;chweige u&#x0364;ber Freunde, ohne eine zuru&#x0364;ck-<lb/>
wei&#x017F;ende Gegenerinnerung und, wenn er nichts dagegen ver-<lb/>
mochte, doch mit einem Seufzer anho&#x0364;ren.</p><lb/>
        <p>Nichts entru&#x0364;&#x017F;tete ihn mehr, als das Be&#x017F;po&#x0364;tteln und Verho&#x0364;hnen,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t wenn es nicht grade das Heilige angriff: und dagegen<lb/>
welche Milde, womit er Beleidigungen aufnahm, &#x017F;elb&#x017F;t wenn &#x017F;ie<lb/>
in Grobheit gegen ihn ausbrachen! Die&#x017F;er tiefe Ern&#x017F;t zeigt &#x017F;ich<lb/>
in &#x017F;einer Wahrheitsliebe bei Religionszweifel von Jugend auf.<lb/>
Sein ganzer Gei&#x017F;t war alsdann in Bewegung: oft ka&#x0364;mpfte er<lb/>
bis auf&#x2019;s Blut, um &#x017F;ich Licht und Gewißheit zu erringen. Ja<lb/>
es war, als wenn ein innerer Feind ihm alles Wahre, das ihm<lb/>
heilig blieb, und alles Gute, worin er lebte, von dem Ent&#x017F;tehen<lb/>
an &#x017F;treitig gemacht ha&#x0364;tte, und ihm, immer neckend, anfocht,<lb/>
und als ob er alles Schritt vor Schritt erringen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, um<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[653/0661] etwas Orientaliſches in ſeinem Weſen. Nirgends war er Schwaͤch- ling, jedes ſeiner Worte war Kraft, jeder ſeiner Gedanken ein ſtarkes Kind ſeiner Seele, jedes Bild ſeiner lebenvollen Phan- taſie trat in ſcharfen Umriſſen hervor und war in brennende Farben getaucht; ſelbſt die Handzeichnungen, womit er ſich manchmal in Erholungsſtunden verſuchte, hatten daher etwas Grelles. So nahm er auch nichts leicht. Sein Naturell neigte vielmehr ſich zu einer gewiſſen Schwermuth hin. Daher die Feierlichkeit in ſeinem Weſen, und der oft fuͤr Andere etwas druͤk- kende Ernſt, womit er Dinge aufnahm, uͤber die man wohl leich- ter hinſehen konnte; ihm ſtellte ſich alles, was er vernahm, ſogleich in eine Beziehung auf ſeine Religion. Dieſer feierliche Ernſt war die ſtrengſte Gewiſſenhaftigkeit; eine ſowohl innere als aͤußere Wahrheit, wie ſie uns ſelten genug ſcheint. Eben damit hing ſein Humor zuſammen, wie man ihn bekanntlich an gefuͤhlvollen und großen Seelen manchmal bemerkt. Steht ihnen und ihrem Kreiſe das Wichtige und Heilige feſt, ſo iſt bei ihrem reinen Bewußtſeyn ein leichter Scherz ſeinem Spiel frei- gegeben, und der Geiſt kann ſich auch bei dem kuͤhnſten Contraſt auf das Herz verlaſſen. Dagegen nahm er alles, was die Re- ligion und Sittlichkeit, und wenn auch durch Nebendinge bedrohte, ſehr ernſthaft. Er konnte weder ein unguͤnſtiges Urtheil, noch einen gefaͤhrlichen Scherz uͤber jemand, der ihm von einer guten Seite bekannt war, geſchweige uͤber Freunde, ohne eine zuruͤck- weiſende Gegenerinnerung und, wenn er nichts dagegen ver- mochte, doch mit einem Seufzer anhoͤren. Nichts entruͤſtete ihn mehr, als das Beſpoͤtteln und Verhoͤhnen, ſelbſt wenn es nicht grade das Heilige angriff: und dagegen welche Milde, womit er Beleidigungen aufnahm, ſelbſt wenn ſie in Grobheit gegen ihn ausbrachen! Dieſer tiefe Ernſt zeigt ſich in ſeiner Wahrheitsliebe bei Religionszweifel von Jugend auf. Sein ganzer Geiſt war alsdann in Bewegung: oft kaͤmpfte er bis auf’s Blut, um ſich Licht und Gewißheit zu erringen. Ja es war, als wenn ein innerer Feind ihm alles Wahre, das ihm heilig blieb, und alles Gute, worin er lebte, von dem Entſtehen an ſtreitig gemacht haͤtte, und ihm, immer neckend, anfocht, und als ob er alles Schritt vor Schritt erringen muͤſſe, um

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/661
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/661>, abgerufen am 15.05.2024.