Wie Ihrs aufnehmt, stolz oder nicht stolz. Ich bin ein Mann; ich hab Gott geliebt und ihm gedient, Jedermann das Seinige gegeben, meine Kinder erzogen, ich war treu; meine Sünden vergibt mir Gott, das weiß ich; nun bin ich alt, mein Ende ist nah; ob ich wohl recht gesund bin, so muß ich doch sterben; da freu ich mich nun darauf, wie ich bald werde von hinnen reisen. Laßt mich stolz darauf seyn, wie ein ehr- licher Mann mitten unter meinen großgezogenen frommen Kin- dern zu sterben. Wenn ichs so recht bedenk', bin ich munte- rer, als wie ich mit Margareth Hochzeit machte.
"Man geht so mit Strümpf und Schuh nicht in Himmel!" sagte der Pastor.
Die wird mein Großvater auch ausziehen, ehe er stirbt, sagte der kleine Heinrich.
Ein Jeder lachte, selbst Stollbein mußte lachen.
Margareth machte der Ueberlegung ein Ende. Sie schlug vor, sie wollte Morgens den Jungen satt füttern, ihm als- dann ein Butterbrod für den Mittag in die Tasche geben, des Abends könnte er sich wieder daheim satt essen; und so kann der Junge Morgens früh nach Florenburg in die Schule ge- hen, sagte sie, und des Abends wieder kommen. Der Som- mer ist ja vor der Thür; den Winter sieht man wie man's macht.
Nun war's fertig. Stollbein ging nach Hause.
Zu dieser Zeit ging eine große Veränderung in Stillings Hause vor, die ältesten Töchter heiratheten auswärts, und also machte Eberhard und seine Margareth, Wilhelm, Mariechen und Heinrich die ganze Familie aus. Eber- hard beschloß auch nunmehr, sein Kohlbrennen aufzugeben, und blos seiner Feldarbeit zu warten.
Die Tiefenbacher Dorfschule wurde vacant, und ein jeder Bauer hatte Wilhelm Stilling im Auge, ihn zum Schul- meister zu wählen. Man trug ihm die Stelle auf; er nahm sie ohne Widerwillen an, ob er sich gleich innerlich ängstigte, daß er mit solchem Leichtsinn sein einsames, heiliges Leben verlassen und sich unter die Menschen begeben wollte. Der gute Mann hatte nicht bemerkt, daß ihn nur der Schmerz über Dortchens Tod, der kein ander Gefühl neben sich litt,
Wie Ihrs aufnehmt, ſtolz oder nicht ſtolz. Ich bin ein Mann; ich hab Gott geliebt und ihm gedient, Jedermann das Seinige gegeben, meine Kinder erzogen, ich war treu; meine Suͤnden vergibt mir Gott, das weiß ich; nun bin ich alt, mein Ende iſt nah; ob ich wohl recht geſund bin, ſo muß ich doch ſterben; da freu ich mich nun darauf, wie ich bald werde von hinnen reiſen. Laßt mich ſtolz darauf ſeyn, wie ein ehr- licher Mann mitten unter meinen großgezogenen frommen Kin- dern zu ſterben. Wenn ichs ſo recht bedenk’, bin ich munte- rer, als wie ich mit Margareth Hochzeit machte.
„Man geht ſo mit Struͤmpf und Schuh nicht in Himmel!“ ſagte der Paſtor.
Die wird mein Großvater auch ausziehen, ehe er ſtirbt, ſagte der kleine Heinrich.
Ein Jeder lachte, ſelbſt Stollbein mußte lachen.
Margareth machte der Ueberlegung ein Ende. Sie ſchlug vor, ſie wollte Morgens den Jungen ſatt fuͤttern, ihm als- dann ein Butterbrod fuͤr den Mittag in die Taſche geben, des Abends koͤnnte er ſich wieder daheim ſatt eſſen; und ſo kann der Junge Morgens fruͤh nach Florenburg in die Schule ge- hen, ſagte ſie, und des Abends wieder kommen. Der Som- mer iſt ja vor der Thuͤr; den Winter ſieht man wie man’s macht.
