rend ihrer längern Ehe Stillings häuslichem Leben die Krone auf. Wie viel verdankte sie ihm, die fromme Dulderin! wie viel er ihr! Beide waren ganz in ihrem Christenthume Eins ge- worden, die Seelenstärke ihres Gatten war nun auch die ihrige; durch ihr unendlich liebevolles Wesen leuchtete sie als die milde Sonne in dem Hause; sie übernahm den Theil der Erziehung der Kinder, wozu er sich seiner Natur und seinem Bekenntniß nach unfähig fühlte, und die Kinder der drei Ehen waren um die Mutter her, als wären sie Einer zugehörig, das Wort Stief- kind hatte für keines derselben einen Sinn. Und so könnten wir Kinder sämmtlich vieles aus überfließendem Herzen sagen, das in aller Beziehung zeigen würde, was es heißt, ein christliches Ehepaar. Es ist eine tiefe Wahrheit in den Worten: der Mann wird durch das Weib, und das Weib durch den Mann geheiligt. Aber Kraft und Stärkung in dem Christenthume soll von dem Hausvater auf solche Art ausgehen, wie es hier der Fall war.
Wir müssen hierbei noch eines Punktes erwähnen, worin wohl manchmal unserm Vater laute und stille Vorwürfe gemacht wurden, das ist sein Grundsatz, womit er seine äußerlichen Ver- mögensumstände so ganz der Vorsehung überließ. Denn, sagte man, das ist Schwärmerei! oder auch: das ist ein Unrecht gegen die Seinigen! Wir würden jedes Wort für verloren halten, wenn wir solchen moralisirenden Buchstäblern antworten wollten, die sich mit sogenannten allgemeinen Maximen abmühen, weil sie nicht zu der Idee, welche in dem Lebensganzen eines Men- schen ausgesprochen ist, hinaufzusteigen im Stande sind. Nur den Freunden, welche hierin mit unserm Vater nicht ganz im Klaren sind, wollen wir es sagen, daß er sehr lebendig das Be- wußtseyn von seiner Lebensbestimmung in sich trug, damit sie auch ihm das Urtheil zukommen lassen, was überall großen See- len gebührt. Denn solche haben ihren eigenen Gang, und wo ist es je auch etwa irgend einem großen Geschichtschreiber einge- fallen, solche Menschen darum Schwärmer zu nennen, weil sie die geheimnißvolle Zusage der äußern Erfolge zu ihrem innern Berufe in tiefster Ueberzeugung in sich trugen? Läßt man doch selbst einem Julius Cäsar in seinem Kahne Gerechtigkeit wieder- fahren! Der glaubige Christ Jung-Stilling wußte wohl, warum
rend ihrer laͤngern Ehe Stillings haͤuslichem Leben die Krone auf. Wie viel verdankte ſie ihm, die fromme Dulderin! wie viel er ihr! Beide waren ganz in ihrem Chriſtenthume Eins ge- worden, die Seelenſtaͤrke ihres Gatten war nun auch die ihrige; durch ihr unendlich liebevolles Weſen leuchtete ſie als die milde Sonne in dem Hauſe; ſie uͤbernahm den Theil der Erziehung der Kinder, wozu er ſich ſeiner Natur und ſeinem Bekenntniß nach unfaͤhig fuͤhlte, und die Kinder der drei Ehen waren um die Mutter her, als waͤren ſie Einer zugehoͤrig, das Wort Stief- kind hatte fuͤr keines derſelben einen Sinn. Und ſo koͤnnten wir Kinder ſaͤmmtlich vieles aus uͤberfließendem Herzen ſagen, das in aller Beziehung zeigen wuͤrde, was es heißt, ein chriſtliches Ehepaar. Es iſt eine tiefe Wahrheit in den Worten: der Mann wird durch das Weib, und das Weib durch den Mann geheiligt. Aber Kraft und Staͤrkung in dem Chriſtenthume ſoll von dem Hausvater auf ſolche Art ausgehen, wie es hier der Fall war.
