"Ja! ja! wenn er den wahren Glauben an Christum nicht hat."
Das versteht sich nun endlich von selber, daß man Gott und den Nächsten nicht lieben kann, wenn man an Gott und sein Wort nicht glaubt. Aber antworte du, Wilhelm! Was dünkt dich?
Mich dünkt, wenn ich wüßte, woher ich die Kosten nehmen sollte, so würde ich den Jungen wohl hüten, daß er nicht zu lateinisch würde. Er soll immer die müßigen Tage Cameel- haarkuöpfe machen und mir nähen helfen, bis man sieht, was Gott aus ihm machen will.
Das gefällt mir nicht übel, Wilhelm, sagte Vater Stil- ling; so rath ich auch. Der Junge hat einen unerhörten Kopf, Etwas zu lernen; Gott hat diesen Kopf nicht umsonst gemacht; laß ihn lernen, was er kann und was er will; gib ihm zuweilen Zeit dazu, aber nicht zu viel, sonst kommt er dir an's Müßiggehen, und liest auch nicht so fleißig; wenn er aber brav auf dem Handwerk geschafft hat, und er wird auf die Bücher recht hungrig, dann laß ihn eine Stunde le- sen; das ist genug. Nur mach, daß er ein Handwerk recht- schaffen lernt, so hat er Brod, bis er sein Latein brauchen kann und ein Herr wird.
"Hm! Hm! ein Herr wird, brummte Stollbein, er soll kein Herr werden, er soll mir ein Dorfschulmeister wer- den und dann ists gut, wenn er ein wenig Latein kann. Ihr Bauersleute meint, das ging so leicht, ein Herr zu werden. Ihr pflanzt den Kindern den Ehrgeiz ins Herz, der doch vom Vater, dem Teufel, herkommt."
Dem alten Stilling heiterten sich seine großen hellen Au- gen auf; er stand da wie ein kleiner Riese (denn er war ein langer ansehnlicher Mann), schüttelte sein weißgraues Haupt, lächelte und sprach: Was ist Ehrgeiz? Herr Pastor!
Stollbein sprang auf und rief: Schon wieder eine Frage! ich bin Euch nicht schuldig, zu antworten, sondern Ihr mir. Gebt Acht in der Predigt, da werdet Ihr hören, was Ehr- geiz ist. Ich weiß nicht, Ihr werdet so stolz, Kirchenältester! Ihr waret sonst ein sittsamer Mann.
Stillings Schriften. I. Band. 6
„Ja! ja! wenn er den wahren Glauben an Chriſtum nicht hat.“
Das verſteht ſich nun endlich von ſelber, daß man Gott und den Naͤchſten nicht lieben kann, wenn man an Gott und ſein Wort nicht glaubt. Aber antworte du, Wilhelm! Was duͤnkt dich?
Mich duͤnkt, wenn ich wuͤßte, woher ich die Koſten nehmen ſollte, ſo wuͤrde ich den Jungen wohl huͤten, daß er nicht zu lateiniſch wuͤrde. Er ſoll immer die muͤßigen Tage Cameel- haarkuoͤpfe machen und mir naͤhen helfen, bis man ſieht, was Gott aus ihm machen will.
Das gefaͤllt mir nicht uͤbel, Wilhelm, ſagte Vater Stil- ling; ſo rath ich auch. Der Junge hat einen unerhoͤrten Kopf, Etwas zu lernen; Gott hat dieſen Kopf nicht umſonſt gemacht; laß ihn lernen, was er kann und was er will; gib ihm zuweilen Zeit dazu, aber nicht zu viel, ſonſt kommt er dir an’s Muͤßiggehen, und liest auch nicht ſo fleißig; wenn er aber brav auf dem Handwerk geſchafft hat, und er wird auf die Buͤcher recht hungrig, dann laß ihn eine Stunde le- ſen; das iſt genug. Nur mach, daß er ein Handwerk recht- ſchaffen lernt, ſo hat er Brod, bis er ſein Latein brauchen kann und ein Herr wird.