Nun war’s fertig. Stollbein ging nach Hauſe.
Zu dieſer Zeit ging eine große Veraͤnderung in Stillings Hauſe vor, die aͤlteſten Toͤchter heiratheten auswaͤrts, und alſo machte Eberhard und ſeine Margareth, Wilhelm, Mariechen und Heinrich die ganze Familie aus. Eber- hard beſchloß auch nunmehr, ſein Kohlbrennen aufzugeben, und blos ſeiner Feldarbeit zu warten.
Die Tiefenbacher Dorfſchule wurde vacant, und ein jeder Bauer hatte Wilhelm Stilling im Auge, ihn zum Schul- meiſter zu waͤhlen. Man trug ihm die Stelle auf; er nahm ſie ohne Widerwillen an, ob er ſich gleich innerlich aͤngſtigte, daß er mit ſolchem Leichtſinn ſein einſames, heiliges Leben verlaſſen und ſich unter die Menſchen begeben wollte. Der gute Mann hatte nicht bemerkt, daß ihn nur der Schmerz uͤber Dortchens Tod, der kein ander Gefuͤhl neben ſich litt,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0090"n="82"/><p>Wie Ihrs aufnehmt, ſtolz oder nicht ſtolz. Ich bin ein<lb/>
Mann; ich hab Gott geliebt und ihm gedient, Jedermann das<lb/>
Seinige gegeben, meine Kinder erzogen, ich war treu; meine<lb/>
Suͤnden vergibt mir Gott, das weiß ich; nun bin ich alt,<lb/>
mein Ende iſt nah; ob ich wohl recht geſund bin, ſo muß ich<lb/>
doch ſterben; da freu ich mich nun darauf, wie ich bald werde<lb/>
von hinnen reiſen. Laßt mich ſtolz darauf ſeyn, wie ein ehr-<lb/>
licher Mann mitten unter meinen großgezogenen frommen Kin-<lb/>
dern zu ſterben. Wenn ichs ſo recht bedenk’, bin ich munte-<lb/>
rer, als wie ich mit <hirendition="#g">Margareth</hi> Hochzeit machte.</p><lb/><p>„Man geht ſo mit Struͤmpf und Schuh nicht in Himmel!“<lb/>ſagte der Paſtor.</p><lb/><p>Die wird mein Großvater auch ausziehen, ehe er ſtirbt, ſagte<lb/>
der kleine <hirendition="#g">Heinrich</hi>.</p><lb/><p>Ein Jeder lachte, ſelbſt <hirendition="#g">Stollbein</hi> mußte lachen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Margareth</hi> machte der Ueberlegung ein Ende. Sie ſchlug<lb/>
vor, ſie wollte Morgens den Jungen ſatt fuͤttern, ihm als-<lb/>
dann ein Butterbrod fuͤr den Mittag in die Taſche geben, des<lb/>
Abends koͤnnte er ſich wieder daheim ſatt eſſen; und ſo kann<lb/>
der Junge Morgens fruͤh nach Florenburg in die Schule ge-<lb/>
hen, ſagte ſie, und des Abends wieder kommen. Der Som-<lb/>
mer iſt ja vor der Thuͤr; den Winter ſieht man wie man’s macht.</p><lb/><p>Nun war’s fertig. <hirendition="#g">Stollbein</hi> ging nach Hauſe.</p><lb/><p>Zu dieſer Zeit ging eine große Veraͤnderung in <hirendition="#g">Stillings</hi><lb/>
Hauſe vor, die aͤlteſten Toͤchter heiratheten auswaͤrts, und alſo<lb/>
machte <hirendition="#g">Eberhard</hi> und ſeine <hirendition="#g">Margareth, Wilhelm,<lb/>
Mariechen</hi> und <hirendition="#g">Heinrich</hi> die ganze Familie aus. <hirendition="#g">Eber-<lb/>
hard</hi> beſchloß auch nunmehr, ſein Kohlbrennen aufzugeben,<lb/>
