"Und Gott sprach: Es werde eine Veste zwischen &q;den Wassern, und die sey ein Unterschied zwischen den &q;Wassern. Da machte Gott die Veste, und scheidete &q;das Wasser unter der Vesten von dem Wasser über der &q;Vesten. Und es geschah also. Und Gott nennete &q;die veste Himmel. Da ward aus Abend und Mor- &q;gen der andere Tag."
Dieser zweyte Schöpfungstag hat allen Auslegern der Bibel sehr viele Mühe gemacht. Man hat auf kei- nerley Art durch vernünftige und wahrscheinliche Be- griffe erläutern können, was das vor eine Veste sey, die Gott am zweyten Tage erschaffen, und die er, wie aus- drücklich dabey stehet, Himmel genennet habe. Dasje- nige, was man nach den gemeinen Begriffen Himmel nennet, ist weiter nichts, als die reine Luft, und der unendliche Raum, in welchem sich unser Gesichtspunct bey heiterem Wetter verliehret; und man siehet nicht, wie dieses eine Veste genennet werden kann. Noch mehr aber ist es unbegreiflich, wie Gott die Wasser von ein- ander scheiden, und einen Theil derselben über dieser Veste, nämlich über dem Himmel, den andern Theil aber unter der Veste, das ist, unstreitig auf dem Erd- boden ihre Stellen anweisen können. Dieses scheinet voraus zu setzen, daß über dem Himmel noch Wasser befindlich seyn müsse, welches doch, wenn man richtige Begriffe von der Bedeutung des Wortes Himmel hat, ohnmöglich seyn kann.
Man muß fast glauben, daß der Verfasser der Bücher Mosis, wenn er gleich durch eine göttliche Kraft Eingebungen und Begriffe mitgetheilet bekom-
men,
X. Abſchn. Vereinigung der Schoͤpfung
„Und Gott ſprach: Es werde eine Veſte zwiſchen &q;den Waſſern, und die ſey ein Unterſchied zwiſchen den &q;Waſſern. Da machte Gott die Veſte, und ſcheidete &q;das Waſſer unter der Veſten von dem Waſſer uͤber der &q;Veſten. Und es geſchah alſo. Und Gott nennete &q;die veſte Himmel. Da ward aus Abend und Mor- &q;gen der andere Tag.‟
Dieſer zweyte Schoͤpfungstag hat allen Auslegern der Bibel ſehr viele Muͤhe gemacht. Man hat auf kei- nerley Art durch vernuͤnftige und wahrſcheinliche Be- griffe erlaͤutern koͤnnen, was das vor eine Veſte ſey, die Gott am zweyten Tage erſchaffen, und die er, wie aus- druͤcklich dabey ſtehet, Himmel genennet habe. Dasje- nige, was man nach den gemeinen Begriffen Himmel nennet, iſt weiter nichts, als die reine Luft, und der unendliche Raum, in welchem ſich unſer Geſichtspunct bey heiterem Wetter verliehret; und man ſiehet nicht, wie dieſes eine Veſte genennet werden kann. Noch mehr aber iſt es unbegreiflich, wie Gott die Waſſer von ein- ander ſcheiden, und einen Theil derſelben uͤber dieſer Veſte, naͤmlich uͤber dem Himmel, den andern Theil aber unter der Veſte, das iſt, unſtreitig auf dem Erd- boden ihre Stellen anweiſen koͤnnen. Dieſes ſcheinet voraus zu ſetzen, daß uͤber dem Himmel noch Waſſer befindlich ſeyn muͤſſe, welches doch, wenn man richtige Begriffe von der Bedeutung des Wortes Himmel hat, ohnmoͤglich ſeyn kann.
Man muß faſt glauben, daß der Verfaſſer der Buͤcher Moſis, wenn er gleich durch eine goͤttliche Kraft Eingebungen und Begriffe mitgetheilet bekom-
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X. Abſchn. Vereinigung der Schoͤpfung
„Und Gott ſprach: Es werde eine Veſte zwiſchen
&q;den Waſſern, und die ſey ein Unterſchied zwiſchen den
&q;Waſſern. Da machte Gott die Veſte, und ſcheidete
&q;das Waſſer unter der Veſten von dem Waſſer uͤber der
&q;Veſten. Und es geſchah alſo. Und Gott nennete
&q;die veſte Himmel. Da ward aus Abend und Mor-
&q;gen der andere Tag.‟
Dieſer zweyte Schoͤpfungstag hat allen Auslegern
der Bibel ſehr viele Muͤhe gemacht. Man hat auf kei-
nerley Art durch vernuͤnftige und wahrſcheinliche Be-
griffe erlaͤutern koͤnnen, was das vor eine Veſte ſey, die
Gott am zweyten Tage erſchaffen, und die er, wie aus-
druͤcklich dabey ſtehet, Himmel genennet habe. Dasje-
nige, was man nach den gemeinen Begriffen Himmel
nennet, iſt weiter nichts, als die reine Luft, und der
unendliche Raum, in welchem ſich unſer Geſichtspunct
bey heiterem Wetter verliehret; und man ſiehet nicht, wie
dieſes eine Veſte genennet werden kann. Noch mehr
aber iſt es unbegreiflich, wie Gott die Waſſer von ein-
ander ſcheiden, und einen Theil derſelben uͤber dieſer
Veſte, naͤmlich uͤber dem Himmel, den andern Theil
aber unter der Veſte, das iſt, unſtreitig auf dem Erd-
boden ihre Stellen anweiſen koͤnnen. Dieſes ſcheinet
voraus zu ſetzen, daß uͤber dem Himmel noch Waſſer
befindlich ſeyn muͤſſe, welches doch, wenn man richtige
Begriffe von der Bedeutung des Wortes Himmel hat,
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Man muß faſt glauben, daß der Verfaſſer der
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Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_geschichte_1771/328>, abgerufen am 18.12.2024.
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