Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Abschn. Von der ehemahligen Veränderung
die sich weder durch ihre Künste und Wissenschaften,
noch durch irgend andere Vorzüge berühmt gemacht
haben. Was würden alle gelehrte und gesitteten Na-
tionen von Europa sagen, wenn die Crimmischen Tar-
tarn, die Einwohner der Ukraine, die Samojeden,
oder ein anderes kleines und offenbar unwissendes und
ungesittetes Volk, das sich durch seine Wissenschaften
und Künste niemahls einigen Ruhm und Ansehen er-
worben hätte, wenn, sage ich, ein solches Volk be-
haupten wollte, es sey von dem Uhrsprunge und Stif-

tung
denen Nachrichten der Juden, von ihrem Aufenthalte
in Egypten, und was ihnen daselbst begegnet ist, nur
einigermaßen in Vergleichung stellet, und erweget, daß
sich Jacob und seine Söhne selost vor Hirten ausgaben,
daß die Macht des Josephs so groß als eines Königes
war, daß sie ihre gewaltsame Austrelbung aus Egy-
pten, und ihre Einnehmung und Festsetzung in Palä-
stina, wie auch die Erbauung der heiligen Stadt Jeru-
salem selbst gestehen; so finden sich sehr deutliche Züge
der Uebereinstimmung in der Geschichtserzählung bey-
der Völker, und ein vernünftiger Beurtheiler, welcher
die gerühmten Vorzüge und die Theologie des einen oder
des andern Volkes auf einen Augenblick bey Seite setzet,
kann mit gutem Grunde schließen, daß an der Haupt-
geschichte und ihrer Wahrheit nicht zu zweifeln sey; ob
gleich von jedem Volke verschiedene Züge und Nebenum-
stände hinzugesetzet seyn mögen, wie ein jeder von diesen
beyden Völkern seiner Ehre und Nachruhme gemäß zu
seyn erachtet hat. Allein, alsdenn wird die Glaubwür-
digkeit der jüdischen Zeitrechnung desto zweifelhafter;
die Hirtenkönige in Egypten, und die Auswanderung
der Juden aus diesem Lande, treffen gar nicht in einer-
ley Zeitpunct zusammen, und die egyptische Geschichte
saget, daß das Hirtenvolk nicht aus Chaldäa oder Sy-
rien, sondern aus Colchis nach Egypten gekommen
sey.

V. Abſchn. Von der ehemahligen Veraͤnderung
die ſich weder durch ihre Kuͤnſte und Wiſſenſchaften,
noch durch irgend andere Vorzuͤge beruͤhmt gemacht
haben. Was wuͤrden alle gelehrte und geſitteten Na-
tionen von Europa ſagen, wenn die Crimmiſchen Tar-
tarn, die Einwohner der Ukraine, die Samojeden,
oder ein anderes kleines und offenbar unwiſſendes und
ungeſittetes Volk, das ſich durch ſeine Wiſſenſchaften
und Kuͤnſte niemahls einigen Ruhm und Anſehen er-
worben haͤtte, wenn, ſage ich, ein ſolches Volk be-
haupten wollte, es ſey von dem Uhrſprunge und Stif-

tung
denen Nachrichten der Juden, von ihrem Aufenthalte
in Egypten, und was ihnen daſelbſt begegnet iſt, nur
einigermaßen in Vergleichung ſtellet, und erweget, daß
ſich Jacob und ſeine Soͤhne ſeloſt vor Hirten ausgaben,
daß die Macht des Joſephs ſo groß als eines Koͤniges
war, daß ſie ihre gewaltſame Austrelbung aus Egy-
pten, und ihre Einnehmung und Feſtſetzung in Palaͤ-
ſtina, wie auch die Erbauung der heiligen Stadt Jeru-
ſalem ſelbſt geſtehen; ſo finden ſich ſehr deutliche Zuͤge
der Uebereinſtimmung in der Geſchichtserzaͤhlung bey-
der Voͤlker, und ein vernuͤnftiger Beurtheiler, welcher