Wir muͤſſen hierbei noch eines Punktes erwaͤhnen, worin wohl manchmal unſerm Vater laute und ſtille Vorwuͤrfe gemacht wurden, das iſt ſein Grundſatz, womit er ſeine aͤußerlichen Ver- moͤgensumſtaͤnde ſo ganz der Vorſehung uͤberließ. Denn, ſagte man, das iſt Schwaͤrmerei! oder auch: das iſt ein Unrecht gegen die Seinigen! Wir wuͤrden jedes Wort fuͤr verloren halten, wenn wir ſolchen moraliſirenden Buchſtaͤblern antworten wollten, die ſich mit ſogenannten allgemeinen Maximen abmuͤhen, weil ſie nicht zu der Idee, welche in dem Lebensganzen eines Men- ſchen ausgeſprochen iſt, hinaufzuſteigen im Stande ſind. Nur den Freunden, welche hierin mit unſerm Vater nicht ganz im Klaren ſind, wollen wir es ſagen, daß er ſehr lebendig das Be- wußtſeyn von ſeiner Lebensbeſtimmung in ſich trug, damit ſie auch ihm das Urtheil zukommen laſſen, was uͤberall großen See- len gebuͤhrt. Denn ſolche haben ihren eigenen Gang, und wo iſt es je auch etwa irgend einem großen Geſchichtſchreiber einge- fallen, ſolche Menſchen darum Schwaͤrmer zu nennen, weil ſie die geheimnißvolle Zuſage der aͤußern Erfolge zu ihrem innern Berufe in tiefſter Ueberzeugung in ſich trugen? Laͤßt man doch ſelbſt einem Julius Caͤſar in ſeinem Kahne Gerechtigkeit wieder- fahren! Der glaubige Chriſt Jung-Stilling wußte wohl, warum
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rend ihrer laͤngern Ehe Stillings haͤuslichem Leben die Krone
auf. Wie viel verdankte ſie ihm, die fromme Dulderin! wie
viel er ihr! Beide waren ganz in ihrem Chriſtenthume Eins ge-
worden, die Seelenſtaͤrke ihres Gatten war nun auch die ihrige;
durch ihr unendlich liebevolles Weſen leuchtete ſie als die milde
Sonne in dem Hauſe; ſie uͤbernahm den Theil der Erziehung
der Kinder, wozu er ſich ſeiner Natur und ſeinem Bekenntniß
nach unfaͤhig fuͤhlte, und die Kinder der drei Ehen waren um
die Mutter her, als waͤren ſie Einer zugehoͤrig, das Wort Stief-
kind hatte fuͤr keines derſelben einen Sinn. Und ſo koͤnnten wir
Kinder ſaͤmmtlich vieles aus uͤberfließendem Herzen ſagen, das
in aller Beziehung zeigen wuͤrde, was es heißt, ein chriſtliches
Ehepaar. Es iſt eine tiefe Wahrheit in den Worten: der Mann
wird durch das Weib, und das Weib durch den Mann geheiligt.
Aber Kraft und Staͤrkung in dem Chriſtenthume ſoll von dem
Hausvater auf ſolche Art ausgehen, wie es hier der Fall war.
Wir muͤſſen hierbei noch eines Punktes erwaͤhnen, worin
wohl manchmal unſerm Vater laute und ſtille Vorwuͤrfe gemacht
wurden, das iſt ſein Grundſatz, womit er ſeine aͤußerlichen Ver-
moͤgensumſtaͤnde ſo ganz der Vorſehung uͤberließ. Denn, ſagte
man, das iſt Schwaͤrmerei! oder auch: das iſt ein Unrecht gegen
die Seinigen! Wir wuͤrden jedes Wort fuͤr verloren halten,
wenn wir ſolchen moraliſirenden Buchſtaͤblern antworten wollten,
die ſich mit ſogenannten allgemeinen Maximen abmuͤhen, weil
ſie nicht zu der Idee, welche in dem Lebensganzen eines Men-
ſchen ausgeſprochen iſt, hinaufzuſteigen im Stande ſind. Nur
den Freunden, welche hierin mit unſerm Vater nicht ganz im
Klaren ſind, wollen wir es ſagen, daß er ſehr lebendig das Be-
wußtſeyn von ſeiner Lebensbeſtimmung in ſich trug, damit ſie
auch ihm das Urtheil zukommen laſſen, was uͤberall großen See-
len gebuͤhrt. Denn ſolche haben ihren eigenen Gang, und wo
iſt es je auch etwa irgend einem großen Geſchichtſchreiber einge-
fallen, ſolche Menſchen darum Schwaͤrmer zu nennen, weil ſie
die geheimnißvolle Zuſage der aͤußern Erfolge zu ihrem innern
Berufe in tiefſter Ueberzeugung in ſich trugen? Laͤßt man doch
ſelbſt einem Julius Caͤſar in ſeinem Kahne Gerechtigkeit wieder-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 662. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/670>, abgerufen am 16.02.2025.
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