„Hm! Hm! ein Herr wird, brummte Stollbein, er ſoll kein Herr werden, er ſoll mir ein Dorfſchulmeiſter wer- den und dann iſts gut, wenn er ein wenig Latein kann. Ihr Bauersleute meint, das ging ſo leicht, ein Herr zu werden. Ihr pflanzt den Kindern den Ehrgeiz ins Herz, der doch vom Vater, dem Teufel, herkommt.“
Dem alten Stilling heiterten ſich ſeine großen hellen Au- gen auf; er ſtand da wie ein kleiner Rieſe (denn er war ein langer anſehnlicher Mann), ſchuͤttelte ſein weißgraues Haupt, laͤchelte und ſprach: Was iſt Ehrgeiz? Herr Paſtor!
Stollbein ſprang auf und rief: Schon wieder eine Frage! ich bin Euch nicht ſchuldig, zu antworten, ſondern Ihr mir. Gebt Acht in der Predigt, da werdet Ihr hoͤren, was Ehr- geiz iſt. Ich weiß nicht, Ihr werdet ſo ſtolz, Kirchenaͤlteſter! Ihr waret ſonſt ein ſittſamer Mann.
Stillings Schriften. I. Band. 6
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„Ja! ja! wenn er den wahren Glauben an Chriſtum nicht
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Das verſteht ſich nun endlich von ſelber, daß man Gott
und den Naͤchſten nicht lieben kann, wenn man an Gott und
ſein Wort nicht glaubt. Aber antworte du, Wilhelm!
Was duͤnkt dich?
Mich duͤnkt, wenn ich wuͤßte, woher ich die Koſten nehmen
ſollte, ſo wuͤrde ich den Jungen wohl huͤten, daß er nicht zu
lateiniſch wuͤrde. Er ſoll immer die muͤßigen Tage Cameel-
haarkuoͤpfe machen und mir naͤhen helfen, bis man ſieht, was
Gott aus ihm machen will.
Das gefaͤllt mir nicht uͤbel, Wilhelm, ſagte Vater Stil-
ling; ſo rath ich auch. Der Junge hat einen unerhoͤrten
Kopf, Etwas zu lernen; Gott hat dieſen Kopf nicht umſonſt
gemacht; laß ihn lernen, was er kann und was er will; gib
ihm zuweilen Zeit dazu, aber nicht zu viel, ſonſt kommt er
dir an’s Muͤßiggehen, und liest auch nicht ſo fleißig; wenn
er aber brav auf dem Handwerk geſchafft hat, und er wird
auf die Buͤcher recht hungrig, dann laß ihn eine Stunde le-
ſen; das iſt genug. Nur mach, daß er ein Handwerk recht-
ſchaffen lernt, ſo hat er Brod, bis er ſein Latein brauchen
kann und ein Herr wird.
„Hm! Hm! ein Herr wird, brummte Stollbein, er
ſoll kein Herr werden, er ſoll mir ein Dorfſchulmeiſter wer-
den und dann iſts gut, wenn er ein wenig Latein kann. Ihr
Bauersleute meint, das ging ſo leicht, ein Herr zu werden.
Ihr pflanzt den Kindern den Ehrgeiz ins Herz, der doch vom
Vater, dem Teufel, herkommt.“
Dem alten Stilling heiterten ſich ſeine großen hellen Au-
gen auf; er ſtand da wie ein kleiner Rieſe (denn er war ein
langer anſehnlicher Mann), ſchuͤttelte ſein weißgraues Haupt,
laͤchelte und ſprach: Was iſt Ehrgeiz? Herr Paſtor!
Stollbein ſprang auf und rief: Schon wieder eine Frage!
ich bin Euch nicht ſchuldig, zu antworten, ſondern Ihr mir.
Gebt Acht in der Predigt, da werdet Ihr hoͤren, was Ehr-
geiz iſt. Ich weiß nicht, Ihr werdet ſo ſtolz, Kirchenaͤlteſter!
Ihr waret ſonſt ein ſittſamer Mann.
Stillings Schriften. I. Band. 6
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/89>, abgerufen am 25.11.2024.
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