die geruͤhmten Vorzuͤge und die Theologie des einen oder
des andern Volkes auf einen Augenblick bey Seite ſetzet,
kann mit gutem Grunde ſchließen, daß an der Haupt-
geſchichte und ihrer Wahrheit nicht zu zweifeln ſey; ob
gleich von jedem Volke verſchiedene Zuͤge und Nebenum-
ſtaͤnde hinzugeſetzet ſeyn moͤgen, wie ein jeder von dieſen
beyden Voͤlkern ſeiner Ehre und Nachruhme gemaͤß zu
ſeyn erachtet hat. Allein, alsdenn wird die Glaubwuͤr-
digkeit der juͤdiſchen Zeitrechnung deſto zweifelhafter;
die Hirtenkoͤnige in Egypten, und die Auswanderung
der Juden aus dieſem Lande, treffen gar nicht in einer-
ley Zeitpunct zuſammen, und die egyptiſche Geſchichte
ſaget, daß das Hirtenvolk nicht aus Chaldaͤa oder Sy-
rien, ſondern aus Colchis nach Egypten gekommen
ſey.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0218" n="190"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> Ab&#x017F;chn. Von der ehemahligen Vera&#x0364;nderung</hi></fw><lb/>
die &#x017F;ich weder durch ihre Ku&#x0364;n&#x017F;te und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften,<lb/>
noch durch irgend andere Vorzu&#x0364;ge beru&#x0364;hmt gemacht<lb/>
haben. Was wu&#x0364;rden alle gelehrte und ge&#x017F;itteten Na-<lb/>
tionen von Europa &#x017F;agen, wenn die Crimmi&#x017F;chen Tar-<lb/>
tarn, die Einwohner der Ukraine, die Samojeden,<lb/>
oder ein anderes kleines und offenbar unwi&#x017F;&#x017F;endes und<lb/>
unge&#x017F;ittetes Volk, das &#x017F;ich durch &#x017F;eine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften<lb/>
und Ku&#x0364;n&#x017F;te niemahls einigen Ruhm und An&#x017F;ehen er-<lb/>
worben ha&#x0364;tte, wenn, &#x017F;age ich, ein &#x017F;olches Volk be-<lb/>
haupten wollte, es &#x017F;ey von dem Uhr&#x017F;prunge und Stif-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tung</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_5_2" prev="#seg2pn_5_1" place="foot" n="i)">denen Nachrichten der Juden, von ihrem Aufenthalte<lb/>
in Egypten, und was ihnen da&#x017F;elb&#x017F;t begegnet i&#x017F;t, nur<lb/>
einigermaßen in Vergleichung &#x017F;tellet, und erweget, daß<lb/>
&#x017F;ich Jacob und &#x017F;eine So&#x0364;hne &#x017F;elo&#x017F;t vor Hirten ausgaben,<lb/>
daß die Macht des Jo&#x017F;ephs &#x017F;o groß als eines Ko&#x0364;niges<lb/>
war, daß &#x017F;ie ihre gewalt&#x017F;ame Austrelbung aus Egy-<lb/>
pten, und ihre Einnehmung und Fe&#x017F;t&#x017F;etzung in Pala&#x0364;-<lb/>
&#x017F;tina, wie auch die Erbauung der heiligen Stadt Jeru-<lb/>
&#x017F;alem &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;tehen; &#x017F;o finden &#x017F;ich &#x017F;ehr deutliche Zu&#x0364;ge<lb/>
der Ueberein&#x017F;timmung in der Ge&#x017F;chichtserza&#x0364;hlung bey-<lb/>
der Vo&#x0364;lker, und ein vernu&#x0364;nftiger Beurtheiler, welcher<lb/>
die geru&#x0364;hmten Vorzu&#x0364;ge und die Theologie des einen oder<lb/>
des andern Volkes auf einen Augenblick bey Seite &#x017F;etzet,<lb/>
kann mit gutem Grunde &#x017F;chließen, daß an der Haupt-<lb/>
ge&#x017F;chichte und ihrer Wahrheit nicht zu zweifeln &#x017F;ey; ob<lb/>