und blos ſeiner Feldarbeit zu warten.</p><lb/><p>Die Tiefenbacher Dorfſchule wurde vacant, und ein jeder<lb/>
Bauer hatte <hirendition="#g">Wilhelm Stilling</hi> im Auge, ihn zum Schul-<lb/>
meiſter zu waͤhlen. Man trug ihm die Stelle auf; er nahm<lb/>ſie ohne Widerwillen an, ob er ſich gleich innerlich aͤngſtigte,<lb/>
daß er mit ſolchem Leichtſinn ſein einſames, heiliges Leben<lb/>
verlaſſen und ſich unter die Menſchen begeben wollte. Der<lb/>
gute Mann hatte nicht bemerkt, daß ihn nur der Schmerz<lb/>
uͤber <hirendition="#g">Dortchens Tod</hi>, der kein ander Gefuͤhl neben ſich litt,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[82/0090]
Wie Ihrs aufnehmt, ſtolz oder nicht ſtolz. Ich bin ein
Mann; ich hab Gott geliebt und ihm gedient, Jedermann das
Seinige gegeben, meine Kinder erzogen, ich war treu; meine
Suͤnden vergibt mir Gott, das weiß ich; nun bin ich alt,
mein Ende iſt nah; ob ich wohl recht geſund bin, ſo muß ich
doch ſterben; da freu ich mich nun darauf, wie ich bald werde
von hinnen reiſen. Laßt mich ſtolz darauf ſeyn, wie ein ehr-
licher Mann mitten unter meinen großgezogenen frommen Kin-
dern zu ſterben. Wenn ichs ſo recht bedenk’, bin ich munte-
rer, als wie ich mit Margareth Hochzeit machte.
„Man geht ſo mit Struͤmpf und Schuh nicht in Himmel!“
ſagte der Paſtor.
Die wird mein Großvater auch ausziehen, ehe er ſtirbt, ſagte
der kleine Heinrich.
Ein Jeder lachte, ſelbſt Stollbein mußte lachen.
Margareth machte der Ueberlegung ein Ende. Sie ſchlug
vor, ſie wollte Morgens den Jungen ſatt fuͤttern, ihm als-
dann ein Butterbrod fuͤr den Mittag in die Taſche geben, des
Abends koͤnnte er ſich wieder daheim ſatt eſſen; und ſo kann
der Junge Morgens fruͤh nach Florenburg in die Schule ge-
hen, ſagte ſie, und des Abends wieder kommen. Der Som-
mer iſt ja vor der Thuͤr; den Winter ſieht man wie man’s macht.
Nun war’s fertig. Stollbein ging nach Hauſe.
Zu dieſer Zeit ging eine große Veraͤnderung in Stillings
Hauſe vor, die aͤlteſten Toͤchter heiratheten auswaͤrts, und alſo
machte Eberhard und ſeine Margareth, Wilhelm,
Mariechen und Heinrich die ganze Familie aus. Eber-
hard beſchloß auch nunmehr, ſein Kohlbrennen aufzugeben,
und blos ſeiner Feldarbeit zu warten.
Die Tiefenbacher Dorfſchule wurde vacant, und ein jeder
Bauer hatte Wilhelm Stilling im Auge, ihn zum Schul-
meiſter zu waͤhlen. Man trug ihm die Stelle auf; er nahm
ſie ohne Widerwillen an, ob er ſich gleich innerlich aͤngſtigte,
daß er mit ſolchem Leichtſinn ſein einſames, heiliges Leben
verlaſſen und ſich unter die Menſchen begeben wollte. Der
gute Mann hatte nicht bemerkt, daß ihn nur der Schmerz
uͤber Dortchens Tod, der kein ander Gefuͤhl neben ſich litt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/90>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.