gleich von jedem Volke ver&#x017F;chiedene Zu&#x0364;ge und Nebenum-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde hinzuge&#x017F;etzet &#x017F;eyn mo&#x0364;gen, wie ein jeder von die&#x017F;en<lb/>
beyden Vo&#x0364;lkern &#x017F;einer Ehre und Nachruhme gema&#x0364;ß zu<lb/>
&#x017F;eyn erachtet hat. Allein, alsdenn wird die Glaubwu&#x0364;r-<lb/>
digkeit der ju&#x0364;di&#x017F;chen Zeitrechnung de&#x017F;to zweifelhafter;<lb/>
die Hirtenko&#x0364;nige in Egypten, und die Auswanderung<lb/>
der Juden aus die&#x017F;em Lande, treffen gar nicht in einer-<lb/>
ley Zeitpunct zu&#x017F;ammen, und die egypti&#x017F;che Ge&#x017F;chichte<lb/>
&#x017F;aget, daß das Hirtenvolk nicht aus Chalda&#x0364;a oder Sy-<lb/>
rien, &#x017F;ondern aus Colchis nach Egypten gekommen<lb/>
&#x017F;ey.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0218] V. Abſchn. Von der ehemahligen Veraͤnderung die ſich weder durch ihre Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, noch durch irgend andere Vorzuͤge beruͤhmt gemacht haben. Was wuͤrden alle gelehrte und geſitteten Na- tionen von Europa ſagen, wenn die Crimmiſchen Tar- tarn, die Einwohner der Ukraine, die Samojeden, oder ein anderes kleines und offenbar unwiſſendes und ungeſittetes Volk, das ſich durch ſeine Wiſſenſchaften und Kuͤnſte niemahls einigen Ruhm und Anſehen er- worben haͤtte, wenn, ſage ich, ein ſolches Volk be- haupten wollte, es ſey von dem Uhrſprunge und Stif- tung i) i) denen Nachrichten der Juden, von ihrem Aufenthalte in Egypten, und was ihnen daſelbſt begegnet iſt, nur einigermaßen in Vergleichung ſtellet, und erweget, daß ſich Jacob und ſeine Soͤhne ſeloſt vor Hirten ausgaben, daß die Macht des Joſephs ſo groß als eines Koͤniges war, daß ſie ihre gewaltſame Austrelbung aus Egy- pten, und ihre Einnehmung und Feſtſetzung in Palaͤ- ſtina, wie auch die Erbauung der heiligen Stadt Jeru- ſalem ſelbſt geſtehen; ſo finden ſich ſehr deutliche Zuͤge der Uebereinſtimmung in der Geſchichtserzaͤhlung bey- der Voͤlker, und ein vernuͤnftiger Beurtheiler, welcher die geruͤhmten Vorzuͤge und die Theologie des einen oder des andern Volkes auf einen Augenblick bey Seite ſetzet, kann mit gutem Grunde ſchließen, daß an der Haupt- geſchichte und ihrer Wahrheit nicht zu zweifeln ſey; ob gleich von jedem Volke verſchiedene Zuͤge und Nebenum- ſtaͤnde hinzugeſetzet ſeyn moͤgen, wie ein jeder von dieſen beyden Voͤlkern ſeiner Ehre und Nachruhme gemaͤß zu ſeyn erachtet hat. Allein, alsdenn wird die Glaubwuͤr- digkeit der juͤdiſchen Zeitrechnung deſto zweifelhafter; die Hirtenkoͤnige in Egypten, und die Auswanderung der Juden aus dieſem Lande, treffen gar nicht in einer- ley Zeitpunct zuſammen, und die egyptiſche Geſchichte ſaget, daß das Hirtenvolk nicht aus Chaldaͤa oder Sy- rien, ſondern aus Colchis nach Egypten gekommen ſey.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_geschichte_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_geschichte_1771/218
Zitationshilfe: Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_geschichte_1771/218>, abgerufen am 21.11.2024.